Der sorglose Anwalt

BETRUG Das Verfahren gegen Michael Wolski wirft viele Fragen auf. Warum haben Finanzämter und Behörden in Frankfurt und Offenbach so spät eingegriffen?

Vor Gericht geben sich beide, Angeklagter und Zeuge, als schelte ein Schelm den anderen

AUS DARMSTADT HEIDE PLATEN

Das ist Boulevard, Schmierenkomödie, Volkstheater – und eigentlich doch nur ein trockener Strafprozess, bei dem es laut Anklage um Steuerhinterziehung in Höhe von ungefähr 2,6 Millionen Euro gehen sollte. Der Angeklagte Michael Wolski (61) mag einmal ein imposanter Mann gewesen sein, stattlich, groß, mit sonorer Stimme. Auf der Anklagebank vor der Wirtschaftsstrafkammer des Darmstädter Landgerichts blickt er meist nach unten, die Schultern gebeugt, die mausbraunen Locken im Nacken schweißnass. Wenn er aufsteht, geht er vornübergebeugt mit schweren Schritten. Seine Stimme klingt weinerlich, als täte er sich ständig selber leid. Tatsächlich hat der Rechtsanwalt einen tiefen Fall getan. Als hoch dotierter Berater, Geschäftsführer, dann Gesellschafter eines in unübersichtlich zahlreiche Firmen zergliederten Frankfurter Immobilien- und Investmentunternehmens ist er gestartet, als angeklagter Steuerhinterzieher und öffentlich vorgeführter Witwenschüttler gelandet.

Von 1999 bis 2003 soll er Zuwendungen, die er zuerst von dem Ehepaar Ignatz und Margit C. (87) gemeinsam und dann, nach der Heimeinweisung von Ignatz C., von dessen Ehefrau erhalten hatte, nicht versteuert haben. Der Schwiegersohn der Familie, der umtriebige Frankfurter Orthopäde Janusz P. (56), und seine Ehefrau Evelyn C.-P. (63) werfen Wolski vor, die Familie zerstört, sich das Vertrauen der Mutter zum Zwecke der persönlichen Bereicherung erschlichen, den Vater 1999 in ein Altenheim abgeschoben und dort „lebendig eingemauert“ zu haben. Ein Verhältnis habe die Mutter mit dem 30 Jahre jüngeren Mann gehabt. Gezielt soll Wolski sie abgeschirmt, der Familie entfremdet und Lügen und Intrigen gesponnen haben. 2006 starb Ignatz C.

Unstrittig ist, dass Wolski von 1999 bis 2005 trotz Einnahmen in Millionenhöhe darauf verzichtete, Umsatz- und Einkommensteuererklärungen abzugeben. Das allein hätte zwar zur Anklage genügt, nicht aber dazu, ihm öffentliches Interesse zu verschaffen. Dieses verdankt er der Tatsache, dass seine Ehefrau Karin Wolski nicht nur Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Frankfurt, sondern auch Mitglied des Staatsgerichtshofs ist. Karin Wolski beriet außerdem den damaligen Landtagspräsidenten in der CDU-Schwarzgeldaffäre. Für die CDU strebte sie 2003 das Amt der Oberbürgermeisterin in Offenbach an. Sie zog ihre Kandidatur zurück, als die Vorwürfe gegen ihren Ehemann bekannt geworden waren.

Dubiose Rolle der Ehefrau

Seither zieht das Verfahren weite Kreise. Parallel zur Steuerfahnderaffäre, die derzeit einen Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag beschäftigt, warf auch das Verfahren gegen Wolski Fragen an die Finanzbehörden, das zuständige Ministerium und Finanzminister Karl-Heinz Weimar (CDU) auf. Warum konnten die Wolskis so lange Zeit keine Einkommensteuern zahlen? Welche Finanzämter waren dafür verantwortlich, dass die zuständigen Behörden in Offenbach und Frankfurt so spät eingriffen? Was wusste Richterin Wolski, die die gemeinsamen Steuererklärungen als Ehefrau gegenzeichnete?

Unzweifelhaft profitierte sie von dem Geldsegen der C.s. Sechs Autos waren auf ihren Namen zugelassen, sie bewohnte gemeinsam mit ihrem Mann ein Haus in Neu-Isenburg, das von den Zuwendungen abbezahlt und ausgebaut worden war. Ihr Mann reiste mit Margit C., begleitete sie auf Empfänge. Der Frankfurter Klatsch blühte. Als er zu heftig wurde, zog sich Michael Wolski als Unterhalter der Witwe zurück, stattdessen bummelte seine Frau Karin mit ihr durch die Stadt.

Vorsitzender Richter Rainer Buss tut sich schwer mit diesem Delinquenten. Der Jurist und Rechtsanwalt Wolski verblüfft vor allem dadurch, dass er Gesetzestexte nicht kennt und Prozessabläufe so inkompetent infrage stellt, dass Buss sichtlich um Fassung ringen muss. Dass sich der Streit zwischen Margit C. und ihren potenziellen Erben ausgerechnet an schlappen 10 Millionen Euro entzündete, deren Herkunft mehr oder minder dubios ist, ist nur noch eine Pikanterie am Rande.

Das Geld landete, so schildert es zumindest Wolski, vorübergehend auf dem Konto von Janusz P. Es stammte vermutlich aus einem Überschuss an staatlichen Subventionen für ein Bauvorhaben, für das ein Kostenvoranschlag zuerst von einer deutschen Baufirma eingereicht wurde. Nachdem eine billigere, österreichische Firma den Zuschlag erhalten hatte, wanderte der Überschuss auf P.s Konto. Janusz P. weigerte sich, das Geld wieder zurückzugeben. Um es, sagte er vor Gericht, für die Familie zu bewahren und vor Wolskis Habgier zu schützen. Der wiederum ist überzeugt, dass P. ihn ausbooten und seine Schwiegermutter lieber selber ausplündern wollte.

Janusz P., schnell und redegewandt, ließ im Zeugenstand keinen Zweifel daran, dass er dem Angeklagten nicht wohlgesinnt ist. Immer wieder suchte er die Öffentlichkeit, um intime Details aus dessen Familiengeschichte zu verbreiten. Ob er auch für ein heimlich aufgenommenes Video verantwortlich zeichnet, dass Wolski knapp bekleidet in der Wohnung der Margit C. zeigt, blieb im Dunkeln. Wolski, einstiger Schwimmsportler, erklärte dazu, er habe lediglich den Swimmingpool seiner Mandantin benutzt. Vorsitzender Richter Rainer Buss machte „Belastungstendenzen“ aus, die er „mit äußerster Vorsicht“ werten werde.

Vor Gericht geben sich beide, Angeklagter und Zeuge, als schelte da ein Schelm den anderen. Da ist viel die Rede von einander wechselseitig bereitetem Tort. Wolskis Auto wurde gestohlen, just mit den Steuerunterlagen, die er zwar verspätet, aber brav hatte einreichen wollen, ein Büro wurde verwüstet, Reifen wurden durchstochen, diskriminierende Zeitungsanzeigen aufgegeben, Drohungen ausgestoßen. Das Liebesverhältnis, das ihre Mutter ihr gestanden habe, so Evelyn C.-P., habe sie „einfach nur geschockt“: „Ich fand das einfach widerlich.“ Michael Wolski bestritt vor Gericht stets, eine zu persönliche Beziehung zu Margit C. gehabt zu haben. Diese ließ wissen, sie werde nicht als Zeugin aussagen, aus gesundheitlichen Gründen und weil sie fürchte, sich selbst zu belasten.

Die ganze Schmuddelgeschichte wird in epischer Breite ausgewalzt. Richter Buss bewahrt manchmal nur mühsam die Fassung. Dennoch ist er gezwungen, die Herkunft des Geldes zu klären, das auf Wolskis Konto landete. Waren es Honorare, gezahlt für seine Arbeit – einschließlich eines zinslosen Kredites, ausschöpfbar bis zur Höhe von 3 Millionen Euro? Waren das Bare, die Autos, die Büromiete geldwerte Vorteile, oder waren es Schenkungen? Sie hätten dann jeweils unterschiedlich versteuert werden müssen. Und so kämpft sich das Gericht durch Belege, widersprüchliche Zeugenaussagen von Finanzbeamten, Bankangestellten und Steuerfahndern. Buss kann nicht umhin, den Angeklagten auch darauf hinzuweisen, dass Schenkungen nicht nur versteuert werden müssen, sondern bei einem Mandatsverhältnis wie dem zu Ignatz C. auch als Untreue gewertet werden könnten, weil seinem Mandanten dadurch Vermögensnachteile entstanden seien. Das könnte Wolski auch die Zulassung als Rechtsanwalt kosten.

„F“ als Nummernschild

Auffällig an dem Steuerverfahren gegen Michael Wolski ist die Unbekümmertheit, mit der Zeugen wie Angeklagter davon berichten, wie hohe Geldbeträge hin- und hergeschoben, auf Privatkonten zwischengeparkt wurden und in einem Gewirr von Firmen verschwanden und wie dabei ohne jedes Unrechtsbewusstsein agiert wurde. Wohn- und Geschäftssitz änderten sich nach Gusto. Für die Steuer arbeitete Wolski in seinem Wohnort Neu-Isenburg, weil er sich vom dort zuständigen Finanzamt Offenbach eine kulantere Behandlung versprach, für die Autos wiederum mutierte eine Frankfurter Scheinadresse zur Privatwohnung, nicht nur wegen des durchaus schickeren „F“ statt „OF“ auf dem Nummernschild, sondern auch weil man die Wagen, u. a. einen roten Ferrari, auf den Namen von Karin Wolski zugelassen, so ihr Ehemann vor Gericht, zum „günstigeren Beamtentarif“ anmelden konnte.

Der Verdacht, dass gegen Karin Wolski deshalb nicht ermittelt wurde, um sie als CDU-Politikerin und hohe Amtsträgerin zu schützen, war nebenbei Gegenstand parlamentarischer Anfragen und Presseerklärungen der Landtagsparteien. Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) bestritt im Rechtsausschuss, dass das Angebot einer Zeugin vorgelegen habe, gegen Wolski und Margit C. auszusagen. Im Nachhinein räumte er ein, dass es ein solches Angebot doch gegeben habe, allerdings unterbreitet vom Anwalt. Grüne und Linke forderten prompt ein Disziplinarverfahren und den Rücktritt von Karin Wolski von ihren Ämtern. Anfang März war das Verhalten der Familie Wolski auch Gegenstand einer turbulenten Landtagsdebatte, in der selbst die CDU davon absah, Karin Wolski zu verteidigen. Sie sei, so Staatskanzleichef Stefan Grüttner (CDU), „eine erwachsene Frau“ und könne selbst entscheiden, ob sie im Amt bleibe. Karin Wolksi denkt nicht an Rücktritt, wie sie erklärte. Das Urteil über ihren Mann wird für Mitte März erwartet.