EIGENSTÄNDIG UND SOZIAL

Der Runde Tisch: Vier Wochen nach dem Mauerfall, am 7. Dezember 1989, gründet sich in Ostberlin der Zentrale Runde Tisch. An ihm sitzen Abgesandte der „alten Kräfte“ den Repräsentanten von sieben Oppositionsgruppen gegenüber. Kirchenvertreter übernehmen die Moderation. Ziel ist es, die amtierende Volkskammer zu kontrollieren, freie Wahlen vorzubereiten, das Ministerium für Staatssicherheit aufzulösen. Und eine neue Verfassung zu erarbeiten.

Die Verfasser: Der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ gehörten 48 Personen verschiedener Gruppierungen an. Die Präambel hat die als Integrationsfigur anerkannte Schriftstellerin Christa Wolf verfasst. Zu den bundesdeutschen Experten zählte unter anderen der heutige Bestsellerautor Bernhard Schlink, damals noch Juraprofessor in Bonn.

Der dritte Weg: Die neue Verfassung sollte die Grundlage für den sogenannten dritten Weg sein: eine politisch eigenständige DDR. Und so liest sich dieses Dokument auch. Nicht zuletzt dem Einfluss der Bürgerrechtler ist es zu danken, dass das (hier dokumentierte) erste Kapitel nicht wie im Grundgesetz mit „Die Grundrechte“ überschrieben ist, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellt: „Menschen- und Bürgerrechte“. In diesem Kapitel bietet die geplante Verfassung mit 40 Artikeln mehr als doppelt so viele wie das Grundgesetz. Meinungs- und Presse- sowie Kunst- und Wissenschaftsfreiheit sind drei eigene Artikel gewidmet. Hinzu kommen zahlreiche einklagbare soziale Rechte: auf Arbeit, auf soziale Sicherung, auf unentgeltliche Ausbildung, sogar auf angemessenen Wohnraum.

Das Scheitern: Weil die Volkskammerwahl vom 6. Mai auf den 18. März 1990 vorgezogen wurde, konnte die Gruppe den Entwurf nicht rechtzeitig beenden. Deshalb wurden der neu gewählten Volkskammer am 4. April 1990 nur Teile der neuen Verfassung zur Abstimmung vorgelegt. Das Dokument sollte erst Ende April der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und die Arbeitsgruppe sollte weiterhin tätig bleiben. Der Entwurf wurde schließlich am 26. April 1990 zur Abstimmung gebracht und mit 179 Neinstimmen zu 167 Jastimmen und 4 Enthaltungen abgewiesen. PS