Uckermärkischer Nachbarschaftsstreit: Der Abgeordnete und die Adlige

Als Markus Meckel, Ex-Außenminister der DDR, ein Haus kaufte, durchkreuzte er die Pläne der Gräfin von Arnim. Es folgte ein Streit um Nacktbaden und Mirabellenbäume.

Die bösen Nachbarn: Außenminister Meckel und Gräfin von Arnim tragen den "Zaunlattenstreit" aus. Bild: dpa

MAHLENDORF/NEURUPPIN taz Im Grunde sind sich beide Parteien schon vor dem Gerichtstermin einig: Es ist alles völlig absurd. "Unglaublich albern und in seinem Petitessen-Charakter kaum noch zu überbieten", sagt Ulrich Böcker, der Anwalt der einen Seite. "Man muss die Kirche auch ein bisschen im Dorf lassen", findet Friedrich-Wilhelm Deus, Vertreter des Gegners.

Der Streit: In dem winzigen Ort Mahlendorf in der Uckermark beharken sich Angelica Gräfin von Arnim und der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR, schon seit etwa zehn Jahren wegen abgeschnittener Bäume, Seezugängen und Stinkbombenanschlägen.

Die Stange: Jüngster Anlass für eine gerichtliche Auseinandersetzung war eine Koppelstange aus dem Zaun des Exministers, von der die Gräfin behauptet, es sei eigentlich ihre. Das Gericht hat dafür sogar Mahlendorf besucht, um den Ort des angeblichen Diebstahls zu begutachten. Streitwert: 4.000 Euro.

Der Zeuge: Vor dem Landgericht Neuruppin sollte am Montag ein Freund und Mitbewohner Meckels als Zeuge neue Beweise bringen. Dazu kam es allerdings gar nicht erst.

Es geht um eine Latte, ein etwa fünf Meter langes Stück Holz. Wegen dieser Koppelstange aus einem Weidezaun sitzen sie im Saal 4 des Landgerichts Neuruppin, erster Stock. Es streiten sich: Gräfin Angelica von Arnim und der SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR. Von Arnim sagt, sie habe eine ihrer Stangen in seinem Zaun gefunden. Meckel widerspricht und will ihr verbieten, das weiterhin zu verbreiten. Deshalb der Gerichtstermin. Er hat gegen sie geklagt.

Es geht natürlich nicht nur um die Koppelstange. Vor etwa zehn Jahren ist Markus Meckel in den winzigen Ort Mahlendorf in der Uckermark gezogen. Das Dorf liegt in seinem Wahlkreis. Er brauchte eine Basis, er wollte dort wohnen und er mochte das weiße Landarbeiterhaus mit den grünen Fensterläden - mitten im Wald, fast direkt an einem See. Es schien eine ruhige Gegend zu sein.

Vor etwas mehr als zehn Jahren, nach der Wende, hatte sich in Mahlendorf allerdings auch schon Adolf-Heinrich Graf von Arnim mit seiner Frau Angelica niedergelassen. Er wohnte in dem rosa renovierten Jagdschlösschen, das sein Vater, Dietlof von Arnim, nach dem Zweiten Weltkrieg hatte verlassen müssen, als überall in der sowjetischen Besatzungszone Junkerland in Bauernhand geriet.

Adolf-Heinrich freute sich, wieder in der Heimat zu sein. Um das Schlösschen am See zu kaufen, hatte er einen Kredit aufnehmen müssen, aber nun wollte er auch noch das Landarbeitergebäude und die Wiese dahinter haben. Seine Tochter würde auf dem Gelände therapeutische Reitstunden für Behinderte geben können. Er bot um das Haus, aber dieser Meckel bot mehr. Da fing der ganze Ärger an.

Es haben sich im Laufe der Jahre eine Reihe von Vorwürfen angesammelt im Streit zwischen den Adeligen und dem Abgeordneten, der zu einem Streit zwischen der Adeligen und dem Abgeordneten wurde, nachdem der Graf 2005 gestorben war. Es ging um abgeschnittene Mirabellenbäume, um unberechtigterweise genutzte Stege und Seezugänge, ums Nacktbaden, um angebliche Politmauscheleien beim Grundstückskauf, um Abgeordneten-Briefköpfe, die im privaten Schriftverkehr nichts zu suchen hätten, um eine geschubste Gräfin und schließlich auch um eine Stinkbomben-Attacke auf Meckels Auto. Worüber man so streitet, wenn man einen Grund sucht.

Seit der Stinkbomben-Sache ist regelmäßig die Polizei da. Aber zur Klärung des jüngsten Weidezaunzwists konnte auch die nichts beitragen. Deswegen hat der Richter aus Neuruppin im Mai alles vor Ort begutachtet. Anschließend wäre es fast zu einem Vergleich gekommen, aber eben nur fast.

Nun also die Verhandlung, zu der auch ein Zeuge geladen ist: Wolfgang Erler, ein Freund und Mitbewohner Meckels. Er soll bestätigen, dass er die Stangen aus dem Meckelschen Weidezaun von einem Förster gekauft und nicht vom Holzstapel der von Arnims geklaut hat.

Eine Woche vorher, es ist Samstagmittag, steht Erler in Stiefeln, brauner Cordhose und Holzfällerhemd im Garten von Markus Meckels Haus und lässt seine Axt locker baumeln. Hinter ihm stapeln sich die Scheite, aus dem Wald dringen Schüsse herüber. Es knallt regelmäßig hier, Anfang Dezember lädt die Gräfin immer zur Treibjagd.

Erler, ein kräftiger Mitfünfziger mit grauem Vollbart, ist meist am Wochenende in Mahlendorf, er teilt sich das Haus mit Meckel. Sie kennen sich aus der Kirche, wo sich in der DDR die Widerspenstigen organisierten. Meckel war Pfarrer, Bürgerrechtler zu Wendezeiten, der mittlerweile nicht mehr diesen überlangen Ajatollah-Bart hat und einen etwas runderen Bauch. Grundsätzlich aber ist er kantig geblieben und hat nie aufgehört, gegen die DDR zu kämpfen und für die Demokratie.

Sein Freund Erler wirkt ähnlich unbequem, er steckt in diesem Streit mit drin. Die Gräfin hat den Brief mit ihren Stangendiebstahlvorwürfen nicht nur an den ehemaligen Minister der DDR, sondern auch an Erler geschickt. Und an die Nachbarn, die Podschuns. Erler schaut rüber auf das Haus des Schlossermeisters. "Die haben mir und meiner Frau mal Tätlichkeiten angeboten, wenn wir nicht verschwinden", sagt er.

Es hängen längst alle mit drin. Ralf Podschun - dessen Vater beschlägt für die Gräfin manchmal noch die Trakehner-Pferde - plakatiert die Bäume vor seinem Haus mit Bibelsprüchen und Meckel-kritischen Artikeln und Leserbriefen aus Tageszeitungen. Er hatte dort auch mal ein riesiges Plakat angebracht, das hat die Meckel-Seite per einstweiliger Verfügung weggeklagt. Die Podschuns mussten einiges zahlen. So läuft das meist. Die einen provozieren, die anderen prozessieren. "Es gibt eine Demokratie, eine Republik", sagt Wolfgang Erler, "und Spielregeln, an die sich alle zu halten haben."

Das sagt der Meckel zwar auch, aber er lebt nicht danach, würde nun Angelica von Arnim entgegnen. Das Gericht nämlich hatte die Anwesenheit beider Parteien angeordnet. Angedrohtes Ordnungsgeld bei Abwesenheit: 1.000 Euro. Meckel aber lässt sich von einem Anwalt entschuldigen, er sei auf einer Konferenz in Polen. Das entspricht dem Bild der Gräfin vom Störenfried: einer, der sich viel bedeutender vorkommt, als er es tatsächlich ist.

Die Gräfin, 70 Jahre alt, erscheint vor Gericht in weißen Moonboots und weißer Daunen-Jacke. Unter dem schwarzen Jägerhut schaut ihr goldblondes Haar hervor. Die Podschuns sind auch mitgekommen, der Schlosser hat sich extra in einen grauen Dreiteiler gezwängt. Auch Angelica von Arnims Tochter ist dabei, sie hat ihr Baby mitgebracht. Podschuns und von Arnims treten auf wie eine große Familie. Fast das ganze Dorf ist also da. Nur Markus Meckel fehlt.

Gleich zu Beginn bittet von Arnims Anwalt Böcker darum, dass nicht nur Wolfgang Erler, sondern auch die Podschuns als Zeugen gehört werden. Der Richter stimmt zu und schickt den Schlosser und seine Frau nach draußen. Vor der Tür warten nun also: Freunde der Gräfin, die bestätigen werden, dass die Stange in Meckels Zaun eine von Arnimsche war, und ein Freund Meckels, der behaupten wird, dass genau das nicht stimmt.

Daher holt Richter Michael Pulfrich noch einmal den Vergleichsvorschlag hervor. Sie hatten sich ja zwischenzeitlich fast geeinigt: Die Gräfin verpflichtet sich schriftlich, Meckel nicht mehr des Diebstahls zu beschuldigen. Im Gegenzug muss aus dem Papier klar werden, dass es diesen Diebstahl aber tatsächlich gegeben hat, dass also eine Stange der Gräfin im Zaun des Exministers lag.

Weil solch eine Feststellung jedoch schnell zum neuen Vorwurf werden könnte, gilt es, die Sache sorgfältig zwischen den Zeilen zu verpacken. Sinngemäß also: Meckel wars nicht, aber irgendwer wars oder zumindest: Irgend was war da. Nicht dass es am Ende so wirkt, als hätte sich die Gräfin die Geschichte von der gestohlenen Stange zusammenfantasiert. Ihr Anwalt fürchtet, dass Meckel den Vergleich als Sieg verkaufen und sich im Wahlkreis als Kämpfer gegen die Blaublütigen inszenieren könnte.

Ein Formulierungsversuch: "Der Kläger nimmt zur Kenntnis, dass es für die Beklagte den Anschein hatte, dass eine Holzstange aus einem in ihrem Besitz befindlichen Stapel Altholz zeitweise Verwendung im Weidezaun des Klägers gefunden hat." "Wir haben aber nicht den Anschein", bemängelt Anwalt Böcker. "Der Punkt ist, wir wissen, dass es unsere ist."

Neben ihm sitzt mit durchgedrücktem Rücken die Gräfin, auf dem Kopf immer noch der Jägerhut. Der Anwalt schlägt vor, statt Anschein augenscheinlich zu schreiben, das ist dem Richter aber zu nahe an "beweiskräftig". Er hat es extra im Synonymwörterbuch nachgeschlagen.

Einige Minuten reden sie sachlich, bis die Stimmung kippt und die Anwälte darüber streiten, wer zuerst angefangen hat. Der Richter versucht es noch einmal. Vielleicht beides: "Dass es den Anschein hatte, dass augenscheinlich " Böcker und Deus aber sind nicht mehr zu stoppen: "Mein Mandant will doch nur in Ruhe gelassen werden", ruft Deus. "Ich habe eineinhalb Seiten Klagebegründung geschrieben. Wegen Ihnen habe ich jetzt einen ganzen Leitz-Ordner voll." Und Böcker: "Ich hab einen halben Meter Akten deswegen." Und wieder Deus: "Ja sehen Sie, so sehr zelebrieren Sie das."

Der Richter bleibt geduldig. Ihm fällt etwas ganz Neues ein: Wenn man einfach sagt, dass die Beklagte "überzeugt ist", dass das ihre Stange in seinem Zaun war, "dann haben wir diesen Schein raus." Kurze Unterbrechung. Besprechung. Eigentlich sind beide zufrieden, zumindest hat es den Anschein, aber irgendwie schaffen sie es doch noch einmal, sich in die Haare zu bekommen. Über die Frage, ob es "überzeugt ist" oder "überzeugt war" heißen soll. Rote Köpfe, beleidigtes Schnauben. Noch eine Unterbrechung.

Schließlich heißt es dann "nach Überzeugung der Beklagten". Stange, Zaun. Punkt. Vergleich fertig, Verhandlung zu Ende. Für einen Moment wirken alle ein wenig verwirrt. So schnell? Alles beigelegt? "Na ja", sagt die Gräfin, "es wird immer wieder irgendwelche Unannehmlichkeiten geben. Das hört ja nicht auf." Es klingt irgendwie hoffnungsvoll.

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