Kreatives Kompensieren

BILDUNGSGIPFEL Bund und Länder tricksen mit den Haushaltszahlen, die Kultusminister schauen hilflos zu

■ 2008 hatten Bund und Länder vereinbart, bis 2015 10 Prozent des BIP in Bildung und Forschung zu investieren. Das entspräche einem prognostizierten Gesamtetat von rund 282 Milliarden für Bildung und Forschung. Um diese Lücke zu schließen, soll die Datengrundlage für Bildungsausgaben erweitert werden: Hochgerechnet würden Pensionen für Beamte (bis zu 4,6 Milliarden Euro), fiktive Unterbringungskosten für Hochschulen, Schulen und Kitas (10 Milliarden Euro) oder private Kosten für Bildung. Mit allen Tricks müssten Bund und Länder nach Vorstellungen der Länder 13 Milliarden Euro zusätzlich investieren, der Bund sieht eine Lücke von 16 Milliarden. Vor einem Jahr war noch von 28 Milliarden Euro die Rede. (ale)

VON RALPH BOLLMANN, CHRISTIAN FÜLLER UND ANNA LEHMANN

Für das schmucke Gebäude in bester hauptstädtischer Lage hat das heutige Land Berlin niemals einen Cent bezahlt. Gebaut wurde das Stadtpalais für den Preußenprinzen Heinrich im 18. Jahrhundert auf Staatskosten. König Friedrich Wilhelm III. schenkte es 1809 der neu gegründeten Universität, mehrfach wurde es umgebaut, nach Kriegszerstörung von der DDR rekonstruiert.

Welcher Wert in solchen Immobilien wie dem Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität stecken kann, haben Bund und Länder nun rechtzeitig zu ihrem Bildungsgipfel an diesem Mittwoch entdeckt. Geht es nach den Vereinbarungen einer Strategiegruppe von Kanzleramt, Bundesministerien und Staatskanzleien, dürfen die Bundesländer mit fiktiven Mietzahlungen für die Liegenschaften von Schulen, Hochschulen und Kindertagesstätten künftig die Statistik ihrer Bildungsausgaben schönrechnen.

Ohne reales Geld zusätzlich auszugeben, käme die öffentliche Hand dem Ziel näher, 10 Prozent des jährlichen Sozialprodukts für Bildung und Forschung auszugeben. „Bund und Länder gehen davon aus, dass kalkulatorische Unterbringungskosten in Höhe von 10 Milliarden Euro pro Jahr auf das 10-Prozent-Ziel angerechnet werden können“, heißt es in dem Papier der Strategiegruppe, die sich aus Vertretern von Bundesregierung und Ministerpräsidenten zusammensetzt. Die Kultusministerien der Länder waren nicht beteiligt.

Bislang hat der Bund die Versuche der Länder, sich mit Rechentricks aus ihren Finanzverpflichtungen zu befreien, stets skeptisch betrachtet. „Wir stehen als Bundesregierung dazu, dass das 10-Prozent-Ziel für Bildung und Forschung bis 2015 umgesetzt wird, und werden das mit den Ländern Schritt für Schritt erarbeiten“, beteuerte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Vorstellung des schwarz-gelben Koalitionsvertrags Ende Oktober. Die Frage nach statistischen Kniffen, die das Gremium der Finanzminister schon damals forderte, wischte sie beiseite. Es gebe ja noch die Kultusminister, sagte sie.

Seit Merkel bei den widerstrebenden Länderchefs um die Zustimmung zum schwarz-gelben Wachstumsbeschleunigungsgesetz buhlen muss, ist ihr Widerstand gegen deren kreative Buchführung geschwunden. Auf insgesamt 8,5 Milliarden Euro summieren sich die jährlichen Mindereinnahmen durch höheres Kindergeld, erweiterten Kinderfreibetrag, Steuererleichterungen für Unternehmen und ermäßigte Mehrwertsteuer auf Hotelbetten. Davon entfallen 3,9 Milliarden Euro auf Länder und Kommunen.

Da kommt den Ministerpräsidenten die Befreiung von der lästigen Pflicht gerade recht, ihre Bildungsausgaben in den nächsten Jahren zu erhöhen. Es ist ein Geschäft zum beidseitigen Nutzen. Die Länder erhalten den Freibrief, die Kosten für steuerbefreite Hotelbetten bei der Bildung wieder einzusparen. Den Bund kostet diese Art der Kompensation kein zusätzliches Geld, Leidtragende sind lediglich Schüler und Studenten.

Neben dem Trick mit den Immobilien hat die Strategiegruppe noch zwei weitere Ideen ausgeheckt. Bei dem Wunsch, Pensionszahlungen für ehemalige Lehrer und Hochschullehrer künftig in voller Höhe auf die Bildungsausgaben anzurechnen, kommt der Bund den Ländern zumindest entgegen. Der genaue Betrag ist noch offen. Jeder Expädagoge, der im Garten seines Eigenheims Kürbisse züchtet, verbessert nach dieser Logik das deutsche Bildungssystem.

Schließlich sollen künftig auch Kitagebühr oder Schulgeld, die Familien an öffentliche oder private Träger überweisen, bei den Bildungsausgaben mitgerechnet werden. Das entspricht zwar formal den internationalen Vorgaben, wonach das 10-Prozent-Ziel öffentliche wie private Ausgaben umfasst, doch werden gebeutelte Eltern kaum an höhere Gebühren gedacht haben, als Merkel größere Bildungsanstrengungen versprach.

Auf diese Weise schrumpft der jährliche Geldbedarf, um das 10-Prozent-Ziel im Jahr 2015 zu erreichen, auf nur noch 13 bis 16 Milliarden Euro. Bildungspolitiker hatten die Differenz ohne Rechentricks zuletzt auf mindestens 28 Milliarden Euro beziffert. „Umso dringlicher ist es, bereits im Rahmen des Bildungsgipfels Maßnahmen zu vereinbaren, um diese Lücken zu schließen“, schreibt der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hilflos per Brief an Merkel und den eigenen Parteichef Guido Westerwelle.

Auch andere Fachminister protestieren gegen den Deal der Regierungschefs. „Das sind Taschenspielertricks“, sagte der sächsische Kulturminister Roland Wöller (CDU) der taz. „Wir haben das 10-Prozent-Ziel auf dem letzten Bildungsgipfel nicht vereinbart, um unsere Ausgaben dann nach oben zu rechnen.“

Der bayerische Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP) kritisierte das Vorgehen ebenfalls. „Es ist typisch für die Finanzminister und manche Mitarbeiter im Umkreis der Ministerpräsidenten, so zu denken“, sagte er. „Wenn wir so rechnen, machen wir jedes Ziel kaputt.“