Europäischer Energiemarkt: Der verhinderte Wettbewerb

Wegen Preisabsprachen und Korruption verdonnerte die EU-Kommission Eon dazu, sich von Kraftwerksanteilen und Netzen zu trennen. Mehr Wettbewerb oder geringere Preise gibt es trotzdem nicht.

Wer die Netze hat, hat die Macht: Steiger arbeiten in 60 Metern Höhe an einer Eon-Leitung. Bild: ap

Mag sich die Automobilindustrie, der Bankensektor und so ziemlich jeder andere Wirtschaftszweig mit der Krise herumplagen, eine Branche ist davon nahezu unbetroffen: der Energiesektor. Mehr noch, beinahe wöchentlich, aber fast unbemerkt werden auf dem Energiemarkt milliardenschweren Geschäfte abgewickelt. Der deutsche Energiemarkt ist in Bewegung, und alle Großen der Branche versuchen hektisch, sich neu zu positionieren.

Die Aufregung ausgelöst hat die Europäischen Kommission. Im Mai 2008 ließ Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zum wiederholten Male die Geschäftsräume von Eon, dem größten Stromkonzern Europas, durchsuchen. Der Verdacht: Manipulationen, Preisabsprachen und Korruption.

Tatsächlich förderte die Beschlagnahmung belastendes Material zutage. Zum Beispiel dafür, dass Eon "Dritte", also ausländische Konkurrenten, daran gehindert hat, "in die Stromerzeugung auf dem deutschen Großhandelsmarkt zu investieren", wie es in der Entscheidung der Komission heißt, die der taz vorliegt.

Nach europäischem Wirtschaftsrecht sind dies schwere Vergehen, die mit einer Strafe von mehreren Milliarden Euro belegt werden könnten. Neelie Kroes ließ Eon nur eine Möglichkeit, um eine solche Strafe zu vermeiden: Der Konzern muss, so ließ die Kommission im November vorigen Jahres wissen, Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 5.000 Megawatt verkaufen - das ist etwa so viel wie sieben große Kraftwerke oder 1.000 große Windräder. Zudem muss sich Eon von seinem Stromnetz trennen. "Zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Kartellrechts veräußert ein Unternehmen bedeutende Vermögenswerte, um Wettbewerbsbedenken auszuräumen", sagte Kroes damals. Dies werde den Wettbewerb auf dem deutschen Markt erhöhen und sich zudem "positiv auf die Strompreise auswirken und den Verbrauchern unmittelbar zugute kommen".

Während die EU-Kommission sich inzwischen auch des deutsches Gasmarktes angenommen hat - Mitte März wurde ein Kartellverfahren gegen RWE gegen die Auflage beendet, dass der Essener Konzern sein Gasnetz verkauft -, ist Eon dazu übergegangen, "sich neu zu strukturieren", wie es der Konzernsprecher Christian Repper formuliert.

Der Konzern will nun seinen Anteil am Braunkohlekraftwerk Lippendorf bei Leipzig sowie das Steinkohlekraftwerk im saarländischen Bexbach an EnBW verkaufen, den viertgrößten Stromanbieter Deutschlands. Die Zustimmung der Aufsichtgremien gilt nur noch als Formsache.

750 Megawatt Leistung aus verschiedenen Kraftwerken verkauft Eon an den norwegischen Statkraft-Konzern, und 1.700 Megawatt gehen an Electrabel, eine belgische Tochter des französischen Energiekonzerns GDF Suez. Zudem erhält Electrabel Bezugsrechte für 800 Megawatt Strom aus den Eon-Atomkraftwerken Unterweser, Krümmel, und Gundremmingen.

Schon im August hatten die Belgier für knapp 300 Millionen Euro ein Drittel des Energiegeschäfts der Wuppertaler Stadtwerke gekauft. Zudem baut Electrabel in Wilhelmshaven ein neues Kohlekraftwerk und plant zwei weitere in Brunsbüttel und Stade. Für den deutschen Markt, der bisher zu 90 Prozent von den Branchenführern Eon, RWE, Vattenfall und EnBW beherrscht wurde, ist das ein enormer Einschnitt. Mit Electrabel und Statkraft werden demnächst zwei neue Akteure auf den Plan treten. "Ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch ein viel zu kleiner", meint Robert Busch, Geschäftsführer des Bundesverbandes Neue Energieanbieter, der das übrige Zehntel der Marktteilnehmer vertritt.

Doch was ändert sich durch die Neuordnung des Marktes für die Kunden? Und wird der Strompreis, wie von der EU-Kommission in Aussicht gestellt, tatsächlich sinken? Den bislang ist er, trotz der gesunkenen Preise für Öl, Gas und Kohle, weiter gestiegen - dem Statistischen Bundesamt nach im vergangenen Jahr im Schnitt um 6,9 Prozent.

"Mitnichten", winkt Aribert Peters, Präsident des Bundesverbandes der Energieverbraucher, ab. "Wenn Eon jetzt fünf Prozent Kapazität abgibt, verändert sich gar nichts." Der von dieser Bewegung auf dem Markt bislang vollkommen unbeeindruckt gebliebene Strompreis scheint ihm Recht zu geben.

Eon jedenfalls hofft, mit den Verkäufen in Deutschland das EU-Wettbewerbsverfahren zu beenden. Und schlechter steht der Konzern deswegen nicht da: Schließlich hat Eon seine Kraftwerke bzw. seine Anteile nicht komplett verkauft. Ein Teil davon wurde vielmehr getauscht. "Im Gegenzug gelang Eon in Belgien einen substanzieller Markteintritt", sagt Uwe Leprich, Energie-Volkswirt und Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken.

Eigenen Angaben nach stieg Eon durch den Tausch mit Electrabel zum drittgrößten Anbieter in Belgien auf. Auch in Schweden tritt Eon nun an, um dem dortigen Branchenführer Vattenfall Konkurrenz zu machen.

Hierzulande hat Eons "Neustrukturierung" die Branche in Aufregung versetzt. So gab RWE im Januar bekannt, dass man die Übernahme des niederländischen Energieversorgers Essent plane. 9,3 Milliarden Euro in bar bietet RWE für den Konzern, der 2,5 Millionen Kunden mit Elektrizität und Gas versorgt, das sind etwa 30 Prozent der niederländischen Haushalte.

Vattenfall Europe wiederum, der drittgrößte deutsche Energiekonzern, hat 8,5 Milliarden Euro für den niederländischen Konkurrenten Nuon gezahlt, der seit 2006 auf dem deutschen Markt tätig ist. Mit seiner Kampagne "Lekker Strom" hatte Nuon laut Schätzungen aus der Branche allein in Hamburg und Berlin Vattenfall 270.000 Kunden abgeworben. 49 Prozent der Nuon-Aktien will Vattenfall jetzt erwerben, die restlichen 51 Prozent sollen in den nächsten sechs Jahren folgen.

Das Vattenfall-Geschäft hat eine besondere Note: Nach den Pannen in den Vattenfall-Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel im Sommer 2007 hatte der schwedische Mutterkonzern die komplette Betriebsführung in Deutschland ausgetauscht. Der neue Vorstandsvorsitzende Tuomo Hatakka hatte es als seine wichtigste Aufgabe bezeichnet, "das verlorene Vertrauen" - also die Kunden - zurückzugewinnen. Was ihm aber nicht gelang: Vermutlich deshalb hat Hatakka den Konkurrenten aufgekauft. Nuon beliefert eigenen Angaben nach rund drei Millionen Kunden in Deutschland und bietet inzwischen auch Gas an.

Selbstredend befindet sich auch der Vierte im Bunde, die Energie Baden-Württemberg (EnBW), weiter auf Einkaufstour. Zuletzt allerdings erfolglos: Im Werben um Mibrag, den drittgrößten deutschen Braunkohleproduzenten, unterlag EnBW im Februar dem tschechischen Staatskonzern CEZ. Für 400 Millionen Euro hat CEZ das Unternehmen gekauft, das unter anderem das Braunkohlekraftwerk Lippendorf beliefert, das EnBW soeben erst von Eon erworben hat.

Electrabel, Statkraft und CEZ - ist die EU-Kommission ihrem Ziel, den Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt zu steigern, näher gekommen? Während die Kommission das nicht kommentieren will, kommen andere zu ernüchternden Urteilen: "Im Grunde nicht", sagt Robert Busch vom Bundesverband Neue Energieanbieter. Denn zugleich sei ein bedeutender Wettbewerber aufgekauft worden: "Nuon mit drei Millionen Kunden war ja kein kleiner Fisch."

Auch der Energievolkswirt Uwe Leprich sieht keinerlei Erfolge. Allerdings glaubt er, dass die EU-Kommission noch ein weiteres Mittel habe, nämlich die zweite Auflage an Eon, sein Übertragungsnetz zu verkaufen. Noch fehlt es zwar an einem Käufer, doch in der großen Koalition wird zum Beispiel folgende Lösung verfolgt: Die Gründung einer neuen Netzgesellschaft, als Eigentümer und Betreiber. Uneinig sind sich Union und SPD allerdings über die Rolle, die der Staat dabei spielen soll. Während sich Bundeskanzlerin Angela Merkel erst vor wenigen Wochen für eine privatwirtschaftliche Lösung aussprach, favorisieren SPD und das Bundesumweltministerium eine Beteiligung des Staates in Höhe von mindestens 25 Prozent. "Wer die Netze hat, der hat die Macht", sagt Leprich und Aribert Peters vom Bundesverband der Energieversorger ergänzt: "Ob der Verbraucher wirklich etwas davon haben wird, hängt ganz entscheidend davon ab, wie weit sich der Staat einmischt."

Eine generelle Regelung der EU-Kommission wird es nicht geben. Am Dienstag einigten sich Unterhändler der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, des Europaparlaments und der EU-Kommission auf ein Gesetzespaket, das es den Mitgliedstaaten überlässt, ob sie Strom- und Gasanbietern den gleichzeitigen Besitz des Leitungsnetzes erlauben. Die Kommission wollte dies ursprünglich untersagen. Die stärksten Einwände dagegen kamen aus Deutschland.

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