Ostküste Sri Lankas zurückerobert: Nur der Anschein von Normalität

Nach der Vertreibung der tamilischen Befreiungstiger ist Sri Lankas Ostprovinz auf dem Weg zur Normalität. Zumindest tut die Regierung so. Rücksiedlungen sind Teil dieser Strategie.

Folgen der Polizei und lassen sich registrieren: Tamilen in Sri Lankas Hauptstadt Colombo. Bild: dpa

Yogarani hat ihre vierjährigen Zwillingstöchter für den Feiertag herausgeputzt. Sie hat die beiden frisch gebadet, ihnen saubere T-Shirts angezogen, Ohrgehänge befestigt und eine Kunststoffblume ins Haar gesteckt. Ende Oktober feiern die hinduistischen Tamilen das Fest der Lichter. Sie ziehen ihre schönsten Kleider an, gehen in den Tempel und kochen etwas Besonderes. Doch bei Yogarani, die mit 22 Jahren schon vierfache Mutter ist, gibt es keine Spezialitäten zu essen. Ihr Vater, der siebzigjährige Mututukumar, ist froh, dass im Flüchtlingslager von Kiliveddy überhaupt etwas auf den Tisch kommt. "Ich hatte zwei Hektar Land", erzählt er, "die Hälfte war ein Reisfeld, und rund um das Haus haben wir Gemüse angebaut." Der Familie von Yogorani und Mututukumar ging es früher nicht schlecht in ihrem Dorf unweit der Stadt Muthur, an Sri Lankas Ostküste.

Die Ostprovinz Sri Lankas setzt sich aus drei Bezirken zusammen: Trincomalee, Batticaloa und Ampara. Bis 2006 wurde das Gebiet in weiten Teilen von der tamilischen Befreiungsorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kontrolliert. Nirgends ist Sri Lankas ethnische Vielfalt deutlich sichtbarer als in dieser Provinz. Tamilische, singhalesische und muslimische Dörfer wechseln einander ab. In den Städten leben alle drei Volksgruppen nebeneinander, besuchen aber unterschiedliche Schulen und bestatten ihre Toten auf verschiedenen Friedhöfen: nach hinduistischem, buddhistischem, christlichem oder muslimischem Ritus. Der bewaffnete ethnische Konflikt zwischen separatistischen Tamilen und der singhalesisch dominierten Regierung tobt seit 25 Jahren. Viele Tamilen kennen nichts anders als den Krieg. Der 2002 geschlossene Waffenstillstand, der der Bevölkerung für vier Jahre ein relativ ruhiges Dasein ermöglichte, wurde schnell hinfällig.

Im April 2006 begann die sri-lankische Armee, die von der tamilischen Tigers kontrollierten Gebiete der Ostprovinz zurückzuerobern. Wochenlang tobte der Krieg. Die Bevölkerung flüchtete und fand Aufnahme in Lagern der Stadt Batticaloa, rund hundert Kilometer südlich von Muthur. Im März 2007 wurde dann das Lager von Kiliveddy, nur wenige Kilometer westlich von Muthur, eingerichtet, ausgestattet vom UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR und bewacht von der Armee.

Unter dem Regime der Befreiungstiger gab es nicht nur mehr zu essen, man hatte auch mehr Bewegungsfreiheit als im Lager, versichert Yogarani. Und dies, obwohl sie, wie auch alle anderen, regelmäßig an "Verteidigungsübungen" der Tigers teilnehmen musste. Ihnen anschließen wollte sie sich aber nicht. Um nicht für den Kampf rekrutiert zu werden, flüchtete die junge Frau in eine frühe Ehe.

Inzwischen sind die Bastionen der LTTE in der Ostprovinz alle gefallen. Regierungskräfte kontrollieren die Straßen. Vor einigen Monaten hat die Regierung damit begonnen, die rund 100.000 Vertriebenen wieder anzusiedeln. Mututukumar will vorerst im Lager bleiben, obwohl das Leben in den Wellblechbaracken fast unerträglich ist. Sein Land ist militärisch besetzt, und mehr als eine winzige Parzelle als Ersatz bietet ihm die Regierung nicht an.

Mittlerweile hat die Regierung mit der Rücksiedlung nach Chennayoor, rund zehn Kilometer von Muthur, begonnen. Die tamilischen Bauern sind darüber nicht glücklich. Sie wurden von den Behörden ohne Vorwarnung in Busse verfrachtet und vor der Schule ihres Dorfes abgesetzt. Als sie zu den Ruinen ihrer Häuser wollten, wurden sie von Soldaten gestoppt. "Ein Marinekommandant erklärte uns, unser Dorf sei jetzt eine Hochsicherheitszone, wir könnten da nicht hin", sagt Sivandanam, der mit seiner Frau und seinen vier Kindern in Chennayoor abgesetzt wurde. Auch die Felder liegen hinter dem Stacheldrahtzaun, den die Soldaten errichtet haben. Während überall sonst im Land die Bauern ihre Reisfelder bestellen, sitzen die Männer in Chennayoor auf dem Boden und spielen Karten. Zur Untätigkeit verurteilt.

Sri Lankas Regierung ist bemüht, an der Ostküste den Anschein der Normalität zu wahren. Rücksiedlungen sind Teil dieser Taktik. Wie die Leute leben und welche Perspektiven sie haben, ist schließlich aus Statistiken über das Sinken der Zahl von Kriegsvertriebenen nicht herauszulesen. Während im fast rein tamilischen Norden seit Monaten heftige Kämpfe um die Hochburgen der Tigers toben, gilt die ethnisch gemischte Ostprovinz als befriedet.

Bei der Vertreibung der Rebellen erhielt die sri-lankische Armee Schützenhilfe von einer LTTE-Dissidentengruppe, die sich 2004 unter Vinayagamoorthy Muralitharan alias Oberst Karuna abgespalten hatte. Sie wütete danach als paramilitärische Truppe unter dem Schutz der Militärs. Heute ist diese Gruppe als politische Partei unter dem Kürzel TMVP organisiert und konnte als einzige tamilische Kraft bei den Regionalwahlen im Mai in manchen Bezirken die Mehrheit erringen. Sie stellt den Provinzgouverneur Sivanesathurai Chandrakanthan alias Pillayan und die Bürgermeisterin der Stadt Batticaloa. Ihre Aktivisten sind weiterhin bewaffnet.

"Die Angehörigen der TMVP bedrohen die Menschen, kidnappen für Lösegeld, rekrutieren Jugendliche und besorgen sich mit Waffengewalt Lebensmittel. Sie verjagen Leute mit Waffengewalt aus ihren Häusern." Pater Paul Satkunanayagam, der in Batticaloa ein Waisenhaus und ein Zentrum für Traumapatienten eingerichtet hat, kennt diese zur politischen Partei geadelte Splittergruppe gut. Schließlich suchen immer wieder Deserteure seinen Schutz. "Die haben keine Disziplin", stellt der Jesuitenpater fest, "ganz anders als die LTTE-Leute aus dem Norden". Die Polizei, so Pater Paul, sei nicht in der Lage, diese Umtriebe zu stoppen. Und die Armee halte still, weil sie die TMVP-Leute als Informanten braucht. Diese kennen die LTTE-Kader, die in der Bevölkerung untergetaucht sind und jetzt teilweise "von Unbekannten" erschossen werden.

Eine positive Folge hat die Wiedereroberung der Ostprovinz durch die Regierung doch: Die Küstenstraße zwischen Trincomalee und Batticaloa ist wieder frei. Allerdings besteht sie aus einem seitlich ausgefransten und von Schlaglöchern durchsetzten Asphaltstreifen, auf dem man noch langsamer vorankommt als auf ungepflasterten Straßen. Abseits der Hauptstraße warnen rote Schilder und Absperrbänder vor Tretminen. Alle drei Kilometer kontrollieren Armee, Polizei, Militärpolizei oder Bürgerwehren die Reisenden.

Der Wiederaufbau an der Ostküste konzentriert sich auf die Gemeinde Vakarai im Bezirk Batticaloa, wo die sri-lankische Luftwaffe 2006 bei einem einzigen Angriff 23 Menschen - größtenteils Schulkinder - tötete. Offenbar will die Regierung gerade hier zeigen, wie sehr ihr die tamilische Bevölkerung am Herzen liegt.

Auch andere Wunden sind noch nicht verheilt. Das gilt auch für Muthur, eine gesichtslose Kleinstadt, deren bucklige Straßen von Moped-Rikschas und Fahrrädern beherrscht werden. Neben dem Krankenhaus steht ein Gebäude, das als Kulturhaus ausgewiesen ist. Bis vor zwei Jahren war dort eine Zweigstelle der französischen Hilfsorganisation Action contre la Faim (ACF) untergebracht. Keine Plakette, kein Gedenkstein erinnert an die Opfer des Massakers vom Sommer 2006: Damals waren sechzehn tamilische Mitarbeiter von ACF in Muthur eingeschlossen, während die Armee die von der LTTE kontrollierte Stadt belagerte. Nach Einzug der Regierungstruppen fand man die sechzehn Mitarbeiter und den muslimischen Pförtner erschossen auf: Sie lagen in einer Reihe, alle mit einem Kopfschuss exekutiert. Bis heute verschleppt die Regierung die Untersuchung des Massakers. Angehörige, deren Aussagen die Truppen belasten könnten, wurden bedroht.

Zwei Jahre später herrscht immer noch ein Klima der Angst an der Ostküste. Die Nervosität der Militärs und die übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen entlang der Straßen zeigen, wie instabil die Lage ist. Zwar finden die großen Gefechte nur mehr im Norden statt, doch fast täglich verschwinden Menschen oder werden erschossen. Nicht nur Tamilen - immerhin die größte Bevölkerungsminderheit in Sri Lanka - gelten der Regierung allgemein als suspekt. Es reicht schon, wenn jemand nur die tamilische Sprache beherrscht, wie Sumanarathna, der einzige buddhistische Mönch in Batticaloa. Er gilt der Armee als LTTE-Sympathisant, weil er mit Tamilen spricht. Zudem begann die Armee im September, alle Bewohner tamilischer Haushalte in der Ostprovinz zu registrieren. Das Zusammenleben zwischen den tamilischen und singhalesischen Volksgruppen werde durch diese Politik nicht gefördert, klagt eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation USAID in Trincomalee: "Die Regierung hält das für Geldverschwendung."

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