Irritieren mit der Kamera

Die jemenitische Fotografin al-Mutawakil empfanden ihre Landsleute als Kuriosität

VON KARIM EL-GAWHARY

Sie ist eine ungewöhnliche Frau in einem ungewöhnlichen Land, bei ihrer dort für eine Frau alles andere als üblichen Arbeit. Boushra al-Mutawakil, die erste professionelle weibliche Fotografin im Jemen, zieht wie die meisten anderen Frauen im Land an der südlichen Spitze der Arabischen Halbinsel mit ihrem schwarzen Abaja-Umhang durch ihre Heimatstadt Sanaa. Trotzdem drehen sich viele Menschen auf der Straße nach ihr um. Es ist ihre Kamera, die Boushra al-Mutawakils Landsleute irritiert.

„Als ich jung war, habe ich eine Liste mit den Dingen geschrieben, die ich im Leben machen möchte, bevor ich sterbe“, erzählt sie lachend. „Fotografieren lernen“ stand ganz oben auf der Liste.

Als sie dann, aus wohlhabender Familie stammend, Anfang der 90er-Jahre in den USA studiert hatte, belegte sie auch einige Fotografiekurse. „Ich kam zurück in den Jemen und begann zu fotografieren und war überrascht, als Leute plötzlich meine Bilder kaufen wollten“, erinnert sie sich.

Inzwischen gibt es im Jemen auch anderen Fotografinnen. „Aber damals haben mich alle gefragt, ob das nicht ein bisschen merkwürdig sei, was ich hier mache. Ich habe mit ihnen geredet. Mit der Zeit haben sie mich anerkannt. Es war einfach etwas kurios: eine Frau, eine Jemenitin als Fotografin“, blickt sie zurück.

Aber es ist nicht nur ihre Berufswahl, es sind vor allem auch ihre Fotos, die im Jemen gesellschaftlich einiges auf den Kopf stellen.

Die Bilder, die die Mutter von vier Töchtern auf dem Tisch in ihrem Haus in Sanaa ausgebreitet hat, zeigen, dass Boushra die Grenzen ihres islamisch-konservativen, von Stammestraditionen geprägten Land austestet. „Als Fotografin werde ich immer mit sozialen Tabus konfrontiert“, sagt sie.

Ein Foto auf dem Tisch zieht sofort den Betrachter in den Bann. Die Stars and Stripes der US-Flagge als Kopftuch bedecken das Haar einer selbstbewusst dreinblickenden jungen Frau. „Das ist mein Beitrag zum 11. September“, erklärt Boushra. „Wie können Amerika und die muslimische Identität zusammenkommen?“, fragt die US-graduierte Jemenitin.

Ein anderes Bild zeigt vier Frauen, oben rechts eine leicht geschminkt, ihr Haar offen, daneben ein andere Frau mit Umhang und Kopftuch, aber freiem Gesicht. Darunter eine Frau mit Gesichtsschleier, nur ihre Augen sind zu sehen, neben ihr ist das Foto einer stark geschminkten Frau mit aufgetakelter Frisur.

„Hinter beidem, dem Schleier und dem starken Make-up verstecken sich die Frauen“, meint Boushra dazu.

„Man denkt, mit dem Schleier sehen alle Frauen genau gleich aus. Aber schau genau hin“, fordert sie beim nächsten Foto auf. Viermal vier Augenschlitze, aus denen 16 unterschiedliche Augenpaare unterschiedliche Emotionen ausdrücken.

Am weitestgehenden ist ein anderes Projekt, an dem die Fotografin gerade arbeitet: eine Serie von Fotos, bei der zunächst ein Mann und eine vollkommen verschleierte Frau zu sehen sind. Mit jeder weiteren Sequenz gibt die Frau einen Teil ihrer Bedeckung ab, die dann der Mann anlegt. Am Ende ist die Frau vollkommen sichtbar, während der Mann unter einem schwarzen Umhang verschwunden ist. „Ich will damit in Frage stellen, warum sich die Frau verschleiern soll, sodass der Mann sie nicht sehen kann – und ohne Sünden bleibt, damit er, der Mann, hinterher ins Paradies kommt. Ist darin nicht etwas merkwürdig?“, fragt sie.

Auch wenn sie für dieses Projekt ein Darstellerpaar benutzt und das Ganze noch nicht ausgefeilt ist, weiß sie schon jetzt: „Es wäre problematisch, so etwas hier auszustellen. Die Leute hier würden das nicht akzeptieren. Aber ich finde, das ist, weil sie meine Arbeit nicht verstehen.“ Sie lässt sich nicht entmutigen. „Ich hoffe, auch als Vorbild für andere Frauen im Jemen zu dienen“, erklärt sie. „Manchmal möchte man etwas von Herzen erreichen“, sagt sie, „dann sollte eine Frau sich nicht von ihrer Gesellschaft entmutigen lassen, sondern sollte ihren Träumen folgen.“