Medienereignis Jackson-Beerdigung: Trauer, so groß wie die Mondlandung

Was die Trauerfeier für den King of Pop über Popkultur, Medien und Amerika sagt. Und über die Menschen, die zuschauten.

Zum Abgang die ganz große Bühne - Jackson hätte das wohl gefallen. Bild: dpa

Immerhin: Niemand sagte, dass Michael Jackson größer sei als Jesus. Aber wahrscheinlich nur, weil man mit dem Spruch schlechte Erfahrungen gemacht hat. Was das US-amerikanische Fernsehen am Dienstagmorgen gegen 10 Uhr Ortszeit inszenierte, war eines der größten Medienereignisse aller Zeiten, mindestens auf Augenhöhe mit Mondlandung, Präsidenteninaugurationen, Papst- und Prinzessinnenbeerdigungen. Von über zwei Milliarden ZuschauerInnen ist Rede. Außerdem guckten Millionen von Menschen per Livestream über das Internet auf die rund 17.000 Gäste, die eine der begehrten Begräbniskarten ergattert hatten und im Staples Center von Los Angeles Mariah Carey, Lionel Richie, Stevie Wonder oder Magic Johnson bei ihren Versuchen erlebten, sich angemessen vom Popkönig zu verabschieden.

Die Medien, allen voran das Fernsehen, haben dieses Ereignis mit der Einsicht des Verzweifelten als das gesehen, was es ist: etwas tatsächlich Globales, eine der wenigen letzten Chancen, eine kollektive mediale Erinnerung in die Köpfe möglichst vieler Menschen einzupflanzen, die zwar traurig ist, sich aber aufs Wunderschönste mit den amerikanischen Werten deckt, jedenfalls mit denen, die den Staat offiziell definieren: Um Glauben, um Spiritualität ging es in fast jedem der Beiträge ("Weve got to walk on / walk on through temptation / cause His love and His wisdom / will be our helping hand", sang Lionel Richie in seinem Lied "Jesus is love"). Es ging um Familie (Jacksons Schicksal), um Gleichberechtigung (Bürgerrechtler Al Sharpton behauptete, Jackson habe Rassenschranken eingerissen und die Welt verändert), um Kunst (Motown-Gründer Barry Gordy erklärte Jackson nicht nur zum King of Pop, sondern zum größten Entertainer aller Zeiten). Und schließlich ging es auch um Patriotismus (die texanische demokratische US-Kongressabgeordnete Sheila Jackson Lee präsentierte eine Urkunde, mit der sie Jackson posthum als "amerikanische Legende und musikalische Ikone" ehren wollte, und salutierte am Ende ihrer Ansprache).

Wer hier etwas sagte, wurde gehört und gesehen. Dass zwischenzeitlich einige Internetserver ob des großen Ansturms an Usern zusammenbrachen, war insofern nur konsequent: Man ist - digital gesehen - noch nicht, und - analog gesehen - nicht mehr darauf vorbereitet, einen so großen Teil der Welt gleichzeitig mit aktuellen Informationen oder Statements zu versorgen. Vielleicht wird man nachrüsten, um beim nächsten Mal nicht derart zu versagen.

Allein: Was soll Amerika jetzt noch passieren? Prince ist gegen Jacko ein Nerd, und Madonna stirbt natürlich nicht, sondern wird 120 Jahre alt und geht dann in einen anderen Energiezustand über. Was könnte also so viele Menschen an die Geräte ziehen außer ein Attentat auf Obama, der übrigens auf angenehme Weise (inhaltlich und, wegen der Russlandreise, auch räumlich) Abstand zu dem Riesenbeerdigungsspektakel hielt. Manche Menschen würden nach dem Tod noch größer als vorher, sagte Obama, was man auch als Anspielung auf die vielen negativen Aspekte deuten kann, die Jackson durch sein Verhalten, seine Krankheiten und Ticks evozierte.

Ansonsten kamen diese Facetten seines merkwürdigen Lebens, die den Musiker eigentlich längst in gemeinsame Dancefloor-Jugenderinnerungen der heutigen Thirty- und Fortysomethings katapultiert hatten, nicht vor: Im Staples Center hatte man sich offenbar abgesprochen, Jacksons neu verliehenen Heiligenkranz ungetrübt schimmern zu lassen, sich als Fans beim Abschied verzeihend und mit schlechtem Gedächtnis zu präsentieren, wie es bei Beerdigungen und den dazugehörigen wohlmeinenden Reden und Programmpunkten in der westlichen Welt üblich ist. Jackson selbst hätte den Aufwand geliebt, meint man zu wissen, die Gospel- und Kinderchöre, die kirchenblaue Lightshow, die Tränen von Verwandten und Freunden, die mit viel ad-libs und die Tonhöhen mitwedelnden Händen vorgetragenen Tributlieder, die Superlative, die der Welt einen kurzen Stillstand bescheinigten, als Jacko starb. Echtes wurde zwar bei den Interviews in seiner seltsam hohen Tonlage nur selten vernommen, doch der sich steigernde Bombast seiner Videos und Sujets, die Ernsthaftigkeit, mit der sich Jackson um die Rettung der Welt zu kümmern schien, lassen annehmen, dass es für ihn nie zu pompös hätte ausfallen können.

Die Unfähigkeit zum Pop

Dass allerdings die deutschen Medien teilweise so schlecht vorbereitet in solch ein Programm gingen, verwundert: Die ARD übertrug halbgare Informationen in einer weder brisanten noch speziellen "Brisant Spezial"-Sendung, und ließ bei ihrer späteren Zusammenfassung der Trauerzeremonie (aus Pietät, Unkenntnis oder Desinteresse) die interessantesten wie die emotionalsten Momente weg. N24 ersetzte zwar das gesamte Abendprogramm durch die Feier und ein paar hübsche Jackson-Filme, setzte aber ExpertInnen ein, die sich bei Jackson-Fakten um Jahre verschätzten oder Magic Johnson "Magic Jordan" nannten.

Keine Frage: Zumindest der Soloartist Jackson ist auch nur ein Musiker und Tänzer, dessen mit Nietenhosen, Silberhandschuhen, wehenden Haaren und Bühnennebel ausstaffierte, pathetische 80er-Jahre-Zelebrierung man mögen kann oder guten Gewissens auch nicht. Doch anscheinend, und das ist fast schon wieder sympathisch, kriegen deutsche MedienmacherInnen angesichts der reibungslosen Perfektion, mit der die daran beteiligten Menschen in den USA die noch nicht mal komplett geschmacklose Show binnen kurzer Zeit auf die Beine stellte, einfach kalte Füße. Sie waren eben in ihrem Element, die amerikanischen KünstlerInnen, ProducerInnen, KommentatorInnen, ReporterInnen, die O-Ton-GeberInnen und Fans.

Jackson ist, spätestens seit dieser Zeremonie, eben eine nationale Ikone, die die beiden dort noch immer nicht wirklich miteinander lebenden Bevölkerungsgruppen zu vereinen scheint und noch nebenbei "the world a better place" machen beziehungsweise sie "heilen" möchte. In Deutschland steckt Pop trotz aller medialen Präsenz lange nicht so tief im patriotischen Selbstverständnis. Wir haben für solche Fälle höchstens Herbert Grönemeyer. Und der kann bekanntlich nicht tanzen.

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