Zum neuen Vaterschaftsrecht: Sophie, das Kuckuckskind

Sybille und Frank haben eine Tochter, Sophie. Ihr leiblicher Vater ist Holger - Frank will es bleiben, Holger will es werden. Das neue Vaterschaftsrecht regelt solche Fälle.

Mein Kind? Bild: dpa

Das sagt Frank (38)

Das neue Vaterschaftsrecht tritt heute in Kraft. Künftig wird es zwei Verfahren zur Überprüfung der Vaterschaft geben: das Klärungsverfahren und das Anfechtungsverfahren. Beim neuen Klärungsverfahren bekommen die Beteiligten zwar Gewissheit, rechtlich hat es aber keine Folgen für die Beziehung von Vater und Kind. Dieses neue Verfahren kann vom Vater, von der Mutter oder vom Kind ausgelöst werden. Die jeweils anderen müssen mitwirken und Zellmaterial, zum Beispiel Speichel oder Haare, zur Verfügung stellen. Das Anfechtungsverfahren wird es weiter geben. Es beseitigt bei negativem Ausgang die rechtliche Vaterschaft. Der Vater ist dann nicht mehr mit dem Kind verwandt und ist auch nicht mehr zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Dieses Verfahren kann weiterhin nur binnen einer Frist von zwei Jahren ab Geburt oder ab Kenntnis neuer verdachtauslösender Tatsachen durchgeführt werden. Hintergrund ist die Erkenntnis, dass sich viele soziale Väter auch nach der Klärung dafür entscheiden, bei Kind und Frau zu bleiben, auch wenn keine biologische Vaterschaft besteht. Laut Bundesjustizministerium haben Untersuchungen ergeben, dass "Kuckuckskinder" selten sind und in vier von fünf Fällen der Ehemann tatsächlich auch der Vater war.

Als Holger das erste Mal vor der Tür stand und Sophie sehen wollte, wäre ich ihm fast an die Gurgel gesprungen. Ich dachte: Erst wollte der dir deine Frau wegnehmen, und jetzt will er dein Kind.

Ich habe nie daran gezweifelt, dass ich Sophies Vater bin. Ich war bei ihrer Geburt dabei, ich habe sie im Arm gehalten, noch vor Sybille. Sophie war sofort meine Tochter. Und plötzlich soll sie es nicht mehr sein. Als Sybille mir von dem Test erzählte, davon, dass eigentlich Holger Sophies Vater ist, sackte der Boden unter meinen Füßen weg. Mein Liebstes auf der Welt, das ist meine Familie, das ist doch Sophie.

Wir haben geheiratet, als Sybille im fünften Monat schwanger war. Wir hatten uns in B. beim Studium kennengelernt, waren im selben Semester, Kommunikationswissenschaften. Holger war auch an unserer Uni, bei den Politikwissenschaftlern. Vor sechseinhalb Jahren hatte Sybille mit ihm ein kurzes Verhältnis, ich wusste davon. Damals hatten Sybille und ich eine Krise. Wir waren ein Jahr zusammen, das erste Liebeshoch war verflogen, nun mussten wir uns neu sortieren. Sybille hat das auf ihre Weise getan, ich habe mich ins Studium gestürzt.

Über das Kind habe ich mich wahnsinnig gefreut. Ich war froh, dass sich dann doch alles so scheinbar leicht gefügt hat. Als Sybille mir jetzt sagte, dass das Kind von Holger ist, dachte ich nur: Die spinnt. Aber dann hat Sybille mir den Brief vom Labor gezeigt, da stand es schwarz auf weiß: "… ist auszuschließen, dass Frank K. der Vater ist."

In diesem Moment habe ich Sybille gehasst. Warum tut sie mir so etwas an? Und warum kommt sie jetzt erst damit? Eine Frau muss doch wissen, von wem sie schwanger ist. Ich war drauf und dran, mich scheiden zu lassen.

Aber was wäre dann passiert? Meine Familie wäre kaputtgegangen, und ich hätte Sophie verloren. Rechtlich ist sie meine Tochter: Sybille und ich waren verheiratet, als Sophie geboren wurde. Von mir aus könnte das so bleiben, meinetwegen hätte Holger auch nichts erfahren müssen. Er war ja sowieso nie da. Aber jetzt erhebt er Ansprüche!

Durch das neue Gesetz bleibe ich glücklicherweise Sophies Vater, nur Holger kommt jetzt noch dazu. Wie das wird? Mal sehen. Ich werde das Gefühl nicht los, dass er sich bei uns reindrängt, weil es bei ihm mit einer Familie nicht geklappt hat.

Manchmal schaue ich Sophie an und bin traurig darüber, dass sie nicht meine Gene trägt. Dann würde ich am liebsten alles hinschmeißen, weil ich den Schmerz nicht ertrage. Und wenn dann auch noch Holger kommt und Sophie auf eine Stunde abholen will, drehe ich fast durch.

Das sagt Sybille (35)

Ich war geschockt, als ich den Brief des Genlabors in den Händen hielt. Denn anfangs hatte ich nie Zweifel daran, dass Sophie von Frank ist. Erst als sie größer wurde und ich an ihr immer mehr Ähnlichkeiten mit Holger entdeckte, wurde ich unsicher. Sie hat zum Beispiel enorm große Füße, die hat Holger auch. Sophie ist blond, Frank und ich sind dunkelhaarig. Sophie hat blaue Augen, wie Holger. Dann ihr spitzes Kinn und ihre Gesichtsform.

Vor einem halben Jahr habe ich heimlich einen Gentest machen lassen, mit ein paar Haaren von Sophie und von Frank. Ich brauchte Gewissheit. Zuerst dachte ich, die im Labor haben sich geirrt, das Ergebnis kann nicht stimmen. Wir sind doch eine Familie, Frank, Sophie und ich. Aber ich begriff sofort, dass wir keine Chance haben, wenn ich lüge. Ich musste also über meinen Schatten springen und habe Frank alles erzählt.

Mir war klar, dass die Wahrheit eine Katastrophe ist, vor allem für Frank. Aber ich will keine Geheimnisse. Nicht etwa weil ich Spaß an dieser Geschichte habe, sondern wegen Sophie. Als Kind habe ich das Gleiche erlebt. Meine Mutter hat meinen sozialen Vater erst nach meiner Geburt kennengelernt, sie haben mir das immer verheimlicht. Erst als ich mit Sophie schwanger war, hat mir meine Mutter die Wahrheit erzählt. Bis heute kenne ich meinen leiblichen Vater nicht.

Aber als Kind habe ich immer gespürt, dass mit unserer Familie etwas nicht stimmt, dass es da etwas gibt, was vor mir verborgen gehalten wird. Erst als mir meine Mutter alles erklärt hatte, begriff ich diese Zusammenhänge. Aber das Verhältnis zu meinen Eltern ist seitdem gestört, wir sind uns fremd geworden. Das will ich Sophie nicht antun und mir auch nicht.

Das mit Holger war nur eine flüchtige Affäre, ich hätte Frank nie für ihn verlassen. Für mich stand von Anfang an fest, dass Sophie von Frank ist. Nur für einen ganz kurzen Moment, gleich zu Beginn meiner Schwangerschaft, überlegte ich: Rein theoretisch könnte auch Holger …? Ich rechnete nach, am Ende kam nur Frank infrage.

Ich will eine klare und saubere Regelung. Es reicht nicht, wenn wir uns nur zu dritt einigen, es muss auch auf dem Papier stehen. Früher oder später kommt sowieso alles raus, da bin ich mir sicher. Was sollen wir dann Sophie sagen? "Wir haben dich die ganzen Jahre über belogen, aber das ist doch nicht so schlimm, Frank ist trotzdem dein Papa"? Ich will einen Kompromiss: Holger erkennt die biologische Vaterschaft an, Frank bleibt rechtlich Sophies Vater. Das geht mit dem neuen Vaterschaftsrecht jetzt ja relativ einfach.

Das sagt Holger (37)

Ich war völlig überrascht, als Sybille mich vor ein paar Monaten anrief. Fünf Jahre hatte ich nichts von ihr gehört, ich hatte sie fast vergessen, und dann das: Ich soll der Vater ihrer Tochter sein. Das letzte Mal hatte ich sie nach ihrer Hochzeit mit Frank getroffen, da war sie hochschwanger. Damals habe ich nicht gefragt, ob das Kind vielleicht von mir sein könnte, für mich war klar: Sybille baut sich da gerade eine Familie auf. Außerdem hatte ich andere Pläne, ich wollte nach Amerika. Über vier Jahre habe ich dort gearbeitet, in einem Meinungsforschungsinstitut. Dann lief mein Vertrag aus und ich kam wieder zurück nach Deutschland.

Sophie habe ich nun schon ein paarmal gesehen. Das erste und das zweite Mal hat sie mich gar nicht beachtet, für sie war ich ein Fremder. Auch für mich war es anfangs komisch, eine fünfjährige Tochter zu haben, so aus dem Nichts. Jetzt genieße ich es, Vater zu sein, Sophie sieht mir sehr ähnlich. Ich bin sogar ein bisschen stolz: Da läuft ein kleiner Mensch in der Welt herum, der meine Gene trägt.

Sybille war erstaunt, als ich sagte, ich wolle mich künftig auch um Sophie kümmern. Wie kommt sie nur darauf, dass mir das alles egal sein könnte? Hätte ich früher von Sophie erfahren, wäre ich hier eher aufgekreuzt. In Amerika hatte ich eine Beziehung, vier Jahre lang. Mit der Frau hätte ich gern ein Kind gehabt, wir haben es probiert, aber es hat nicht geklappt. Sie hat mich schließlich wegen eines anderen verlassen und ist von ihm schwanger geworden.

Ich will Frank Sophie nicht wegnehmen. Aber sie ist nun mal auch meine Tochter. Und mit dem reformierten Gesetz komme ich auch zu meinem Recht. Sybilles Idee mit den zwei Vätern finde ich prima. Ich möchte die Verantwortung für Sophie übernehmen, die ich leisten kann. Außerdem möchte ich anteilmäßig Unterhalt zahlen und Sophie regelmäßig sehen. Über die genauen Konditionen müssen wir uns noch einigen.

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