Der Mann, der Island in die Krise ritt

Großgewachsene Männer mit schwarzen Jacken, rastlos schweifenden Blicken und einem Knopf im Ohr begleiten Islands Ministerpräsidenten Geir Haarde seit einigen Tagen auf Schritt und Tritt. Derartige Bewachung durch Bodyguards gab es auf der Nordatlantikinsel bislang nur, wenn ausländische Staatsgäste zu Besuch kamen. Nun hat erstmals ein einheimischer Politiker diesen Personenschutz bekommen. Warum? Viele Isländer haben gewaltige Summen an der Börse verloren, oder ihre Schulden sind so in die Höhe geschossen, dass sie Kredite für Villen, Eigentumswohnungen oder Autos nicht mehr bedienen können. Und ihr Zorn richtet sich auf Geir Haarde – nicht nur weil er zufällig das Pech hat, nun, da das Finanzchaos losgebrochen ist, ihr Regierungschef zu sein.

Nein, der 57-Jährige ist genau einer der isländischen Politiker, die lange an den zentralen Schalthebeln saßen, die rechtzeitig hätten umgestellt werden können, um die jetzige Krise abzuwenden. Und genügend warnende Stimmen hatte es gegeben, die auch genau das von ihm forderten. Der Chef der konservativen Selbstständigkeitspartei, der nach zwei Jahren als Außenminister 2006 zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, ist schließlich Finanzexperte. Der Vater von fünf Kindern, der kein großer Redner ist, aber in der Vergangenheit breites Vertrauen in der Bevölkerung genossen hatte, studierte Wirtschafts- und Staatswissenschaften unter anderem in den USA. Er machte seit 1977 Karriere bei der isländischen Nationalbank, wurde 1983 Berater im Finanzministerium und übernahm 1998 dann selbst für sieben Jahre dieses Ressort. Damit war er persönlich für die Deregulierung des Finanz- und Bankenwesens auf Island verantwortlich.

„Natürlich war das Bankenwesen im Verhältnis zu unserer Volkswirtschaft viel zu groß geworden“, bekannte er am Donnerstag in einem Rundfunkinterview. Eine Erkenntnis, die für die Isländer ein wenig zu spät kommt. Viele werfen ihm nun nicht nur vor, den Karren sehenden Auges gegen die Wand gefahren zu haben, sondern aktuell auch als schlechter Krisenmanager zu agieren.

Das dürfte ein wenig ungerecht sein. Mit dem Chaos, in das Island gestürzt wurde, wäre wohl jeder Politiker überfordert. Aber Russland wegen einer vagen Kreditzusage gleich als „neuen Freund“ zu begrüßen, den man nun brauche, nachdem die USA und die EU kein Geld herausrücken wollten, spricht nicht für kluge Diplomatie. Zumal eine Mehrheit der Bevölkerung sich jetzt lieber so schnell wie möglich unter den Schirm einer EU-Mitgliedschaft flüchten möchte. Ein Schritt, den der Atlantiker Haarde bislang strikt ablehnt.

REINHARD WOLFF