Russland gibt Beutekunst zurück: Der Kalte Kunstkrieg

Im November sind die ersten Beutekunstwerke seit 50 Jahren von Russland an Deutschland übergeben worden. Die Politik feiert dies als eine entscheidende Wende.

Wieder da: Schöpfungsfenster der Marienkirche in Franfurt (Oder). Bild: ap

Die deutsch-polnische Grenzstadt Frankfurt (Oder) ist nicht gerade ein "Leuchtturm" unter deutschen Kulturmetropolen. Es gibt ein Heinrich-von-Kleist-Museum, das Junkerhaus und einige Galerien. Damit hat es sich im Wesentlichen. Dennoch ist der Stadt jetzt eine Sensation gelungen. Bernd Neumann, Staatsminister für Kultur und Medien, reiste vor drei Wochen an, um "das Kunstwerk von unschätzbarem Wert und großer Einzigartigkeit" mit auszupacken. Der Staatsminister sprach von einem Meilenstein in der deutsch-russischen Kulturpolitik und einem "Zeichen der Versöhnung zwischen Deutschland und Russland".

Bei dem Kunstwerk handelt es sich um die 600 Jahre alte spätgotische Bilderbibel in den Fenstern des Frankfurter St. Mariendoms. Im Jahr 2002 kehrten die ersten Scheiben aus Russland zurück, jetzt der Rest der so genannten Beutekunst. Die großen Bleiglasfenster, die in wunderbaren Motiven und Farben die Geschichten aus dem Alten Testament erzählen, gehören zu den wertvollen 117 Glasmosaiken, die nach dem Zweiten Weltkrieg von "Trophäenbrigaden" der Roten Armee in die Sowjetunion abtransportiert wurden.

Die mittelalterlichen Marienfenster sind die einzigen Beutekunststücke aus den russischen Depots, die seit 50 Jahren an ihren ursprünglichen Platz zurückkehrten. Dies als Meilenstein zu bezeichnen, ist mutig. Zwar hatte sich Neumann vehement für die Restitution nach Deutschland eingesetzt und jahrelang mit Moskau verhandelt. Rechtlich und politisch bedeutet die Freigabe der Glasmosaike aber eine einseitige russische Angelegenheit. Geht es um "kriegsbedingt verlagertes Kulturgut" aus dem einstigen Nazireich in die Sowjetunion, kennt das Duma-Gesetz von 1998 keinen Verhandlungsspielraum. Schätzungsweise eine Million Kunstwerke und über vier Millionen Bücher, Handschriften und Archivbestände aus Kilometer langen Bibliotheksregalen hat Russland zu seinem Besitz erklärt. Die deutsche und internationale Rechtsposition, die sich auf die Haager Konvention von 1907 und 1954 beruft, wonach Kunstwerke bei bewaffneten Konflikten weder zerstört, geraubt noch widerrechtlich in Besitz genommen werden dürfen, findet in der Duma kein Gehör.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und Russlandkenner, hält darum die Rückgabe der Marienfenster "für eine symbolhafte Geste", die höchstens als ein Indiz "des Umdenkens" in Sachen kulturellen Erbes auf offizieller russischer Seite gelesen werden könnte. Mehr nicht. Vielmehr berühre die Rückgabesymbolik eine historische und moralische Dimension im deutsch-russischen Verhältnis, um das Bewusstsein und "die Dankbarkeit" für die wohl größte Rückgabeaktion von deutschem Kulturgut in der Geschichte zu schärfen. "Es geht um die Erinnerung an 1958, die Rückkehr von zirka 1,5 Millionen Kunstwerken aus der Sowjetunion an ihre angestammten legitimen Aufbewahrungsorte in Deutschland vor 50 Jahren."

Die Rückführung der Werke in 300 Güterwaggons 1958 aus den Händen der Sowjetunion war ein kulturpolitisches Signal und bedeutete eine Aufwertung des sozialistischen Bruderstaates, so der SPK-Chef. "In der DDR wurde die Rückgabe als große Geste gefeiert. In der Bundesrepublik stieß das Ereignis nur auf verhaltene Anteilnahme." Die Sowjetunion hatte bereits 1955 begonnen, Kunstwerke zurückzugeben, insbesondere Bilder aus der Dresdner Gemäldegalerie. Mit der spektakulären Aktion von 1958 erreichte die Restitution eine Dimension, die die Herausgabe alliierter Bestände an die Bundesrepublik weit übertrumpfte. Zurück kamen die russischen Beutestücke aus Sanssouci und den preußischen Schlössern und Gärten. Gemälde gingen nach Dresden, Waffen nach Schwerin, Dokumente nach Dessau und Gotha. Die Berliner Museumsinsel, von 1945 bis 1958 ein zertrümmerter öder Kubus, füllte sich wieder auf mit Skulpturen, Bildern und den Kunstschätzen der Weltkultur - darunter der Pergamonaltar. "Vielen Sammlungen aus dem einstigen preußischen Erbe in Ostberlin und Potsdam, Brandenburg und Sachsen wurde damit erst wieder zu kulturellem Weltrang verholfen", erklärt Parzinger. All dies war 1945 und 1946 zusammen mit rund 2,6 Millionen Kunstwerken aus den Museen und Depots, Schlosskellern und Bunkern, privaten Sammlungen und Verstecken vornehmlich im Osten des Deutschen Reiches von Kunstspezialisten in der Roten Armee beschlagnahmt worden. "Der Schatz von Troja", das "Grüne Gewölbe" aus Dresden und Raffaels weltberühmte "Sixtinische Madonna" wanderten in Gefangenschaft. Dabei waren auch Werke, die Nazis zuvor aus jüdischem Besitz entwendet hatten: so genannte Raubkunst. Die kulturelle Enthauptung des faschistischen Deutschlands bedeutete eine Reaktion auf die Zerstörungen der Hitler-Armeen in Russland während des Zweiten Weltkriegs. Zugleich diente die Beute als Kompensation für die Verluste eigener Sammlungen. Die deutschen Bestände verschwanden zum Teil in Geheimdepots der Eremitage in Leningrad oder des Puschkin-Museums in Moskau. Bis 1958.

Wenn man derzeit Ausstellungen in Berlin, Potsdam, Schwerin, Gotha oder Dessau besucht, gerät jene Jahreszahl in den Blick. Das Jubiläum zum 50. Jahrestag der Rückgabe aus Moskau taucht in den Titeln der Schauen auf. Für die Bundesregierung und ihren Staatsminister Bernd Neumann sind die "Regeln zum Schutz von Kulturgut nach der Haager Konvention" bezüglich der russischen Beutekunst "bindend". Es gelte der Rückgabeanspruch der Bundesrepublik sowie die Pflicht der russischen Seite, ihre Depots mit deutschem Eigentum zu räumen. Es gibt auch härtere Töne, wie die von Aachens Museumsdirektor Peter van den Brink: "Es wäre am besten, wir hätten für jedes Bild einen internationalen Haftbefehl parat liegen, mit dem wir, sobald es irgendwo auftaucht, sofort jemanden losschicken könnten." Selbst die Behutsamkeit, mit Kunstwerken umgehen zu können, wird den Russen abgesprochen, wie Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Schlösser und Gärten, findet: "Wir können nicht davon ausgehen, dass sich die Kunstwerke gut aufgehoben in staatlichen Archiven befinden."

Öffnung von Depots

Wie die Grenzlinien verlaufen, verdeutlichen die Glasmosaike: Während Bernd Neumann den Duma-Beschluss zu den Marienfenstern zum Anlass nahm, dies "als wichtigen Schritt zur endgültigen Rückgabe" aller Objekte zu stilisieren, kassiert Antonowa diese Hoffnung. Die Rückgabe der Glaskunstwerke stelle keine grundsätzliche Veränderung in der russischen Haltung zur Beutekunst dar, betont sie. "Sie wissen ja, dass unser Gesetz über die Trophäenkunst die Rückführung religiöser Kunst ermöglicht." Dies sei bei den Frankfurter Marienkirchenfenstern der Fall gewesen. Für anderes gelte das nicht. Auch Russlands Botschafter Wladimir Kotenev meint, es gebe derzeit "nichts" zu verhandeln.

Britta Kaiser-Schuster ist Projektleiterin für den "Deutsch-Russischen Museumsdialog", der einen dritten Weg in dem festgefahrenen Beutekunst-Verhältnis versucht. Und durchaus erfolgreich. Parzinger ist der Sprecher des "Dialogs". Achtzig deutsche Museen haben sich in dem Projekt seit 2005 zusammengetan. "Es geht uns nicht um die Fragen, wem gehört das Kunstwerk", betont Kaiser-Schuster. Der Deutsch-Russische Museumsdialog strebe den Austausch an sowie die "Öffnung von Depots und Archiven". Erst dann könne man sagen, wie viele Werke dort lagerten. "Seit 50 Jahren weiß man zu wenig, wie es um die Dinge bestellt ist, es geht um mindestens 800.000 bis eine Million Kunst- und Kulturgüter aus deutschen Museen und Sammlungen und Millionen Bücher in russischen Depots, das gilt es zu erforschen." Es ist kein einseitiger Dialog. Richard von Weizsäcker und Valentin Falin, Exbotschafter in Bonn, unterstützen ihn, russische Kunsthistoriker und Museen wie in Moskau und St. Petersburg arbeiten an Projekten. Bei der großen Moskauer Merowinger-Ausstellung "Europa ohne Grenzen" von 2008 trug dieser neue Pragmatismus erste Früchte. Die Russen zeigten erstmals die erbeuteten Goldschätze aus den Berliner Museen. Die SPK unterstützte das Vorhaben mit eigenen Gaben und 150.000 Euro. "Die Objekte haben wir gemeinsam ausgepackt", erinnert sich Kaiser-Schuster. Es sei eine gemeinsame Ausstellung und im Katalog wurde auf das Thema Provenienz der Werke hingewiesen. "Das war ein Novum." Das ist viel auf dem Weg, den Kalten Kunstkrieg zu beenden. Nach Berlin kann die Schau allerdings nicht. Die Polizei müsste die Beutestücke beschlagnahmen.

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