"Baader-Meinhof-Komplex" im Kino: RAF sells?

Am Donnerstag startet der "Baader-Meinhof-Komplex" im Kino. Bernd Eichinger und Uli Edel ist ein Film gelungen, der spannend und aufklärerisch von dem härtesten Konflikt der BRD erzählt.

Keine Charaktermasken: Stipe Ercig spielt Holger Meins. Bild: dpa

Nacktbaden auf Sylt. Die Kamera zeigt eine Ulrike Meinhof (gespielt von Martina Gedeck), die an einem sonnigen Tag im blau-weiß gestreiften Strandkorb sitzt und eine Illustrierte mit dem Cover des Schah von Persien liest. Ihre beiden Töchter tollen im Wasser. Ihr Mann Klaus Röhl (gespielt von Hans-Werner Meyer) unterhält sich abwechselnd mit Meinhof und einer am Strandkorb vorbeischlendernden nackten Blondine, wegen der sie ihn dann bald verlassen wird.

Eine weitere Einstellung vom Beginn des Films: eine halbwegs mondäne Sommerparty bei Röhl, dem damaligen Herausgeber der Zeitschrift Konkret. Röhl animiert Meinhof, ihren berühmten Brief an den persischen Diktator den Partygästen vorzulesen. Verhaltener Applaus. Dann ein schneller Szenenwechsel: 2. Juni 1967, Berlin, Bismarckstraße.

Der Film verlässt das private Nordseeidyll, stellt das Eintreffen des Schahs vor der Deutschen Oper nach und nimmt damit gleich zu Anfang rasant Fahrt auf. Komparsen und Schauspieler stehen vor den Absperrgittern an der Deutschen Oper und protestieren als studentische Menge lautstark. Vereinzelt platzen mit Mehl gefüllte Beutel auf den Asphalt.

Historisch genau rekonstruiert dieser Film nach Stefan Austs Buchvorlage das Geschehen. Frisuren, Kleidung, holzgetäfelte Beamtenzimmer, alles sitzt. Ein Sechzigerjahre-Bus fährt im Rücken der Polizeikette vor. Der Spielfilm lässt ihm regimetreue Perser entsteigen, in Anzügen und Pro-Schah-Sprechchöre skandierend. Nachdem das persische Staatsoberhaupt in der Deutschen Oper entschwunden ist, wenden sich die sogenannten Jubelperser den protestierenden Studenten zu. Die Filmkamera zoomt nahe ran, zeigt, wie sie ihre Transparentstangen zu Schlagstöcken umfunktionieren, durch die Polizeiketten spazieren und wahllos auf die Studenten, darunter spätere Protagonisten der RAF, eindreschen.

Diese sind perplex, hoffen, dass die westdeutsche Polizei einschreitet. Doch die sieht erst zu und prügelt dann selber wahllos auf Protestierende und Passanten ein. Massenpanik, berittene Einsatzkräfte, Wasserwerfer, ein furchtbares Massaker, das die Filmer im Stile des großen Actionkinos mit Wucht in Szene setzen. Ebenso wie zum Abschluss dieses historisch bedeutsamen Tages, die Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg durch einen Berliner Polizisten.

Bevor sich Uli Edel und Bernd Eichinger in ihrem Film der RAF widmen, zeigen sie die Ereignisse, die dem Entstehen des bewaffneten Untergrunds in Westdeutschland vorausgingen. Dazu gehört eine in den Handlungsstrang dieses Actionthrillers verwobene Szene, die die Schüsse auf Rudi Dutschke (Sebastian Blomberg) nachstellt. Oder die Spielfilmszene jener wahnsinnigen Prügel im Geiste des Postfaschismus, die Jugendliche wie Peter-Jürgen Boock (Vincenz Kiefer) in den Heimen der alten Bundesrepublik bezogen, bevor sie in die Badewanne zu Gudrun Ensslin (Johanna Wokalek) stiegen und sich der RAF anschlossen.

Doch zum Gesamtbild gehört auch ein nachdenklicher und differenzierungsfähiger Horst Herold als oberster Terrorismusfahnder, von einem brummligen Bruno Ganz gespielt, der Hühnerbrühe aus dem Suppentopf schöpft, während er seine mitunter sehr schneidigen Ressortleiter zur Lagebesprechung bittet und sie im Stile eines Dr. House abfertigt. Herold, der die so verblüffend einfache und zunächst überaus wirksame Rasterfahndung erfand, ist in Edels und Eichingers Spielfilm das gute und analytische Gewissen der alten Bundesrepublik. Ein kluger Zug der Regie, so man weiß, wie stark die politisch Handelnden damals versagten und sich von daher als positiv zu besetzendes Filmpersonal nicht anboten. Helmut Schmidt oder Franz Josef Strauß hätten sich als Figuren weitaus weniger ausgleichend und analysierend besetzen lassen als der aus dem Hintergrund agierende Herold.

Viel ist über den Film bereits vorweg diskutiert worden, den ausgesuchte Wichtigkeiten der Medienbranche lange vor den offiziellen Pressevorführungen dieser Woche begutachten durften. Ist der Streifen zu pathetisch geraten, in seiner Suche nach Authentizität zu effektheischerisch und darin konservativ und reaktionär? Man kann beruhigen: Nein, er ist es nicht. Edel und Eichinger haben in diesen Fall gut daran getan, einer Methode zu vertrauen, die sich so nah wie möglich an die historischen Ereignisse heranpirscht, die Kulissen genau rekonstruiert und sich bis in die Dialoge weitgehend von faktischen Überlieferungen inspirieren lässt, um sich erst in einen zweiten Schritt, der Fiktionalisierung, von der bleiernen Diktion des Faktischen und einer auch im Künstlerischen bislang völlig verknarzten Rezeption zu lösen.

Sie haben sich - dreißig Jahre nach 1977 - getraut, die Ereignisse unverkrampft und nicht moralisierend zu erzählen. Das ist auch heute noch mutig, da eine Distanzierung von etwas, womit die meisten nichts zu tun haben und hatten, unausgesprochen zu den Spielregeln des Betriebs gehören (und bis in die Haarspitzen eines Politologen am letzten Sonntag von einer überregionalen Zeitung untersucht wurden).

Herausgekommen ist ein "Baader-Meinhof-Komplex", ein Film, der die Geschichte, anders als im Sülz deutscher Betroffenheitsnachdenklichkeit lange üblich, über die Handlung erzählt und es dabei schafft, vielschichtig zu bleiben. Und man darf auch lachen, so zum Beispiel über einen pathetisch-kindischen Andreas Baader, der von Moritz Bleibtreu charismatisch dargestellt wird.

Lachen bedeutet jedoch nicht auslachen. Im Gegensatz zu den früheren, ideologisch motivierten Versuchen, aus Ulrike Meinhof so etwas wie eine Heilige zu machen und Baader als Zuhälter einer Mädchengang zu stilisieren, lässt dieser Film die Protagonisten als widersprüchliche Individuen erscheinen. Die damalige Lust an der Revolte wird nicht verschämt weggedrückt, ohne sie wäre ja auch sonst wenig in der Bundesrepublik passiert, von dem wir heute alle profitieren. Der Weg, so eine der Botschaften dieses Films, aus Pop und Rebellion führte eben nicht schnurstracks in die RAF und den bewaffneten Untergrund.

Bleibtreu spielt einen wilden, schnelle Autos liebenden, aber auch leidenschaftlichen und witzigen Baader, was der Sache wohl ziemlich nahe kommt. Warum diese mackerhafte Aufsässigkeit nicht harmlos blieb und Aktionismus und Draufgängertum zur besinnungslosen Bomberei führte, dafür liefert der Film immer wieder Hinweise.

Das Tempo, das der Film dabei einschlägt, die Rasanz der Szenen, Schauplatz- und Schusswechsel entspricht der damals so beschleunigten Entwicklung. Der Film zeigt, wie eine bürgerliche Ulrike Meinhof, sich von der Renitenz und Ausstrahlung einer Gudrun Ensslin und Andreas Baaders angezogen fühlt und später der Entwicklung nicht gewachsen ist.

Die RAF war kein großer Plan. Sie lag in der Luft, und die sie gründeten, hatten keinerlei Schulung oder historische Erfahrung. Die Schönheit der Mutigen und Entschlossenen, das sind immer auch starke Motive. Die frühe, noch nicht anonymisierte RAF hatte Sex und Ausstrahlung und bezahlte einen hohen Preis.

Stipe Ercig spielt einen sinnlichen Holger Meins, einen wild entschlossenen, der wie viele aus dieser Generation früh und sinnlos starb. Es ist eine der großen Leistungen dieses Films, dass er sein Starensemble die Protagonisten auf beiden Seiten als Menschen mit Gefühlen und Intelligenz darstellen lässt und sie nicht auf das Gerede von "Charaktermasken" reduziert.

Da darf man mit und über die nackten RAF-Frauen und Baader im palästinensischen Ausbildungslager lachen, ohne dass damit etwas anderes beschönigt würde. Die RAF-Sprache der Autobomben, die Logik von Gemetzel und Liquidierung, das macht der Film drastisch deutlich, all das ist bereits das Werk einer moralisierend-totalisierenden RAF-Gründergeneration. Aber eben auch, dass diese zu keiner Zeit einen Ansprechpartner fand, um den Todeszug zum Stehen zu bringen. Hanns Martin Schleyer oder die Stammheimer Gefangenen würden noch leben, das legen Edel und Eichinger in ihrer Auslegung des Horst Herold nahe, wenn das verbohrte politische Establishment bei Zeiten zu Einsicht und Besinnung gekommen wäre. Das sagt dieser Film, ohne die teilweise ja noch lebenden politischen Verantwortlichen wie Helmut Schmidt direkt beim Namen zu nennen.

Doch die alte Bundesrepublik war nicht demokratisch, antifaschistisch und integrationsfähig genug, weswegen sich neben dem Extrem RAF ja auch noch alle möglichen bis heute wirkenden und friedlicheren Institutionen gründeten. Eine Schlüsselszene des Spielfilms zeigt Baader im Gefängnis von Stammheim. Es ist die Phase der Eskalation von 77, in der er versucht, der Bundesregierung ein Angebot von Austausch und Exil gegen Einstellung der Untergrundtätigkeit zu unterbreiten. Es kam anders. Der Film endet 1977. Das Töten zog sich noch durch die ganzen Achtzigerjahre. Erst 1998 folgte die Auflösungserklärung der RAF.

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Andreas Fanizadeh, geb. 1963 in St.Johann i.Pg. (Österreich). Leitet seit 2007 das Kulturressort der taz. War von 2000 bis 2007 Auslandsredakteur von „Die Wochenzeitung“ in Zürich. Arbeitete in den 1990ern in Berlin für den ID Verlag und die Edition ID-Archiv, gab dort u.a. die Zeitschrift "Die Beute" mit heraus. Studierte in Frankfurt/M. Germanistik und Politikwissenschaften.

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