Pflegemutter vor Gericht: Schmiergeld für Marie

Auf juristisch fragwürdigen Pfaden wurde Astrid Pflegemutter eines rumänischen Mädchens. Es sei ihr ums Kind gegangen, sagt sie. Nun steht sie vor Gericht.

Kaum eine Adoption gleicht der anderen. Und doch kommt es bei Pflegekindern aus dem Ausland häufig zu Problemen (hier: Baby aus Vietnam mit neuer US-Pflegemutter). Bild: ap

Madona gescheitert: Auch US-Popdiva Madonna ist mit dem Versuch gescheitert, ein zweites Kind aus dem ostafrikanischen Malawi zu adoptieren. Ein Gericht in Malawis Verwaltungshauptstadt Lilongwe lehnte den Antrag der Sängerin zur Adoption der dreijährigen Chifundo "Mercy" James am vergangenen Freitag ab.

Begründung: Zur Begründung hieß es, es dürfe kein Präzedenzfall für Auslandsadoptionen unter Umgehung der Gesetze geschaffen werden. Die Gerichte müssten die Kinder Malawis schützen und dürften nicht mit leichtfertigen Adoptionsgenehmigungen den Weg für "skrupellose Kinderhändler" freimachen, so die Richterin. Die Regelung, wonach adoptionswillige Ausländer mindestens 18 Monate in Malawi leben müssen, bevor sie ein Kind aus dem Land in ihre Obhut nehmen dürfen, sei ein "Grundpfeiler" des Adoptionsrechts. AFP

Nennen wir die Kleine einfach Marie. Marie ist drollig. Am liebsten fährt sie mit Opi Traktor oder spielt mit Tom und Jan im Matsch. Marie lebt auf einem idyllischen Bauernhof irgendwo in Bayern. Für die knapp Dreijährige ist die Welt in Ordnung. Doch Maries Schicksal ist ungewiss. Als Baby kam sie unter zweifelhaften Bedingungen aus Rumänien nach Deutschland. Eingefädelt hatte das Ganze eine Frau namens Josepha, die mittlerweile wegen versuchten Kinderhandels verurteilt worden ist. "Ich war zu vertrauensselig", sagt Maries Pflegemutter Astrid heute über ihr Verhältnis zu Josepha. Mit aller Kraft kämpft Astrid vor Behörden dafür, dass Marie trotz eines rechtswidrigen Deals in ihrer Familie bleiben darf. "Wir haben die Kleine aufgepäppelt. Sie gehört zu uns. Wenn sie zurück nach Rumänien muss, überlebt sie das nicht."

Tom, Astrids leiblicher Sohn, war keine zwei Jahre alt, als er auf dem elterlichen Hof beim Spielen unter einen fahrenden Traktor gerät. "Er hatte schwere Kopfverletzungen", erinnert sich Astrid. Die Ärzte geben ihm nur wenig Chancen. Doch Tom überlebt. Er trägt keine bleibenden Schäden davon, ist nur in seiner Motorik nicht ganz so fit wie Gleichaltrige. "Das ist wie ein Wunder", sagt Astrid, die an Gott glaubt. Weil ihr Kind gesund wird, möchte sie auch einem anderen Kind etwas Gutes tun. "Ich fühlte mich da moralisch einfach verpflichtet." Gern hätte sie auch noch ein eigenes Kind bekommen. "Es hat nicht geklappt", formuliert sie knapp. Astrid ist in einem Alter, in dem eine Schwangerschaft als Risiko gilt.

Über einen Artikel in einer Lokalzeitung erfahren Astrid und ihr Mann Karl von Josepha. Josepha ist Rumänin deutscher Herkunft. Sie möchte, so steht in jenem Artikel, armen Kindern in ihrem Heimatland helfen, sucht Leute, die sie dabei unterstützen. Astrid nimmt Kontakt zu ihr auf. "Ich bin davon ausgegangen, dass alles okay ist, schließlich muss eine Zeitung doch ordentlich recherchieren", findet Astrid. Vor dem Schöffengericht, vor dem Josepha sich später wegen Kinderhandels verantworten muss, sagt Astrid im Zeugenstand: "Mir ging es von Anfang an um Adoption." Josepha habe ihr zugesagt, dass sie über die nötigen Kontakte zu den Behörden verfüge, betont Astrid gegenüber dem Richter.

Ehemann Karl lässt Astrid freie Hand. "Wenn du das machen willst, dann machs." Astrid begleitet Josepha daraufhin nach Rumänien. "Ich wollte mir selbst ein Bild von den Verhältnissen dort machen." Die beiden Frauen bleiben zehn Tage. In einem Dorf, etwa 50 Kilometer von Lipova entfernt, treffen sie auf die damals drei Monate alte Marie. "Es herrschten erbärmliche Zustände in dem Haus", erinnert sich Astrid. "Die Kleine war das jüngste von neun Kindern. Alle machten auf mich einen völlig verwahrlosten Eindruck."

Man habe sich recht schnell mit den Eltern mündlich geeinigt, sagt Astrid. Josepha habe ihr mitgeteilt, dass aufgrund der Rechtslage in Rumänien zunächst nur eine zeitlich befristete Pflegschaft möglich wäre, die dann in eine Adoption münden könne. Mit Hilfe von Josepha habe sie sich vor Ort um die Formalitäten gekümmert. Marie habe nicht einmal eine Geburtsurkunde gehabt. "Ich habe den rumänischen Behörden Schmiergeld gezahlt", gibt Astrid vor dem Richter zu. "Josepha hatte gemeint, das sei nötig, damit wir die Papiere schneller bekommen." Im Nachhinein, sagt Astrid, "bin ich mir nicht mal sicher, ob die Frau auf jener Behörde überhaupt eine Beamtin war. Ich verstehe ja die Sprache nicht." Schließlich, so schildert es Astrid, wollte Josepha auch für sich Geld haben. "Das habe ich abgelehnt", sagt Astrid. "Ich kaufe doch kein Kind." Dennoch vereinbaren sie ein Darlehen in Höhe von 1.000 Euro. "Josepha wollte neue Fenster für das marode Kinderheim, das sie betrieb und in dem auch sie selbst wohnte." Was hätte ich tun sollen, fragt Astrid. "Der Winter stand doch bevor. Die hatten nichts." Ob tatsächlich neue Fenster eingebaut wurden, weiß Astrid nicht. Zurückbekommen hat sie das Darlehen bis heute nicht.

Bevor Astrid mit Marie Rumänien verlässt, möchte sie von den Eltern noch eine schriftliche Zustimmung, dass sie das Kind nach Ablauf der Frist adoptieren kann. Man habe sich zusammengesetzt, erinnert sich Astrid. "Josephas Tochter hat im Beisein der Eltern einen handschriftlichen Text verfasst." "Adoptici" steht da schwarz auf weiß. Unterschrieben wird das zweifelhafte Dokument von allen möglichen Leuten. Von den Pflegeeltern, von Josephas Mann, von ihrer Tochter und deren damaligem Freund, von Astrid. Nur Josepha unterschreibt nicht. Ob ihr das nicht merkwürdig vorgekommen sei, will der Staatsanwalt von Astrid wissen. Die verneint. "Das ist mir erst einmal gar nicht bewusst gewesen."

Der Direktor des Amtsgerichts ringt um Fassung. "Untragbar" nennt er den Fall. So eine Geschichte sei ihm in seiner gesamten Berufslaufbahn noch nicht untergekommen. Der Mann macht seinen Job schon lange Jahre. Astrid gibt zu: "Heute weiß ich, wie blauäugig ich war." Mitarbeiter des Jugendamtes sind alles andere als begeistert, als Astrid Anfang 2007 dort auftaucht, ihre Geschichte erzählt und Pflegegeld für Marie beantragt. "Die haben gesagt, ich solle das Kind sofort zurück nach Rumänien bringen. Eine Adoption rumänischer Kinder sei nicht möglich." Wie eine heiße Kartoffel sei sie behandelt worden, klagt Astrid gegenüber dem Richter.

Marie zurück nach Rumänien bringen - das will Astrid auf keinen Fall. Astrid versucht alles, um Marie in Sicherheit zu wissen. Sie wendet sich an das Bayerische Sozialministerium. Dort hat die Bayerische Rumänienhilfe ihren Sitz. Ein Mitarbeiter erinnert sich bei einer telefonischen Anfrage sofort an den Fall. "Wir haben Gespräche geführt." Die Rumänienhilfe verfüge über entsprechend gute Kontakte mit den dortigen Behörden, so der Mitarbeiter. Schließlich kommt eine notariell beurkundete Erklärung zustande. Darin zeigen sich Maries Eltern einverstanden, das Mädchen für zwei Jahre in Astrids Obhut zu geben. Später wird die Frist um weitere zwei Jahre verlängert. Doch mittlerweile ist der persönliche Kontakt zu den leiblichen Eltern abgebrochen. "Ich erreiche sie weder übers Handy noch über Briefe", bedauert Astrid.

In der Zwischenzeit verlangte Josepha immer wieder Geld, sagt Astrid. Mal für dieses, mal für jenes. "Sie meinte, die leiblichen Eltern bräuchten Geld für eine Waschmaschine", sagt Astrid und schüttelt missbilligend den Kopf. "Die hatten in ihrer Hütte doch nicht einmal einen Wasseranschluss. Die haben sich im Brunnen draußen gewaschen." Als die Geldforderungen nicht aufhören, eskaliert die Lage. Astrid beschließt, zur Polizei zu gehen. Der Händel um Marie wird ein Fall für die Kripo. Sie solle sich Rat holen, ob sie sich nicht auch selbst einer Straftat schuldig gemacht hat, habe ihr ein Beamter als Tipp mit auf den Weg gegeben.

Mit Hilfe einer Anwältin beantragt Astrid schließlich die Vormundschaft für Marie. Doch der Familienrichter lehnt ab. "Eine Vormundschaft ist nur möglich, wenn die elterliche Sorge nicht gewährleistet werden kann." Dies habe er aber in diesem Fall nicht für gegeben gehalten, erklärt er auf Anfrage. "Wenn die Eltern in Rumänien in der Lage sind, eine notariell beurkundete Erklärung abzugeben, können sie prinzipiell auch selbst für das Kind sorgen und entscheiden." Das sieht Astrid völlig anders. "Wie kann ein Richter meinen, in Rumänien würde es dem Kind genauso gut gehen wie hier?" Immerhin zeigt sich der Familienrichter nicht abgeneigt, nach Abschluss des Strafverfahrens gegen Josepha sich gegebenenfalls des Schicksals von Marie noch einmal anzunehmen. "Es muss selbstverständlich eine rechtlich ordentliche Lösung geben." Der Amtsgerichtsdirektor, der in dieser Verhandlung den Vorsitz hat, wirft Josepha vor, Marie als Spielball finanzieller Interessen missbraucht zu haben. Josepha ist seiner Behörde bekannt. Wegen Steuerhinterziehung, Urkundenfälschung und Beihilfe zum Betrug. Er gibt ihr eine letzte Verwarnung. In den Knast schicken will er sie nicht. "Ich unterstelle im Fall Marie keine kriminelle Systematik. Es handelt sich um einen Einzelfall." Josepha bekommt mit einer Bewährungsstrafe wegen versuchten Kinderhandels davon. Zusätzlich soll sie 250 Arbeitsstunden leisten. Doch Josephas Verteidiger geht in Berufung. Nun muss sich im Sommer das Landgericht mit dem Fall beschäftigen. "Jetzt geht die ganze Fragerei wieder von vorne los" reagiert Astrid genervt.

Und Marie? Die mag Pippi Langstrumpf und das Sandmännchen. Nascht gerne Schokolade und setzt sich auf Pflegepapa Karls Schoß. Sie weiß nicht, dass sie vielleicht in einigen Monaten zurück in ein Land muss, in dem sie niemanden kennt, schon gar nicht ihre leiblichen Eltern. Und in dem sie kein einziges Wort versteht. Es gibt Tage, da flüchtet sich Astrid in all ihrer Sorge um Maries Zukunft in Galgenhumor. "Wenn wir ein kleines Eisbärenbaby Knut hätten, wäre längst eine Lösung gefunden."

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