Jobs wichtiger als Gesundheit: Peru lässt US-Konzern Stadt verpesten

In La Oroya werden die Anwohner durch den Ausstoß der Metallhütte Doe Run schwer belastet. Die linke Regierung Perus billigt das frühkapitalistische Treiben des US-Konzerns.

Kein guter Ort zum Spielen: Metallhütte von Doe Run in La Oroya. Bild: reuters

Wie mit schmutzigem Puderzucker überzogen sehen die Berge rund um La Oroya aus. Schon etliche Kilometer vor der peruanischen Bergbaustadt wird die Vegetation immer spärlicher. Dann erscheint zwischen Felsen der Grund für diese Ödnis: der monumentale, 167 Meter hohe Schornstein, das Wahrzeichen der Stadt. Dagegen wirken die Häuser, die sich direkt gegenüber in den Felshang schmiegen, wie Miniaturen aus der Spielzeugkiste.

In einer der windschiefen, aus Ziegelstein gebauten Baracken wohnt Rosa Palomina Cedán. "Es ist schrecklich, wenn der Rauch morgens unter der Tür und durch die Ritzen ins Haus eindringt. Dann kratzt es im Hals, und manchmal fangen die Augen an zu tränen", erzählt die 33-jährige Frau.

Dafür verantwortlich sind das Schwefeldioxid und die Schwermetalle, die in großen Mengen aus dem Schornstein dringen, wenn in der gegenüberliegenden Hütte die Produktion läuft. Seit Jahren lebt Rosa Palomina Cedán mit ihren vier Kindern gegenüber dem weitläufigen Komplex, der nur durch einen bräunlich trüben Flusslauf, den Mantaro, vom Rest der Stadt getrennt ist

Doe Run Perú heißt das Unternehmen, das die Schmelze mit den angegliederten Raffinerien für Kupfer, Blei und Zink seit 1997 betreibt und von dem die ganze Stadt abhängig ist. Mit 3.500 direkten Arbeitsplätzen und mindestens der gleichen Anzahl an indirekten Jobs ist Doe Run Perú hier in La Oroya, der Provinzhauptstadt der Provinz Yauli mit rund 20.000 Einwohnern, der weitaus wichtigste Arbeitgeber.

Ziemlich dünn ist die Luft in der 3.750 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Stadt - und durchsetzt mit einem Cocktail aus Schwefeldioxid und Schwermetallen, der bewirkt, dass vor allem die Kinder abends oft mit schmerzenden Lungen ins Bett gehen.

Blei im Blut

Auch Elian, dem achtjährigen Sohn von Rosa Palomina Cedán, geht es so. Doch das ist nicht alles, was den schmächtigen Jungen belastet. Er hat enorme Schwierigkeiten, dem Unterricht zu folgen. Der wahrscheinliche Grund: Blei im Blut.

"Konzentrationsschwächen, Antriebslosigkeit, aber auch Appetitlosigkeit sind typische Symptome für eine Bleivergiftung, und kaum ein Kind in La Oroya hat normale Bleiwerte", berichtet Hugo Villa. Der Mann mit dem grau melierten Vollbart und dem lichten Haupthaar hat fast dreißig Jahre als Arzt im Krankenhaus von La Oroya gearbeitet. "Hier kommen die Kinder schon mit erhöhten Bleiwerten zur Welt. Doch dafür interessiert sich kaum jemand in den verantwortlichen Ministerien in Lima", sagt der 53-jährige Neurologe.

Jahrelang hat er sich für weniger Emissionen und mehr Schutz für die Bevölkerung engagiert. "Doch die Luftqualität in La Oroya hat sich nicht wesentlich gebessert. Die Berichte aus den Messstationen bezeugten, dass die Schwefeldioxid-Werte im "metallurgischen Zentrum Lateinamerikas" deutlich über den nationalen und internationalen Grenzwerten gelegen haben.

Landwirtschaft unmöglich

"Metallurgisches Zentrum Lateinamerikas" nennt sich die Stadt mit der bereits 1922 errichteten Hütte stolz, wovon auch eine goldene Plakette an der Durchgangsstraße nach Lima zeugt. Doch zugleich ist die Plakette auch ein Symbol der Abhängigkeit, denn ohne die Schmelze wäre die Stadt nicht lebensfähig. Anderes Gewerbe gibt es nicht, und auf den von saurem Regen verätzten Hochebenen der Region ist Landwirtschaft schon lange nicht mehr möglich.

Rosa Palomina Cedáns Ehemann Alejandro war einst Gärtner im Dienste von Doe Run Perú. Gemeinsam mit seinen Kollegen mühte er sich, die Setzlinge und einige Quadratmeter mit grünen Halmen auf dem Firmengelände vorm Sterben zu bewahren. "Alibigrün, das Doe Run einiges wert war", sagt Yolanda Zurita, eine Sozialarbeiterin im Dienste der katholischen Kirche, mit spöttischem Unterton. Nicht ohne Grund, denn Studien haben ergeben, dass große Flächen rund um La Oroya hochgradig mit Blei und Cadmium belastet sind. Die Gärtner sollten das so gut wie möglich kaschieren.

Bis zum Dezember 2008 ging das.

Dann begannen die finanziellen Probleme des Bergbauunternehmens. Bald folgten die ersten Entlassungen, auch Rosa Palomina Cedáns Mann Alejandro traf es. Wenig später wurden die sozialen und medizinischen Programme reduziert, die vor allem Kinder mit hohen Bleiwerten zugutekamen. Darunter auch zwei Kinder von Rosa Palomina Cedán.

Über ihren ältesten Sohn, den 14-jährigen Juan, erzählt sie: "Juan hat 110 Mikrogramm Arsen im Blut und bei Blei sind es 32 Mikrogramm pro Deziliter. Er wiegt viel zu wenig für sein Alter und ist zu klein." Und ihre jüngste Tochter Elia sei dauernd krank. "Meist ist es der Magen", sagt die stämmige Frau und lässt sich auf das Bett in dem größeren der beiden Zimmer sinken, aus denen die Backsteinbaracke gegenüber der Metallschmelze besteht. Auf sich gestellt ist sie, ihr Ehemann Alejandro ist im Frühjahr an einem Hirntumor gestorben.

War die Schmelze schuld? Cedán ist sich sicher. Aber beweisen kann sie es nicht. Sie auf die Hilfe der Kirche angewiesen.

Seit Mitte Juni raucht der Kamin der Schmelze nicht mehr. Damals schickte Doe Run Perú die Arbeiter in den Zwangsurlaub, schloss das Werk vorübergehend und meldete Insolvenz an. Schuld sei die internationale Wirtschaftskrise, ließ die Firmenzentrale aus Lima verlauten. "Ein Schachzug des Unternehmens, um die Regierung in die Enge zu treiben", mutmaßten Umweltaktivisten wie Luz Gladys Huamán von der Stiftung Labor bereits damals.

Schließlich habe das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, in ganzseitigen Anzeigen für einen 30-monatigen Aufschub der Umweltauflagen zu werben. "Dafür war Geld da, für die Erfüllung der Auflagen allerdings nicht", kritisiert die streitbare Frau.

Seit Jahren hinkt Doe Run Perú den vom Energie- und Bergbauministerium erteilten Umweltauflagen hinterher. Dennoch gewährte der peruanische Kongress Doe Run Perú Ende September, wie in den Zeitungsanzeigen gefordert, einen weiteren Aufschub von 30 Monaten, um die Hütte endlich den Umweltauflagen entsprechend umzurüsten. Anfang Januar will die hundertprozentige Tochter des US-Konzerns Doe Run die Produktion in La Oroya wieder aufnehmen.

Kniefall der Regierung

Die Maßgaben des Energieministeriums sehen den Bau von drei Entschwefelungsanlagen vor, die der Vergiftung von Land und Leuten Einhalt gebieten sollen. "Ursprünglich sollten die Anlagen 2006 in Betrieb gehen, doch schon damals erhielt Doe Run einen Aufschub von drei Jahren", sagt José Deardorff, Pater der Kirchengemeinde Cristo Rey in La Oroya.

Die damalige Regierung von Präsident Alejandro Toledo hatte angesichts der Proteste der Arbeiter, die für den Fall des Konzessionsentzugs für die Hütte um ihre Arbeitsplätze fürchteten, nachgegeben. "Doch bis heute sind die Umweltauflagen nicht erfüllt worden, und faktisch hat sich die Geschichte wiederholt", erklärt der baumlange Pater mit dem buschigen grauen Schnauzer.

Denn es ist nicht nur der Konzern, der seinen Profit vor Umwelt und Gesundheit stellt. Auch die Beschäftigten der Hütte stellen im Zweifelsfall den Erhalt ihrer Arbeitsplätze vor alles andere. Im Sommer blockierten immer wieder Arbeiter der Hütte die Straße nach Lima und demonstrierten für einen Aufschub.

Dabei ist man sich in den zuständigen Ministerien in Lima durchaus darüber bewusst, dass die Rechte der Menschen, vor allem der Kinder, erheblich verletzt werden. Das geben auch Mitarbeiter der Überwachungsbehörde Digesa, die dem Gesundheitsministerium untergeordnet ist, unumwunden zu.

"Doch wenn politische Entscheidungen bevorstehen, dann sind Kinderrechte nachrangig", sagt Raúl Chacon. Der Soziologe hat mehrfach La Oroya besucht und ist entsetzt über den Fristaufschub: "Es ist ein Kniefall vor dem Unternehmen, und nun wissen wir ganz offiziell, dass in Peru die Wirtschaft mehr zählt als die Gesundheit."

Die großen Unternehmen führten die Regierung an der Nase herum, meint der 43-Jährige. Doe Run sei dabei ein extrem negatives Beispiel, dessen Vorgehen selbst innerhalb des Bergbauverbands kritisiert werde.

Dennoch könnte das Beispiel Schule machen. Denn die Regierung des sozialdemokratischen Präsidenten Alan García hat sich erpressbar gezeigt. Für Rosa Palomona Cedán bedeutet das, dass bald wieder der giftige Qualm durch die Ritzen in ihr Haus dringen wird. Und die Aussichten, dass in den kommenden zweieinhalb Jahren sich daran etwas ändert, scheinen gering.

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