Nicht nervös werden

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Die große Koalition will beim Mindestlohn Kurs halten – trotz der Ankündigung der PIN AG, wegen der Lohnuntergrenze 1.000 Stellen zu streichen. „Wir müssen zu einer politischen Entscheidung kommen und stehen zu unserer Vereinbarung“, sagte CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe am Mittwoch. Der angekündigte Jobabbau sei schmerzlich. „Aber wir dürfen Politik nicht an dem Motto ausrichten: Wer bietet mehr Arbeitsplatzverluste?“

Kurs halten, so lautete auch die Botschaft der Regierung. „Es ist eindeutig so, dass die Verabredung der Koalitionsspitzen steht“, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm. Man werde die Entwicklung aber genau beobachten. Dennoch interpretierten SPD und CDU die Entlassungsnachricht völlig anders. Die Sozialdemokraten glauben nicht an den von der PIN Ag behaupteten Zusammenhang. „Völliger Humbug“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel. „Die PIN Group macht in diesem Jahr über 50 Millionen Euro Verlust – obwohl es noch keinen Cent Mindestlohn gibt und sie Lohndumping betreibt.“ Ähnlich äußerten sich auch andere SPDler, die Parteilinke Andrea Nahles gab die Parole aus: „Wir lassen uns nicht unter Druck setzen.“

Kein wichtiger CDU-Politiker stellte den mühsam gefundenen Mindestlohn-Kompromiss gänzlich in Frage – doch der konservative CDU-Flügel nutzte die willkommene Gelegenheit, gegen das ungeliebte Projekt zu schießen. „Es war nicht klug, dass der Post-Arbeitgeberverband einen so hohen Mindestlohn angeboten hat“, sagte etwa Hessens Ministerpräsident Roland Koch. Sein Amtskollege in Baden-Württemberg, Günther Oettinger, sieht einen „brisanten Interessenkonflikt“, weil der Bund zugleich als Eigentümer der Post betroffen sei. „Jede Regelung, die den Wettbewerb erschwert, steigert den Unternehmenswert der Post.“

Der Bundestag soll das neue Entsendegesetz Mitte Dezember verabschieden. Im Postgewerbe wird dann ab 1. Januar ein Mindestlohn zwischen 9,80 Euro im Westen Deutschlands und 8 Euro im Osten eingeführt. Die SPD fürchtet nun, dass die Union das Geplänkel um die PIN-Entlassungen nutzt, um Verhandlungsmacht gegen die Einführung in anderen Branchen aufzubauen. „Das Beispiel werden sie uns im nächsten Jahr aufs Brot schmieren, wenn es um eine Erweiterung des Entsendegesetzes geht“, heißt es in der Partei.

Der Würzburger Volkswirt Peter Bofinger, einer der fünf Wirtschaftsweisen und führender Vertreter der nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik, hält die Aufregung über die Entlassungen bei der PIN-Gruppe für übertrieben. „Die Politik sollte sich nicht nervös machen lassen“, sagte er. „Die internationale Erfahrung zeigt: Mindestlöhne und allgemein verbindliche Tarifverträge produzieren keine Arbeitslosigkeit.“ Bofinger kritisierte die „wirre Diskussion“ in Deutschland. „Man tut so, als seien Mindestlöhne absurd, dabei sind sie Best Practice in der ganzen Welt.“

Die absurdeste Volte leistete sich indes Post-Chef Klaus Zumwinkel. Es wurde bekannt, dass er kurz nach der Einigung der großen Koalition ein großes Aktienpaket verkauft hatte. Nach dem Mindestlohn-Beschluss stieg der Aktienkurs der Post deutlich auf den höchsten Wert seit Juli. Zumwinkel warf 200.640 eigene Aktien auf den Markt. Sein Gewinn: rund 2,24 Millionen Euro. Kommentar seines Unternehmens: Der Verkauf sei „Privatsache“.