Volker Ratzmann will Grünen-Chef werden: "Ich schätze Cem"

Zuerst fand sich keiner. Dann signalisierte der Berliner Grüne Volker Ratzmann, Reinhard Bütikofer als Realo an der Doppelspitze beerben zu wollen. Offziell ist die Kandidatur noch nicht.

taz: Herr Ratzmann, wollen Sie Grünen-Chef werden?

Volker Ratzmann: Das ist ein reizvolles Amt, das mich interessiert.

Der Bundesvorstand vertritt die Partei nach innen und außen und führt deren Geschäfte auf Grundlage der Beschlüsse der Parteiorgane. Die Doppelspitze des Bundesvorstandes wird mit einem Mann (derzeit Reinhard Bütikofer) und einer Frau (Claudia Roth) besetzt. Die Spitze wird von "Realos" und "Linken" geteilt. Der Bundesparteitag wählt im November die neue Führung. Die Linke Claudia Roth gilt als gesetzt. Mitglieder des Vorstandes dürfen nicht Fraktionsvorsitzende sein, aber dem Bundestag angehören. Bei einem Gehalt von 7.000 Euro und der nervenaufreibenden Gremienarbeit wirkte der Job auf bisherige Anwärter wie ein "Sibirisches Straflager" (FAZ). Seit der Rücktrittsankündigung des amtierenden Kovorsitzenden Reinhard Bütikofer Anfang März haben verschiedene Nachwuchspolitiker des Realoflügels ein Angebot abgelehnt. Nachdem Cem Özdemir den Posten nach seiner ersten Absage doch anstrebt, sagte Bütikofer, "dass der Job nicht so uninteressant" sein könne.

Ist das jetzt eine offizielle Kandidatur?

Nein, ich werde noch Gespräche in der Partei führen und vor der Sommerpause erklären, ob ich kandidiere oder nicht.

Was qualifiziert Sie denn für dieses Amt?

Ich habe in Berlin als Fraktionsvorsitzender viel Erfahrung im Umgang mit anderen Parteien gesammelt und politische Prozesse gemanagt. Ich habe immer versucht, pragmatisch Politik zu machen, um für die Grünen Gestaltungsräume zu öffnen. Genau darauf kommt es im Bund künftig an.

Sie wären wohl Grünen-Chef an der Seite von Claudia Roth. Wären sie sich nicht zu ähnlich? Wo ist da die Kompetenz für Ökologie und Wirtschaft?

Klimaschutz, Wirtschaft und Sozialpolitik gehören zum Aufgabenfeld eines Fraktionschefs. Bundesvorsitzende brauchen aber vor allem einen generalistischen Ansatz, müssen Strategien entwickeln und Politik managen. Der Parteivorsitz ist das spannendste Amt, das in der Republik derzeit zu vergeben ist. Denn 2009 wird sich zeigen, ob es in dieser Republik einen Modernisierungsschub gibt. Und der geht nur mit den Grünen.

in einer Koalition mit Union und FDP?

Mir ging es immer darum, für die Grünen Handlungsräume jenseits der SPD zu entwickeln. Die SPD hat uns ja in Berlin zweimal deutlich gesagt, dass wir nicht ihr Partner sind. Daraus haben wir die Konsequenz gezogen, in der Opposition mit FDP und CDU zusammenzuarbeiten. Das hat gut geklappt. Wir dominieren die Landespolitik. Wir haben etwa FDP und CDU gegen ein neues Kohlekraftwerk in Berlin mit in Stellung gebracht. Ich habe keine Scheu, mit anderen Parteien Politik zu machen - wenn es passt.

Wo sind denn die Essentials der Grünen für eine Jamaika -Koalition im Bund?

Es ist zu früh, um grüne Essentials zu formulieren. Aber klar ist: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nicht verhandelbar. Und natürlich sind wir bei den Bürgerrechten für mehr Datenschutz. Darüber hinaus brauchen wir eine klare Orientierung auf die Wissensgesellschaft. Deshalb müssen Innovation und Bildung Schwerpunkte sein. Wir Grüne müssen zeigen, wie eine umweltschonende Energiepolitik aussieht, die sozialverträglich ist.

Wie finden Sie Cem Özdemir?

Ich schätze ihn als respektablen Kandidaten. Wir kennen uns aus migrationspolitischen Debatten, haben viel über das Zuwanderungsgesetz diskutiert. Wir werden uns nicht die Köpfe einhauen.

Sie sind beide Realos. Wo ist denn der wesentliche politische Unterschied zwischen ihnen?

Wir haben unterschiedliche Erfahrungen gesammelt. Ich komme aus der Landespolitik, habe mich in der Föderalismuskommission um den Staatsaufbau und die Staatsfinanzen gekümmert. Ich habe viel an der Basis gearbeitet. Es wird vor allem darum gehen, die Partei bei den anstehenden Auseinandersetzungen mitzunehmen. Die Arbeit des Parteivorsitzenden wird, neben dem Wahlkampf 2009, sehr davon geprägt sein, das grüne Profil auf diesem Weg herauszuarbeiten.

"Auf diesem Weg" heißt übersetzt - die Partei auf Jamaika vorbereiten?

Es heißt, der Partei mit einem klaren, grünen Profil selbstbewusst neue Gestaltungsräume zu eröffnen. In Hamburg gelingt dies im Moment gut. Natürlich gibt es bei Schwarz-Grün viel Spannungen. Aber die Kunst besteht darin, die Spannung zwischen Wirtschaft und Ökologie produktiv zu nutzen. Ich glaube, im Fünfparteiensystem ist es zu wenig, nur nach Schnittmengen zu schauen - man muss auch versuchen, in Spannungsverhältnissen Neues zu probieren. Wer dazu bereit ist, mit dem werden wir das probieren.

Also geht im Bund auch, was in Hamburg funktioniert?

Nein, dafür braucht man auch Leute, die miteinander arbeiten können. Da zweifle ich, wenn ich mir das Spitzenpersonal von Union und FDP anschaue. Fakt ist, dass der großen Koalition schon jetzt die Ideen fehlen. Das Kreative liegt bei uns.

Sind die Grünen eigentlich noch eine linke Partei?

Ja. Weil wir die Emanzipation und freie Entfaltung des Einzelnen voranbringen wollen. Das ist für mich der Kern linker Politik.

Ist Rot-Rot-Grün denn auch eine Möglichkeit auf Bundesebene?

Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei kann ich mir nicht vorstellen. Wir sollten nach 2009 weiterführen, was Rot-Grün in der Außen- und Sozialpolitik begonnen hat. Das wird mit der Linkspartei nicht gehen.

Wenn es 2009 wirklich Jamaika gibt - wird das keine Zerreißprobe für die Grünen?

Wenn es Jamaika gäbe, wäre es ein Wagnis. Vielleicht gäbe es dann Einzelne, die sagen: So nicht. Aber Hamburg zeigt doch: Der Wille der Grünen, Politik zu gestalten, ist riesig.

Glauben Sie, dass grüne Traditionswähler 2009 Merkel wählen wollen?

Gegenfrage: Glauben Sie, dass grüne Traditionswähler 2009 Lafontaine wählen wollen?

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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