L'État c'est moi (X): Der bemannte Staat

Der Staat ist repressiv und patriarchal. Doch der Glaube an ein "feministisches Jenseits" des Staates ist auch eine Illusion. Über die Paradoxien feministischer Staatskritik.

Im Wahlkampf zeigte sich die SPD betont frauenfreundlich - die Realität sieht meistens anders aus. Bild: ap

Nach den neoliberalen Abgesängen auf den Staat kehrt angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise und des Versagens ökonomischer Selbstregulation eine post-neoliberale Spielart des Rheinischen Kapitalismus zurück: Der Staat soll in die Ökonomie intervenieren, als Nothelfer der angeschlagenen Finanzhäuser und zur Abstützung trudelnder Wirtschaftsbranchen. Es kann also von einer Erosion des Nationalstaates keine Rede sein, vielmehr wird, dies zeigen die vornehmlich nationalstaatlich organisierten Rettungsbemühungen für die Finanzwirtschaft, Staatlichkeit in einem modifizierten Zusammenspiel lokaler, nationaler und supranationaler Ebenen neu geordnet.

Diese Re-Skalierung von Staatlichkeit setzt die Frage nach dem Geschlecht des Staates wieder auf die Agenda. Es ist zu befürchten, dass auch die Patriarchalität des Staates re-organisiert wird. Die deutschen Rettungsaktionen für Banken und die Automobilbranche zeugen davon, dass die staatliche Benachteiligung von Frauen gerade in der Krise fröhliche Urstände feiert - Frauenarbeitsplätze wurden nicht als "systemwichtig" qualifiziert. So hat sich wieder gezeigt, dass der Staat männlich ist. Dies gibt einmal mehr Anlass zur Frage, ob Frauen besser "keinen Staat machen" sollten. Sollte eine feministische Strategie, die auf weibliche Freiheit und Selbstbestimmung zielt, nicht ohne oder jenseits staatlicher Institutionen ansetzen?

Ein kurzer historischer Rückblick verdeutlicht das stets ambivalente Verhältnis von Frauenbewegung und Staat. Für die bundesdeutsche Frauenbewegung war der Staat bis weit in die 1980er Jahre hinein eine Anti-Institution: Staatliche Verwaltungen, vor allem staatliche Gesetze wurden als Instrumente zur Unterdrückung, Marginalisierung und Kontrolle von Frauen kritisiert. Die Erfahrungen mit der repressiven Abtreibungsregelung geben dieser staatsskeptischen Sicht bis heute Recht.

Auch der patriarchale Wohlfahrtsstaat institutionalisierte durch seine Maßnahmen die soziale Rechtlosigkeit von Frauen beziehungsweise ihre vom männlichen Familienernährer lediglich abgeleitete Existenz. Der Sozialstaat trug systematisch zur Aufrechterhaltung geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung und zur Entwertung von Frauenarbeit bei. Auch die familiär organisierte Kinderbetreuung und Pflege alter Menschen ist eine Form staatlich organisierter Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Vor allem die staatlich tolerierte Sicherheitslücke in der Privatsphäre, die Tatsache, dass geschlechtsbasierte Gewalt im sozialen Nahraum lange nicht als Gewalt betrachtet und bis in die 1990er Jahre staatlich nicht geahndet wurde, war Ausweis staatlich organisierter Geschlechterdiskriminierung.

Und schließlich sind Frauen politisch nach wie vor unterrepräsentiert, von staatlicher Entscheidungsmacht ausgeschlossen. Eine Kanzlerin macht da noch keinen feministischen Sommer, denn die politische Öffentlichkeit ist maskulinistisch kodiert und die Parteien als zentrale Akteure liberaler Demokratien sind die Hüter politischer Männlichkeit. Der Staat ist kein neutraler Vermittler zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Interessen, er stellt kein Allgemeinwohl her und dar. Er ist ein Männerbund, und zwar nicht nur in dem schlichten Sinne, dass staatliche Institutionen mehrheitlich von Männern besetzt, also "bemannt" sind, sondern in einem strukturellen Sinne, dass der demokratische Staat männliche Dominanz und Privilegien organisiert, Frauen aber systematisch zum "anderen Geschlecht" macht und diskriminiert.

Birgit Sauer, 52, ist seit 2006 Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Sprecherin des Doktoratsprogramms "Gender, Violence and Agency in the Age of Globalization". Forschungsschwerpunkte: Politik der Geschlechterverhältnisse sowie Staats- und Institutionentheorien. Zuletzt erschienen: "Staat und Geschlecht. Grundlagen und aktuelle Herausforderungen feministischer Staatstheorie" (Nomos Verlag), zusammen mit Gundula Ludwig und Stefanie Wöhl.

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L'État, cest moi (X) | Welche Macht hat der Staat noch? Und was hat das mit uns zu tun? Serie zur Bundestagswahl.

Doch trotz der Reproduktion des Immergleichen sind seit den 1970er Jahren die Geschlechterverhältnisse westlicher Demokratien und Wohlfahrtsstaaten in Bewegung geraten. Trotz des Beharrens auf "Autonomie versus Institution" schlugen auch Teile der deutschen Frauenbewegung den Weg in Richtung staatliche Institutionen ein, und der Staat wurde zum Ansprechpartner für feministische Forderungen sowohl nach Anerkennung wie auch nach finanziellen Ressourcen. Die in den Folgejahren etablierten staatlichen Gleichstellungspolitiken - Quotenregelungen im öffentlichen Dienst und in Parteien, Bereitstellung von öffentlichen Kindereinrichtungen, partielle gesellschaftliche Anerkennung bzw. Honorierung von Pflege- und Hausarbeit - waren erfolgreich bei der Integration von Frauen in Bildung, Erwerbsarbeit und politische Entscheidungspositionen. Seit den 1970er Jahren entwickelte sich ein "Staatsfeminismus", eine Geschlechterdemokratisierung durch staatliche Institutionen wie Frauenministerien und Gleichstellungsbeauftragte.

Die Ironie der Geschichte holte die feministische Staatskritik ein: Als westeuropäische Sozialstaaten, insbesondere der deutsche unter der rot-grünen Regierung, im Zuge ökonomischer Globalisierung und neoliberaler Restrukturierung verschlankt und abgebaut wurden, musste auch die feministische Debatte erst einmal Atem holen und trotz aller Staatsskepsis zurecht auf sozialstaatliche Regulierungen und Institutionen beharren.

Die Folgen des sozialstaatlichen Kahlschlags waren in den meisten europäischen Ländern für Frauen dramatischer als für Männer: Frauen wurden stärker für familiäre Betreuungs- und Pflegearbeiten in die Pflicht genommen, aber nicht alle Frauen gleichermaßen: Vielmehr wurde die Differenz zwischen Frauen, vor allem klassenmäßige und ethnische Unterschiede, geschickt ins staatlich sanktionierte neoliberale Kalkül einbezogen. Für die kapitalismusnotwendige, aber externalisierte Care-Arbeit werden kaum innovative Regulierungen entworfen, obwohl die Lissabon-Strategie der EU das weibliche Arbeitskräftereservoir ausschöpfen und dem kapitalistischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen will. Haushalte werden so nicht mehr nur Sphären unbezahlter Arbeit, sondern entwickeln sich zu staatlich geduldeten Billiglohnsektoren für Migrantinnen.

Diese wechselvolle Beziehungsgeschichte zwischen Feminismus und Staat führte zu einem revidierten feministischen Staatskonzept und mithin zu einer differenzierteren Einschätzung der Rolle des Staates für die Reproduktion ungleicher Geschlechterverhältnisse. Staatlicher Maskulinismus wird als Organisationsmuster begriffen: Die "versachlichte" Männlichkeit staatlicher Institutionen entsteht zum Beispiel aus einem vermeintlich rationalen, ent-emotionalisierten Regelsystem, einer geschlechtsspezifischen hierarchischen Arbeitsteilung, dem Senioritätsprinzip, persönlichen Netzwerken von Männern sowie einem spezifischen Denkstil staatlicher Institutionen.

Dieser "male bias" erklärt sowohl eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen von formal-demokratischen Verfahren wie auch die Unterrepräsentation von Frauen in politischen Institutionen trotz ihrer rechtlichen Gleichstellung. Die demokratischen Verfahren der Wahl von RepräsentantInnen stellt Männlichkeit als System bzw. hierarchische Zweigeschlechtlichkeit auf Dauer, ist doch der Repräsentationsprozess ein geschlechtsspezifischer Herrschaftsmechanismus, der eher (männliche) Partikularinteressen durchsetzt als Universalität und Chancengleichheit realisiert.

Quoten, die prinzipiell am biologischen Geschlecht ansetzen, sind zwar ein probates Mittel, um die Präsenz von Frauen in staatlichen Entscheidungsprozessen zu erhöhen, sie sind aber keine Garantie dafür, dass versachlichte Strukturen von Männlichkeit, an denen durchaus auch Frauen partizipieren, transformiert werden. Dafür braucht es neben der bloßen Präsenz auch das aktive Handeln für Frauen oder für feministische Ziele.

Jenseits dieser institutionalistischen Staatsvorstellung muss der Staat in einem weiteren Sinne als Arena verstanden werden, in dem gesellschaftliche Kräfte, Männer und Frauen, um die Realisierung ihrer Interessen kämpfen. Ja mehr noch, der Staat ist ein Feld, in dem Männer und Frauen überhaupt erst hervorgebracht werden, zum Beispiel durch die Eintragung ins Geburtenregister, und in dem vor allem ungleiche Zweigeschlechtlichkeit produziert wird. Diesen Prozess nennen Michel Foucault und Judith Butler Subjektivierung, also die herrschaftsförmige Hervorbringung von Subjekten im staatlichen Feld.

Hier bekommt der Satz "L'état c'est moi" seine andere Bedeutung, dass nämlich mit dem Staat vergeschlechtlichte Subjekte erst wahrnehmbar, also gleichsam "existent" werden und dass der Staat die Institutionalisierung dieses ungleichen Geschlechterregimes ist. Das heißt auch, dass es kein "feministisches Jenseits" des Staates gibt, keine wie immer verklärte Zivilgesellschaft, in der Freiheit und Autonomie einfach realisierbar wären. Dies war eine lange frauenbewegte Illusion. Vielmehr führt der Weg zu Freiheit und Selbstbestimmung durch Kämpfe im und mit dem Staat, um frauenfreundliche Kräfteverhältnisse zu realisieren und vor allem um staatliche geschlechtsspezifische Normalisierungs- und Normierungsmechanismen - sei es in der Sozial-, der Arbeitsmarkt- oder der Gesundheitspolitik - außer Kraft zu setzen.

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