Bundesweiter Bildungsstreik: Protest ohne Power

Die Streikwoche der Unis lässt sich etwas müde an. Viele bleiben einfach zu Hause. Mittwoch ist der zentrale Aktionstag.

Studenten der Ruhr-Universität Bochum demonstrieren gegen die Lernbedingungen und Studiengebühren. Bild: dpa

POTSDAM/HAMBURG taz | Sie fällt auf. Ihr langer, schwarzer Mantel ist mit roten Aufklebern übersät, und auch auf ihren Stiefeln kleben Sticker, die den bundesweiten Bildungsstreik ankündigen. "Ich laufe seit einer Woche als lebende Litfaßsäule herum, um die Studierenden zu mobilisieren", sagt Katharina Maertins, kurz bevor der Regionalexpress in Potsdam einfährt. Dort studiert sie im sechsten Semester Religionswissenschaften und Jüdische Studien. Die Beteiligung am Bildungsstreik sei für sie als Mitglied des Fachschaftsrats selbstverständlich. "Ich fordere mehr Geld für öffentliche Bildung, mehr Lehrstühle, bessere Räume, eine Reform der Reform und vor allem keine Studiengebühren", sagt die 26-Jährige. Sie muss dreimal die Woche arbeiten, um ihr Bachelorstudium zu finanzieren, und jetzt soll auch noch das Bafög gestrichen werden, weil sie die Regelstudienzeit überschritten hat. "Besser aufstehen und laut sagen, was einen stört, als sitzen zu bleiben und sich im Stillen weiter zu ärgern", sagt Maertins, bevor sie in Richtung Campus Neues Palais eilt.

Es ist der erste Tag des deutschlandweiten "Bildungsstreiks", und er lässt sich noch etwas müde an. Von einzelnen Spontandemos, Teach-ins und Besetzungen von Seminargebäuden werden die Initiatoren am Nachmittag berichten. In Heidelberg, Düsseldorf, Hamburg, Mainz und weiteren Städten. In Berlin seien sogar knapp 1.000 Studenten der Technischen Universität zur Gedächtniskirche gezogen. Aber Zehntausende, die, wie von den Protestierenden erhofft, Schulen und Unis in ganz Deutschland lahmlegen - davon konnte zumindest am Montag noch nicht die Rede sein.

Auch in Potsdam ist es am Montagmorgen noch relativ leer. Auf der Wiese zwischen den Unigebäuden bilden 20 Zelte das Streikcamp, überall hängen Plakate, Flyer werden verteilt. Die Mitglieder des Streikkomitees sind an ihren roten T-Shirts zu erkennen, sie haben die erste Nacht hier geschlafen. "Es ist der erste Tag, es werden schon noch mehr werden", erklärt Claudia Fortunato. Sie ist 20 und im Asta der Uni Potsdam. "Es kommen immer mehr Dozenten spontan heraus und halten ihre Vorlesung hier draußen", freut sie sich. Manche ließen ihre Veranstaltungen auch einfach ausfallen, andere verzichteten diese Woche auf Anwesenheitslisten. Die Idee des Streiks sei es jedenfalls, dass die Studis, statt in die Veranstaltungen zu gehen, auf dem Campus an alternativen Vorlesungen teilnehmen und so ihren Protest öffentlich machen.

Unter einem Baum sitzen etwa 40 StudentInnen mit Blöcken auf den Knien. Sie schreiben eifrig mit, was Marie-Luise Heckmann über das Bildungssystem im Mittelalter erzählt. Die Privatdozentin ist mit ihren Studierenden spontan vom Hörsaal auf die Wiese gezogen. Die Vorlesung beschäftigt sich sonst mit dem Papsttum im Mittelalter, heute hat sie ihr Programm angepasst. "Als Hintergrundwissen ist das ganz interessant", sagt die Privatdozentin später. Sie findet die Grundforderung nach besseren Studienbedingungen gut und auch die Protestform durchaus passend. "Die Studenten haben den Zeitpunkt perfekt gewählt, immerhin ist Wahlkampf."

Vereinzelt sitzen kleine Grüppchen von StudentInnen auf dem Campusgelände Neues Palais im Gras; sie lesen, rauchen, reden und trinken Kaffee. "Es ist leerer als sonst", sagt Hanna Robertz. Sie hätte am Vormittag ein Referat halten sollen, aber weil fast niemand kam, fiel das Seminar aus. "Es werden wohl viele einfach zu Hause geblieben sein," glaubt die 27-Jährige.

Vor allem Geisteswissenschaftler beteiligen sich am Bildungsstreik. "Die Naturwissenschaftler kriegen ja auch die meisten Drittmittel, die brauchen sich nicht zu beschweren", sagt eine Streikorganisatorin. Auch Eric Eschner, der an einem Baum lehnt, ist Geisteswissenschaftler, im zweiten Semester studiert er Soziologie und Geschichte auf Bachelor. Der Streik sei ein gutes Mittel, um zu zeigen, was die StudentInnen in Deutschland stört. "Bei mir ist das vor allem die Verschulung, die Anwesenheitspflicht. Eigenverantwortung gibt es nicht mehr", sagt er. Manchmal fühle er sich vom Studium unterfordert. "Das habe ich mir anders vorgestellt."

Etwas schleppend begann auch der Bildungsstreik in Hamburg. Zum Auftakt auf dem Hauptgelände kamen zwar einige hundert Studenten, Proteststimmung stellte sich allerdings nicht ein. "Ey, Leute, wenn man streikt, muss man Power im Arsch haben!", schreit der Frontmann der Hiphop-Band Bo Flower in sein Publikum. Dieses liegt unaufgeregt vor der Bühne auf roten Sonnenliegen oder sitzt mit Mensatabletts auf den Bänken. Vor allem die von den Seminaren befreiten Geisteswissenschaftler aalen sich in der Mittagssonne. "Viele Dozenten der Naturwissenschaften sowie der Bereiche Jura und Wirtschaft dulden den Streik nicht", sagt Mitorganisator Christopher Stark. Deren Studenten müssten also damit rechnen, Fehlstunden zu kassieren, wenn sie sich am Streik beteiligen. Am Mittwoch, dem Tag der bundesweiten Großdemonstration, werden dennoch fast alle Professoren ihre Seminare ausfallen lassen, glaubt Stark.

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