Spekulationen mit Müllpreisen: In der Papierfalle

Altpapier ist im vergangenen Jahr zum begehrten Rohstoff geworden. Auch manche Kommunen haben angefangen selbst zu sammeln.

Ist ein wertvoller (Sekundär-)Rohstoff geworden: Altpapier Bild: dpa

Der Markt für Recycling-Kunststoff ist besonders anfällig, denn anders als bei Metallen und Altpapier ist die Wiederverwertung von Kunststoffen teuer. Bei sinkenden Preisen für Rohöl, das den Grundstoff für Kunststoffe bildet, lohnt es sich nicht mehr, sagt der Abfallexperte des BUND, Hartmut Hoffmann. Derzeit geraten die Entsorger also von zwei Seiten unter Druck: Der Ölpreis sinkt, ebenso die Nachfrage und damit der Preis von Kunststoff. Recyclingware ist damit zu teuer. "Ökologisch und volkswirtschaftlich macht die Wiederverwertung immer noch Sinn", so Hoffmann. Allerdings berichten Unternehmen, dass der Markt seit Beginn der Finanzkrise absolut zu sei. "So eine Situation hatten wir bisher noch nie", sagt der Ludwigsburger Entsorgungsunternehmer Peter Kurz. 600 Tonnen Kunststoffschnitzel lagert allein sein Unternehmen. Seine Lagerhallen reichen längst nicht mehr aus, auf Freigelände wachsen nun die Kunststoffberge. "Ich bin sicher, dass der Kunststoff im Frühjahr wieder Käufer findet", sagt der BUND-Experte, "wenn auch zunächst für wenig Geld." Die Lagerung von großen Mengen Kunststoffmüll findet er problematisch. Ist der Müll nicht sauber, könne sich Methan-Gas bilden, so Hoffmann. Beim kleinsten Funken führe das zu Bränden. Trotzdem sei es besser, auf bessere Preise zu hoffen, als das Recyclingmaterial zu verbrennen, die Energiebilanz sei zu schlecht.

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Schrott trägt seinem Namen derzeit Rechnung - sein Wert verfällt immer weiter. Hatten sich die Preise für Altmetall im ersten Halbjahr 2008 verdoppelt, sinken sie nun seit Monaten rapide, so der Recycling-Experte Jürgen Zachmann vom Europäischen Wirtschaftsdienst Euwid. Zwischen 120 und 170 Euro wird derzeit für eine Tonne Stahlschrott gezahlt: bis zu 300 Euro weniger als vor einem halben Jahr. Allerdings: Verglichen mit einem längeren Zeitraum ist das noch immer viel, lag doch die Tonne jahrelang um 80 bis 100 Euro. Beim Stahlschrott hat vor allem die Türkei für deutliche Nachfrage gesorgt. Dort gibt es zwar eine große Stahlindustrie, aber kaum ein eigenes Schrottaufkommen. "Türkische Einkäufer fegen regelmäßig den Markt leer", sagt Zachmann, da vor allem sie den Stahl für die Großbaustellen in Dubai lieferten. Wird am Persischen Golf weniger gebaut, leiden die Schrotthändler in Deutschland. Allerdings gibt es Anzeichen dafür, dass die Preise für Altmetall nun nicht weiter sinken werden und es ab März eine Erholung der Märkte geben könnte. Die niedrigen Preise beim Altmetall entsprechen dem Wertverfall auf dem Markt für Industriemetalle. Diese sind derzeit so billig wie lange nicht mehr. Überall werden Metalle gehortet: In den Lagerhäusern der Londoner Metallbörse stapeln sich 281.000 Tonnen Kupfer und 1,7 Millionen Tonnen Aluminium. HOL

Der Kreis Unna hat mit Müllpreisen spekuliert - und gewonnen. Als im vergangenen Frühjahr die Preise für Altpapier nach oben schossen, schloss die kreiseigene Gesellschaft für Wertstoff- und Abfallwirtschaft (GWA) einen Vertrag mit dem Entsorgungsunternehmen Remondis ab. Ab 1. Januar 2009 zahlt der Kreis den beteiligten Kommunen 84 Euro pro gesammelter Tonne Altpapier, Remondis kauft sie dem Kreis dann für noch mehr Geld ab. Für wie viel, ist geheim. Für die öffentliche Hand ist das auf jeden Fall ein gutes Geschäft - als der Vertrag geschlossen wurde, kostete die Tonne Altpapier noch um die 100 Euro. Dann sanken die Preise, erst langsam, dann im Sturzflug. Inzwischen zahlen Papierfabriken um die zehn Euro pro Tonne. Pech für Remondis.

Auch die Verbraucher könnten sich noch ärgern. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Kommunen ab 2010 die Müllgebühren anheben", sagt Jörg Lacher, Sprecher des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung in Bonn. Meist setzten Städte und Gemeinden ihre Gebühren gegen Jahresende für das kommende Jahr fest - "für 2009 sind die Gebührenordnungen wohl meist schon durch", sagt Lacher, "doch 2010 werden viele Kommunen die sinkenden Erlöse aus dem Altpapiergeschäft an die Haushalte weitergeben."

Steigende Müllgebühren, gelackmeierte Entsorgungsfirmen - auf dem vor kurzem noch heiß umkämpften Altpapiermarkt stehen die Kontrahenten nun ratlos herum. Altpapier war im vergangenen Jahr zum begehrten Rohstoff geworden. Den konnten die Bürger plötzlich in vielen Kommunen nicht mehr nur in städtische blaue Tonnen oder gar zu kommunalen Sammelstellen bringen. Immer mehr private Entsorgungsunternehmen von Lübeck bis Konstanz parkten ihre Papiertonnen bei privaten Haushalten. Dabei haben sich die unterschiedlichsten Modelle herausgebildet: Die Kommunen sammeln selbst - wie etwa Hamburg mit dem städtischen Unternehmen Stadtreinigung Hamburg (SRH). Dort plant man, im kommenden Jahr sogar die Vermarktung des gesammelten Papiers in eigene Hände zu nehmen oder sich zumindest an ihr zu beteiligen. Meist aber verkaufen Städte, Kreise oder Gemeinden das Altpapier an private Entsorger weiter. Wenn diese nicht sowieso selbst sammeln.

Doch wie lange noch? Inzwischen ist die Nachfrage nach allen Sekundärrohstoffen - also recyclingfähigem Abfall von Metallen über Kunststoff eben bis hin zum Altpapier, auf allen Märkten zusammengebrochen. Besonders auch auf jenen, die dort vorher für Höhenflüge gesorgt hatten. Vor allem die Unternehmen in China kaufen derzeit kaum noch Altpapier, beobachtet Jürgen Zachmann, Redakteur des Branchendienstes Euwid. Der chinesische Wirtschaftsboom hatte viel Papier und Pappe gefordert - nicht nur aufgrund stetig wachsender Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften. Produzierte Waren müssen zum Verkauf verpackt werden, und dazu ist Pappe nötig. Weniger Waren - weniger Pappe. Außerdem haben Exporteure derzeit Schwierigkeiten, sich ihre Geschäfte über Auslandsbürgschaften bei den Banken absichern zu lassen. Die Papierfabriken in Deutschland haben, wie jedes Jahr im Advent, einen Gang heruntergeschaltet. Ende November haben sie ihr Weihnachtsgeschäft gemacht.

Die Preise für Altpapier schwanken ständig, sagt Euwid-Redakteur Zachmann. Doch der rasante Höhenflug mit dem folgenden Absturz in diesem Jahr sei neu. 15,4 Millionen Tonnen Altpapier sind 2007 in Deutschland gesammelt und wieder verwertet worden. Das bedeutet, dass knapp über 70 Prozent des Papiers in Deutschland recycelt werden. Gut so, sagt das Dessauer Umweltbundesamt, denn Recyclingpapier sei wesentlich umweltfreundlicher als solches aus Zellstoff. Der Energieaufwand für die Herstellung ist niedriger, außerdem müssen für Recyclingpapier keine Bäume dran glauben. In Dessau sieht man den Preisverfall fürs Altpapier deshalb mit Sorge. Zwar ließen sich die Folgen noch nicht abschätzen, doch sei die Situation für einige Mittelständler existenzbedrohend.

Der deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) prophezeit, dass sich die privaten Entsorgungsfirmen nun von der Sammlung zurückziehen. "Die betreiben doch Rosinenpickerei", sagt Till Spannagel, Abfallexperte des DStGB, "wenn sich das Geschäft nicht mehr lohnt, überlassen sie die blauen Tonnen wieder den Kommunen." Die Lehre, die aus dem Preissturz zu ziehen sei, sei klar: "Wir müssen dem Trend zur Privatisierung widerstehen", sagt Spannagel. Es zeige sich, dass die kommunalen Unternehmen die Abfallentsorgung besser gewährleisten könnten, weil sie nicht direktem Gewinnstreben unterworfen seien.

Preise im freien Fall

Diesen Vorwurf haben die privaten Entsorgungsunternehmen erwartet - und wehren ihn genervt ab. "Wir sammeln trotzdem weiter", sagt eine Sprecherin die Schweriner Gollan GmbH. Das Entsorgungsunternehmen war noch im Frühjahr in den Schlagzeilen als eine der Parteien im "Lübecker Papiertonnen-Krieg". Gleich vier Firmen hatten damals den Einwohnern blaue Tonnen vor die Haustüre gestellt und um den lukrativen Abfall gebuhlt. Auch ihr Konkurrent, der Hamburger Entsorger Veolia, hatte Tonnen in Lübeck aufgestellt und verspricht nun ebenfalls, den "Altpapierservice" sicherzustellen, auch bei Preisen im "freien Fall".

Die Unternehmen setzen darauf, dass sich die Preise langfristig wieder stabilisieren. "Die Leute brauchen doch weiter Papier", sagt die Gollan-Sprecherin. Und weiterhin bleibe es billiger, Papier aus Altpapier herzustellen, als aus Zellstoff. Auch bei dem vom Kreis Unna gebeutelten Unternehmen Remondis aus Lünen gibt man sich gelassen. "Dieser Absturz ist eine Marktübertreibung nach unten", sagt Remondis-Sprecher Michael Schneider. Am Rohstoffmarkt habe sich doch nichts fundamental geändert: "Rohstoffe sind knapp, und sie werden immer knapper." Und Recycling-Experte Zachmann sieht keinen Grund für Katzenjammer. "Die Entsorger leben von den Handelsspannen", sagt er. Bekommen sie wenig, zahlen sie auch wenig. Leidtragende seien also eher Kommunen und Gebührenzahler - und diejenigen Unternehmen, die sich zu einer Abnahme zu Festpreisen verpflichtet hätten. Wie etwa Remondis im Kreis Unna. Meist seien Verträge aber so gestaltet, dass sie Preisschwankungen berücksichtigten.

Hartmut Hoffmann, Sprecher des Arbeitskreises Abfall des Bundes für Umwelt und Naturschutz, BUND, sieht angesichts der Preiskrise das Modell einer rein privaten Entsorgung von Altpapier als gescheitert an. Es zeige sich, dass die Gemeinden das Altpapier von Bürgern und Unternehmen selbst übernehmen sollten, sagt der Abfallexperte. "Selbst wenn die privaten Entsorger guten Willens sind", sagt Hoffmann, "was geschieht, wenn einer Pleite macht?", fragt er. Um die Entsorgung sicherzustellen, sollten die Kommunen das Papier selbst abholen und es dann an private Unternehmen verkaufen, schlägt er vor. Das Papier an Papierfabriken zu vermarkten, traut Hoffmann Städten und Gemeinden nicht zu, das könnten Privatunternehmer besser. Wie und ob die den derzeitigen Preisverfall überstehen, entscheidet sich in den nächsten Monaten.

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