Rede zur Lage der Nation: Buzzword-Bingo mit Obama

Republikaner bezirzen und Demokraten nicht vergrätzen - ist Obama das mit seiner Rede an die Nation gelungen? Wie Obamas Anhänger den Auftritt erleben.

US-Präsident Barack Obama hat nach der Rede zur Lage der Nation alle Hände voll zu tun. Bild: dapd

WASHINGTON taz | "Steuern", "Schulden", "China", "Mineralöl" sind Worte, die Ann eingetragen hat. Außerdem steht da noch "Heute", "Morgen", "Einheit" und: "USA sind Weltspitze". Die junge Frau, Pressesprecherin eines Unternehmens in Washington, steht in dem dichten Gedränge einer Bar im trendigen Nordwesten der Stadt. Zusammen mit 450 anderen, meist jungen AnhängerInnen von Barack Obama.

Sie haben Einladungen per E-Mail zu diesem "State of the Union"-Abend erhalten, bei dem der US-Präsident Rückschau auf das vergangene und Ausblick auf das kommende Jahr hält. Viele hier halten ausgefüllte Bingo-Zettel in der Hand. Jedes Mal, wenn Barack Obama eines der Stichworte auf den Bingo-Zetteln anspricht, geht ein Raunen durch die Menge, klirren Gläser beim Prosten aneinander und machen Anwesende Kreuze über die richtig ausgefüllten Felder ihrer Zettel.

"Ein Abend wie dieser ist Fun", sagt der 21-jährige Michael aus St. Louis. Sich selbst stuft er so ein: "gesellschaftlich links, steuerlich konservativ". Der junge Mann ist kurz vor Obamas Wahl im Herbst 2008 Demokrat geworden und hat gleich Wahlkampf für Obama gemacht. Michaels politische Wandlung hatte mit seinem Coming-out zu tun: "Vorher war ich ein junger Republikaner in der tiefen Provinz. Dahinter vermutete niemand einen Schwulen." Zwei Jahre danach studiert Michael in Washington. Lebt seine neu entdeckte Sexualität. "Demokraten und Republikaner müssen jetzt zusammenarbeiten", sagt der junge Mann schulterzuckend, "das ist gut so."

Kurz nach 9 Uhr abends eröffnet der Präsident seine zweite State-of-the-Union-Ansprache. Er tut es mit Appellen an die nationale Einheit. Genau wie es auf den Bingo-Zetteln steht. Obama gratuliert den frisch gewählten Abgeordneten und dem republikanischen neuen Chef des Repräsentantenhauses, John Boehner. Er gedenkt der Opfer der Schießerei von Tucson und der mit einem Kopfschuss verletzten demokratischen Abgeordneten Gabrielle Giffords, deren Stuhl im Kongress an diesem Abend leer bleibt.

Das beste Land auf Erden

Das State-of-the-Union-Ritual wiederholt sich jedes Jahr Ende Januar im Kongress und dient dazu, daran zu erinnern, dass die USA das beste Land auf Erden sind. In den USA sind 15 Millionen Menschen arbeitslos. Und gehen die Räumungsklagen von zigtausenden Wohnungen pro Woche in immer rasanterem Rhythmus weiter. Und so beherrscht das Gefühl, "die Chinesen" kontrollierten längst die Geschäfte und die Währung, einen großen Teil der Gespräche am Tresen. Doch eine Sotu-Rede, eine State-of-the-Union-Ansprache muss positiv sein, muss die US-AmerikanerInnen optimistisch stimmen.

Obama hält sich an diese Regel. Sukzessive spricht er von den unterschiedlichsten Erfolgen. Von der Gesundheitsreform, die auch jungen Leuten unter 26, die noch kein Geld verdienen, und älteren, die chronische Krankheiten haben, den Zugang zur Krankenversicherung öffnet. Und von dem im Juli beginnenden Truppenabzug aus Afghanistan.

Obama sagt kein Wort über eine stärkere Kontrolle von Schusswaffen. Nach einem solchen Schritt verlangen nach der Schießerei von Tucson Petitionen, die unter anderem vom linken Parteiflügel der DemokratInnen kommen. Doch die starke Rüstungslobby sowie fast alle republikanischen und viele der demokratischen Abgeordneten halten dagegen. Auch über das Gefangenenlager Guantánamo, in dem die USA ausländische Terrorismusverdächtige jahrelang festhalten und dessen Schließung Obama vor zwei Jahre versprochen hat, sagt er kein Wort.

Das Stichwort "Terror" hat Ann gar nicht erst auf ihren Bingo-Zettel eingetragen. Das war zu den Zeiten von Expräsident George W. Bush anders. Bei dessen Sotu-Reden spielten die Feinde der USA eine zentrale Rolle. Bei Obama ist es die Ökonomie. "Dies ist der Sputnik-Moment unserer Generation", sagt er. Das Bild spielt auf einen Wettlauf im Weltraum an, der anfangs nicht gewinnbar erschien. Ein halbes Jahrhundert nach seinem Beginn ist der damalige Gegenspieler, die Sowjetunion, von der Weltkarte verschwunden. Und schlägt Obama den USA einen Fünfjahresplan vor.

Kein "Terror" auf dem Zettel

So lange will der Präsident alle Ausgaben im Bundesetat einfrieren - Rüstungsausgaben inklusive. Zugleich will er mit Investitionen in Zukunftssektoren neue Arbeitsplätze schaffen. Seine wichtigsten Investitionsbereiche: Schule, Internet, ein Netz von Hochgeschwindigkeitszügen und neue Umwelttechnologien, die - so Obama - von Sonne und Wind bis hin zu Atomenergie reichen.

Die 40-jährige Darlene, Mitarbeiterin einer humanitären Organisation, hat keinen Bingo-Zettel für den Sotu-Abend ausgefüllt. Die Afroamerikanerin hat Obama zum Präsidenten gewählt, ist "sowohl mit seiner Politik als auch mit seinem immer richtigen Ton" einverstanden, sie hat nichts dagegen, dass er in Zukunft stärker Politik im Zentrum machen wird, und ist an diesem Abend gekommen, um genau das zu zeigen.

Darlene ist überzeugt, dass die Hasskampagnen gegen Obama viel mit seiner Hautfarbe zu tun haben. Unter einer Präsidentin Hillary Clinton wäre eine aggressive rechte Gruppe wie die Tea Party nicht entstanden, glaubt sie. Wie viele andere, die Obamas State of the Union an diesem Abend in der Bar in Washington lauschen, stellt auch Darlene sich schon auf den kommenden Wahlkampf ein. 2012 will sie erneut für Obama kämpfen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.