Haiders Trauerfeier: "Der Hauptmann der Herzen"

Kärntens verunglückter Landeshauptmann wird zum Mythos stilisiert. 25.000 Menschen verabschieden Jörg Haider. Andere spekulieren über einen letzten Besuch in der Schwulenbar.

Haiders Familie am Sarg. Bild: reuters

KLAGENFURT taz Der stahlblaue, wolkenlose Himmel über dem herbstlichen Klagenfurt, sichtlich ergriffene Menschen, die die Straßen säumen, und das strenge Zeremoniell eines offiziellen Trauerakts - das ist der Rahmen, in dem am Samstag an einem Mythos gestrickt wurde.

Der Mythos Jörg Haider und dessen Verklärung als gütiger Landesvater, der stets nur im Interesse seines Volkes gewirkt und höchstens in der gesunden Gebirgsluft an der Seite seiner engsten Familie und seiner Wanderkameraden einmal an sich selbst gedacht habe, wurde schon nach Haiders Unfalltod am 11. Oktober ins Leben gerufen. Durch die Trauerfeier wird er nun weiter zementiert.

Der österreichische Rundfunk ORF, der die Trauerfeier live überträgt, versucht sich durch distanzierte Kommentierung vom Vorwurf reinzuwaschen, die Vergötterung des Toten noch zu fördern.

Das Lichtermeer, das die Fernsehbilder übertragen, gibt es tatsächlich. Es sind sogar mehrere: vor dem Regierungsgebäude, vor dem Lindwurmdenkmal, an der Unfallstelle wenige Kilometer südlich von Klagenfurt. Vor dem Landhaus in Klagenfurt, wo der Landtag sitzt, stehen noch immer tausende Friedhofskerzen, dazwischen Bilder vom Verstorbenen und handgeschriebene Grußbotschaften.

Mächtige Kränze säumten schon Freitagabend die Breitseite des Vorplatzes, an der noch einige hundert Menschen Schlange standen, um im Wappensaal, dem historischen Zeremonienraum des Landhauses, von ihrem Landeshauptmann Abschied zu nehmen.

Jörg Haider lag dort aufgebahrt, der Sarg mit roten Rosen bedeckt. Am Fußende eine purpurne Trauerschleife der Witwe: "In Liebe Claudia". "Wir werden länger als bis 22 Uhr offen halten", versprach ein Ordner all jenen, die fürchten, keinen Einlass mehr zu finden. Erst um 2 Uhr morgens wurden die Pforten dann geschlossen.

Klagenfurt musste die City für Verkehr sperren

Schon in der Nacht vor der Trauerfeier sperrte die Polizei aus Sicherheitsgründen die gesamte Klagenfurter Innenstadt für den Verkehr. Die Straßen, auf denen der Trauerkondukt vom neuen Platz zum Dom ziehen sollte, wurden mit Sperrgittern abgeriegelt. Auch der neue Platz vor dem Rathaus, wo das Wahrzeichen der Stadt, der steinerne Lindwurm aus dem 16. Jahrhundert, steht, wird für die offiziellen Gäste reserviert.

600 Chöre aus ganz Kärnten

Trachtengruppen haben sich da eingefunden: Männer in Lederhosen oder braunen Kärntner Anzügen, Frauen in schwarzen Kleidern und schwarzen Hüten oder Goldhauben. 600 Chöre aus ganz Kärnten sollen eingeladen worden sein, sie verteilen sich über die ganze Stadt. Die Freiwillige Feuerwehr nimmt Aufstellung, die Kaminkehrer stehen in Reih und Glied.

Großer Anteilnahme in Klagenfurt. Bild: ap

Die Gemeinde Friesach hat eine Mittelalter-Gruppe entsandt: Burgfräulein und Männer in Kettenhemden und mit Hellebarde. Burschenschaftler mit runder Mütze, Schaftstiefeln und Degen an der Seite erweisen ihrem Bundesbruder die letzte Ehre. Am Rande sind auch auch Abordnungen aus Italien vertreten: Aus Jesolo und Tarvis. Venetien zeigt den geflügelten Markuslöwen auf dem Banner. Aus Ungarn ist eine Delegation mit der nationalistischen Arpad-Fahne angereist, aus Oberitalien padanische Separatisten.

Der von manchen befürchtete Aufmarsch von Rechtsextremen findet aber nicht statt. Jean-Marie Le Pen soll auf Wunsch der Familie zu Hause geblieben sein. Einziger prominenter Gast aus dem Ausland ist deshalb Saif al-Islam al-Gaddafi, der Sohn des Wüstencaudillos, der seit seinem Studium in Wien mit Haider befreundet war.

Die Spitzen der Republik sind dabei

Angetreten sind auch die Spitzen der Republik. Allen voran Bundespräsident Heinz Fischer, Bundeskanzler Alfred Gusenbauer und Vizekanzler Wilhelm Molterer. SPÖ-Chef Werner Faymann und ÖVP-Chef Josef Pröll, die in diesen Tagen Koalitionsverhandlungen für die nächste Regierung aufnehmen werden, marschieren Seite an Seite.

Die Landeshauptleute treten geschlossen auf, zahlreiche Minister und Exminister stellen sich ein. Herbert Haupt, einst kurze Zeit Vizekanzler von Haiders Gnaden, erscheint mit der Mütze seiner deutschnationalen Studentenverbindung. Im Hintergrund hält sich diesmal Haiders Begleiter und "Lebensmensch" Stefan Petzer, der in letzter Zeit zu viele peinliche und tränenreiche Interviews gegeben hat. Er darf auch an der Verklärung von der Rednertribüne nicht teilnehmen.

"Landeshauptmann der Herzen"

Das besorgen andere, unverdächtigere Vertraute. Bergkamerad Teddy Inthal, der sich an seine Wandertouren mit Haider erinnert, appelliert an den Toten: "Erlaube uns hemmungslose Trauer, das tröstet ein wenig." Dieter Böhmdorfer, Exjustizminister und Haider-Anwalt, registriert "eine Welle von Trauer", die "Österreich in dieser Intensität noch nicht gekannt hat". Klagenfurts Bürgermeister, als ÖVP-Politiker eigentlich ein politischer Rivale, trauert um "einen, wie er schon genannt wird, Landeshauptmann der Herzen" und rückt den Verblichenen damit in die Nähe von Lady Diana.

Einer nach dem anderen versucht den Vorredner an Superlativen zu übertreffen. Uwe Scheuch, seit einigen Tagen BZÖ-Chef in Kärnten, wurde von der Todesnachricht bei einem Familienausflug nach Wien überrascht. Sein elfjähriger Sohn soll ungläubig gesagt haben: "Papa, das kann nicht sein. Unser Landeshauptmann kann nicht sterben."

Jeder wisse, so Scheuch, "dass er über 38 Jahre lang die Kärntner Politik, die Bundespolitik, ja die europäische Politik gestaltet hat". Kärnten sei unter Haider gerechter, traditioneller und "ein gutes Stück besser geworden".

"In Kärnten ist die Sonne vom Himmer gefallen"

Gerhard Dörfler, der in den nächsten Tagen vom Kärntner Landtag zum Nachfolger Haiders als Landeshauptmann gewählt werden soll, wiederholt seinen Spruch: "In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen und die Uhren sind stehen geblieben." Er behauptet: "Über all seinem Tun ist Fairness gestanden", was zahlreiche politische Gegner oder die Vertreter der slowenischen Minderheit in Kärnten so sicher nicht bestätigen können. Letztere lassen sich auf der Trauerfeier im Übrigen nicht blicken.

Auszug aus der Kathedrale. Bild: ap

Auch Haiders Nachfolger haben ja gelobt, dass sie die Politik ihres Vorbilds fortsetzen werden. Das verheißt Stillstand in der Frage der zweisprachigen Ortstafeln, die längst in mehreren gemischten Gemeinden aufgestellt sein sollten, und harte Hand gegen Asylwerber, die bei geringstem Verdacht auf Fehlverhalten abgeschoben oder auf einer entlegenen Alm interniert werden.

Nur Gusenbauer will nicht lobhudeln

Einzig Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, SPÖ, bemüht sich um eine differenziertere Würdigung des Toten. Er sei einer gewesen, "der niemanden kalt gelassen hat, im Positiven wie im Negativen". Haider habe Kritik an Verhältnissen geäußert, die veränderungswürdig waren". Seine Antworten seien aber "nicht alle allgemein anerkannt" gewesen.

Es sei aber ein Fehler seiner Gegner gewesen, die Kritik zu kritisieren, nur weil sie von Haider gekommen sei. Gerade das hat ihn ja stark gemacht, wie Gusenbauer nicht hinzufügen muss. Das einzig Tröstliche am Tod sei, "dass er etwas versöhnt, was im Leben nicht zu versöhnen war".

Nach der Bundeshymne erklingt noch die Kärntner Landeshymne, deren Text erklärt, warum es in Kärnten noch immer so leicht ist, die Mehrheit gegen die slowenische Minderheit aufzuhetzen: "Wo Mannesmut und Frauentreu / die Heimat sich erstritt aufs neu, / wo man mit Blut die Grenze schrieb / und frei in Not und Tod verblieb; / hell jubelnd klingts zur Bergeswand: /das ist mein herrlich Heimatland!"

Nicht die Politik, sein Auftreten bleibt in Erinnerung

Es ist nicht der Politiker Jörg Haider, den die Menschen im Herzen behalten, denn das politische Erbe des notorischen Populisten ist mager. Und keiner der Redner hält es für angebracht, die Verschärfung der Ausländergesetze und Schikanen für Angehörige der Minderheiten als Verdienste seines unermüdlichen Wirkens zu preisen.

Vielmehr weiß fast jeder von einer persönlichen Begegnung zu berichten, die ihn beeindruckt habe. "Er hat mich mit dem Regenschirm über den Zebrastreifen begleitet", erzählt der 17-jährige Bürolehrling Matthias Köhldorfer, dem vor Rührung fast die Stimme versagt. Und ein etwa 40-jähriger Finanzbeamter, der sich nicht als uneingeschränkter Fan outet, hält Haider für einen einmaligen Politiker, "weil er Österreich in gewissem Maße verändert hat". Er habe allerdings auch Schwächen gehabt: "Er hat polarisiert."

Haider und die Schwulenbar

Ganz Kärnten scheint zu trauern. Ganz Kärnten? Man muss nur vom Landhaus ums Eck biegen, um auf das Lokal "La Vida" zu stoßen. La vida, das Leben, ist hier nicht erloschen. Der verblichene Landeshauptmann ist hier kein Thema. Kein Thema ist er auch im Schwulentreff "Zum Stadtkrämer", wo Jörg Haider die letzte Stunde seines Lebens verbracht haben soll.

Der Ort ist nämlich bis 20. Oktober "wegen Umbau" geschlossen. Offensichtlich wollten zu viele Journalisten und Neugierige wissen, was sich zwischen Haiders Abschied von einer Party in Velden am Wörthersee und seinem Unfalltod auf der Landstraße wirklich getan hat und wie er es schaffte, von Velden scheinbar nüchtern wegzufahren und zwei Stunden später 1,8 Promille im Blut zu haben. Eine Zeitung veröffentlichte ein Foto, das Haider mit einem anonymisierten jungen Mann an der Bar vor einer Batterie Gläser zeigt. Das Nachrichtenmagazin Profil will von einer Flasche Wodka wissen.

Haiders Nachfolger als BZÖ-Obmann, Stefan Petzner, gibt sich dazu wortkarg. Was er als Privatmann gemacht habe, gehe niemanden etwas an. Die Familie wird zu verhindern versuchen, dass sich die Nebel lichten und das Image des untadeligen Familienmenschen angekratzt wird. Staatsanwalt Gottfried Kranz, der die Information über die Blutwerte bestätigt hatte, ist wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses angezeigt worden.

Mit Tempo 170 in die Böschung

Die Aufklärung der Todesumstände des Landeshauptmanns, der kurz nach diesem letzten Stelldichein mit - wie man nun weiß - 170 Sachen gegen die Böschung fuhr und sich dreimal überschlug, würde am sorgsam gestrickten Mythos kratzen.

Die Kapelle im Haiderschen Bärental, wo die Urne mit den eingeäscherten Überresten des Toten beigesetzt wird, wird nun wohl zur Pilgerstätte werden.

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