Liebhaber von Provokation und Kitsch

Das Goldene Kalb der Bibel hatte nur ein kurzes Leben. Während Moses auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote aufschrieb, hatte sein Volk nichts Besseres zu tun, als sich aus zusammengeklaubtem Gold ein Götzenbild zu bauen. Doch Moses zerschlug den Götzen und schickte die Ungläubigen in den Tod.

Im aufgeblähten Kunstmarkt heutiger Tage spielt Religion zwar eine nebensächliche Rolle, doch der Tanz ums Goldene Kalb wird immer wieder aufgeführt. Letzte Station des Götzendiensts: eine Sotheby’s-Auktion Anfang dieser Woche in London, die ausschließlich Werke des britischen Künstlers Damien Hirst feilbot, darunter „The Golden Calf“, einen teilweise vergoldeten, in Formaldehyd eingelegten Stier.

Hirst, geboren 1965 in Bristol, wurde Anfang der 1990er-Jahre als Shootingstar der „Young British Artists“ bekannt, die von dem Galeristen Charles Saatchi gefördert wurden. Hirst pflegte eine Punk-Attitüde und präsentierte Tierkadaver in Formaldehyd, etwa einen Tigerhai oder eine längs halbierte Kuh mit Kalb. Für „Mother and Child, Divided“ verlieh ihm die Londoner Tate Gallery 1995 den Turner Prize, einen der höchstdotierten und wichtigsten internationalen Kunstpreise.

Hirsts Arbeiten leben von drastischen Tabubrüchen, aber auch von subtileren Bezügen zur Pop-Art und dem Prinzip des Readymades. Viele seiner Werke, Klecksbilder, bunte Tabletten in Glasvitrinen, Ornamente aus Schmetterlingsflügeln, sind in Sammlungen großer Museen. Thematisch kreist er um die klassischen Sujets der Kunstgeschichte, setzt sie aber in neue, schockierende Zusammenhänge. Er liebt die Provokation und den Kitsch – das stellt ihn in eine Reihe mit Jeff Koons, der zurzeit die Gemüter mit einer Ausstellung im Schloss von Versailles erhitzt.

Heute jedoch provoziert Hirst nicht nur mit seiner Kunst, sondern mit ihrer Inszenierung als kapitalistische Ware. Letztes Jahr wurde sein Platintotenschädel, der mit knapp 9.000 Brillanten besetzt ist und einen 52-karätigen Diamanten auf der Stirn trägt, für 50 Millionen Pfund angeboten. Kurze Zeit nach der Ausstellung des damit teuersten Werks eines lebenden Künstlers kaufte eine Investorengruppe den Schädel. Ein ausgeklügelter Marketinggag zur Wertspekulation (Hirst war selbst Mitglied dieser Gruppe), aber auch ein Seitenhieb gegen den sich immer stärker aufheizenden Kunstbetrieb.

Bei Sotheby’s bot er jetzt selbst seine Werke zur Versteigerung an und umging damit die klassische Vermarktung durch eine Galerie, die in der Regel die Hälfte der Verkaufserlöse erhält. Um seine goldenen Kälber dürfen andere tanzen, schlachten will Hirst in Zukunft selbst. MARCUS WOELLER