BUND-Chef über Klimakrise: "Wir müssen radikaler werden"

In der Krise müssten Konjunkturpakete auf Nachhaltigkeit setzen, meint BUND-Chef Hubert Weiger. Er fordert eine Abkehr von der "Ex-und-hopp-Mentalität".

Nicht abwracken, sondern reparieren, meint BUND-Chef Weiger. Bild: dpa

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist mit rund 405.000 Mitgliedern und Förderern einer der größten Umweltverbände Deutschlands. Er wurde 1975 gegründet, zu den ersten Mitgliedern zählten unter anderem Bernhard Grzimek und Horst Stern. Neben den klassischen Natur- und Tierschutzthemen wie Artenvielfalt und sauberes Wasser standen in den 80er-Jahren Waldsterben und Atomenergie im Mittelpunkt der Arbeit, später wurden dann auch Klimaschutz und Nachhaltigkeitsstrategien zentrale Themen.

Der Kongress McPlanet, der an diesem Wochenende in Berlin stattfindet, sucht diesmal unter dem Motto "Game Over - Neustart" nach nachhaltigen Wegen aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise. Rund 2000 Umweltschützer, Entwicklungspolitiker und Globalisierungskritiker werden erwartet. Veranstalter sind neben dem BUND das Netzwerk Attac, der Evangelische Entwicklungsdienst, Greenpeace, die Heinrich-Böll-Stiftung und das Wuppertal Institut. Mehr dazu unter www.mcplanet.com step

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ist 62 und seit 2007 Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Er ist Forstwirt und Lehrbeauftragter für Naturschutzpolitik.

taz: Herr Weiger, Umweltschützer wie Sie haben in Zeiten der Finanzkrise einen schweren Stand. Interessiert überhaupt noch jemanden, wie es dem Wald oder dem Weltklima geht?

Hubert Weiger: Die Krise hat vielen Menschen klargemacht, dass wir mit einem "Weiter so" keine Zukunft mehr haben. Aber es stimmt schon. Ganz aktuell ist es schwer, mit Umweltthemen durchzudringen. Das Scheitern des Umweltgesetzbuches wäre ohne die Wirtschaftskrise nicht möglich gewesen. Und auch beim Klimawandel werden die festgelegten Ziele von allen Seiten torpediert. Die große Gefahr ist, dass wichtige andere Themen von der Wirtschaftskrise verdrängt werden. Es ist der deutschen Presse keine Titelzeile mehr wert, wenn die jüngsten Prognosen einen schnelleren Anstieg des Meerwasserspiegels um mehr als sieben Meter voraussagen.

Aber mit Verlaub: Von Obama bis zum Oberbürgermeister - reden nicht alle vom Green New Deal?

Es spricht für die Intensität der Debatten im vergangenen Jahr, dass zumindest niemand, sei es die Bundeskanzlerin oder der Umweltminister, verbal hinter frühere Positionen zurückgefallen ist. Aber die Milliarden aus dem aktuellen Konjunkturpaket fließen leider nicht in den dringend notwendigen ökologischen Umbau unserer Wirtschaft.

Es werden Milliarden für die energetische Sanierung von alten Häusern bereitgestellt.

Je nach Berechnungsart machen die umweltbezogenen Anteile in Deutschland gerade einmal 13 Prozent der Konjunkturpakete aus. Allein der Bedarf, den die Kommunen für umweltbezogenen Maßnahmen angemeldet haben, liegt beim Zehnfachen dessen, was im derzeitigen Konjunkturpaket vorgesehen ist. Hier wird eine große Chance verpasst.

Wie hätte Ihr Konjunkturprogramm ausgesehen?

Es wäre nicht auf zwei Jahre beschränkt. Statt nur 1 Prozent müssten jährlich mindestens 5 Prozent des Altbaubestandes saniert werden. Dafür sollten die Kommunen direkte Zuschüsse erhalten. Notwendig wäre eine Informationsoffensive zum Energiesparen und für mehr Klimaschutz. Der Bürger weiß nach wie vor nicht, wie viel Heizöl pro Quadratmeter er in seiner Wohnung pro Jahr verbraucht. Bei Altbauten sind es bis zu 25 Liter. Das ist mehr, als ein Porsche Cayenne auf hundert Kilometer frisst.

Was würden sie noch tun außer Häuser dämmen?

Zum Beispiel ist das Reparieren von Geräten oft umweltverträglicher, als immer neue Produkte zu kaufen. Die Ex-und-hopp-Mentalität wird auch von der Abwrackprämie befördert, denn bei einem vernünftigen Gebrauch wären viele der älteren Autos in der Gesamtbilanz klimafreundlicher als ein Neukauf.

Aber die Abwrackprämie ist derzeit das einzige Instrument, das überhaupt unmittelbare Wirkung zeitigt.

Über die erste Milliarde zur Ad-hoc-Belebung der Wirtschaft kann man durchaus streiten. Aber jetzt noch einmal 5 Milliarden Euro hinterherzuschießen, ohne dies an eine ökologische Komponente zu binden, halte ich für falsch. Zudem werden viele Autokäufe übereilt vorgezogen. Das hilft mittelfristig weder den Autoherstellern noch der Umwelt. Eine fatale und kurzatmige Politik.

Herr Weiger, die aktuelle Wirtschaftskrise zeichnet sich durch ihr Tempo aus. Da muss die Politik doch auf schnell wirksame Maßnahmen setzen. Was Sie vorschlagen ist alles langfristig ausgelegt.

Ich gebe Ihnen recht, dass die aktuelle Krise rasche Maßnahmen erfordert. Die entscheidende Frage ist doch derzeit, wie wir in einem demokratischen System mit relativ kurzen Wahlperioden das längerfristige Denken tatsächlich verankern. Wir sind nur zukunftsfähig, wenn wir in die heutigen wirtschaftlichen Entscheidungen die Interessen kommender Generationen umfassend einbeziehen.

Das bedeutet?

Die aktuelle Krise hängt zentral damit zusammen, dass Prinzipien langfristigen und nachhaltigen Wirtschaftens außer Kraft gesetzt worden sind. Ich als Forstwirt weiß, wovon ich spreche. Wenn wir nur Bäume fällen würden und nicht dafür sorgen, dass der Bestand auch in 30 Jahren noch existiert, dann würde es diesen Beruf längst nicht mehr geben. Ökologie ist nichts anderes als Langzeitökonomie. Dieses Prinzip muss Grundlage zukunftsfähigen Wirtschaftens sein.

Dieses Prinzip der Nachhaltigkeit taucht in jeder Sonntagsrede auf, aber nicht im Abschlusspapier des G-20-Treffens. Wie wollen Sie es schaffen, dass das, was Sie fordern, endlich auch mal in konkrete Politik mündet?

Weil wir bei globalen Fragen nur global etwas bewegen können, sind wir als BUND ein Teil des internationalen Umweltnetzwerks Friends of the Earth. Unsere Partnerorganisationen analysieren die Konjunkturpakete in ihren jeweiligen Ländern und prüfen sie auf den ökologischen Inhalt. Das Ergebnis ist in der Tat ernüchternd. Es ist doch ein Trauerspiel, dass wir innerhalb von wenigen Tagen hunderte von Milliarden zur Rettung von Banken bereitstellen, aber nicht in der Lage sind, innerhalb von Monaten und Jahren ein paar Milliarden in einen Klimaschutzfonds einzuzahlen. Das zeigt nur, dass der Druck noch verstärkt werden muss.

Glauben Sie, dass der McPlanet-Kongress hier für Impulse sorgen wird?

Wir werden vermutlich nicht in der Lage sein, die spektakulären Großdemos der 80er-Jahre wie die gegen die Rüstung oder die Atomkraft wiederzubeleben. Wir sind aber sehr wohl in der Lage, eine Vielzahl von dezentralen Demonstrationen und Aktivitäten zu entfalten. Der McPlanet-Kongress wird hier wichtige Anstöße geben und bringt dafür über tausend vor allem junge und sehr engagierte Menschen zusammen.

Ist es das Versäumnis der Umweltverbände, dass es derzeit keine große Umweltbewegung gibt?

Diese These stimmt zum Teil. Und es stimmt auch, dass die Politik seit einiger Zeit sagt: Ja, wir setzen uns doch schon für eure ökologischen Forderungen ein. Viele von uns waren hier vielleicht etwas zu leichtgläubig. Bei aller Institutionalisierung und Professionalisierung muss auch ein Verband wie der BUND die Kreativität der Basis wieder stärker nutzen. Und es gilt auch wieder wesentlich stärker, Bürgerinitiativen wie die gentechnikfreien Regionen zu gründen oder bestehende Initiativen zu unterstützen. Nur mit einer breiten politischen Basis können wir den notwendigen Druck auf Regierung und Wirtschaft ausüben.

Muss der BUND denn auch radikaler werden?

Ja, und zwar radikal im Sinne von grundsätzlich. Wir müssen die Verantwortlichen immer wieder konkret beim Namen nennen und klar sagen, dass dieses kurzfristige Shareholderdenken die Krise hauptsächlich verursacht hat und dass hier ein gigantisches Versagen vorliegt. Alle diejenigen, die in den vergangenen Jahren gesagt haben, der Staat ist schlecht, die Privatwirtschaft ist gut, und die sogar die Trinkwasserversorgung privatisiert und die kommunalen Betriebe in die USA verleast haben, müssen zur Verantwortung gezogen werden.

Würden Sie denn den Waldspaziergang, auf dem Sie das nachhaltige Wirtschaften erklären, lieber mit Herrn Ackermann von der Deutschen Bank oder lieber mit Herrn Steinbrück aus dem Bundesfinanzministerium machen?

Ich würde ihn lieber mit Herrn Steinbrück machen. Denn er ist der gewählte Finanzminister. Auf ein Umdenken von Führungskräften in der Wirtschaft zu setzen halte ich für wenig aussichtsreich. Es gibt durchaus Unternehmen, die ökologisch verantwortungsvoll handeln. Das sind aber in der Regel nicht die börsennotierten Großkonzerne. Herr Ackermann oder Herr Wiedeking würden nie aus Natur- und Umweltschutzgründen auf ihre Privilegien verzichten. Ihre Aktionäre würden das vermutlich auch kaum honorieren. Die Politik muss die entsprechenden Vorgaben machen. Die Gesellschaft braucht einen demokratisch fundierten, handlungs- und lenkungsfähigen Staat.

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