EU und Nordafrika: Hauptsache Sicherheit

Erst verschlossen die Europäer jahrzehntelang vor dem Unrecht in Nordafrika die Augen. Jetzt wollen sie in Nordafrika Unternehmer statt Diktatoren fördern.

Wenn's um Geld und Sicherheit geht, drücken die europäischen Staatschefs schon mal beide Augen zu: Nicolas Sarkozy und Husni Mubarak im Sommer 2010. Bild: reuters

BRÜSSEL taz | Eine Geberkonferenz auf Expertenebene hat am Mittwoch in Brüssel über eine koordinierte Nordafrikapolitik angesichts der Volksaufstände in Tunesien, Ägypten und Libyen beraten. Die EU-Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission, die USA und Japan, die Weltbank und die Europäische Investitionsbank wollen die Wirtschaften dieser Länder ankurbeln. Es geht auch darum, die unzufriedene Jugend durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen.

Der Schwachpunkt der europäischen Nordafrikapolitik in den letzten Jahren war, dass sie sich auf die Unterstützung von Regierungen beschränkte. Vor Unterdrückung verschloss man die Augen.

Gespräche zwischen europäischen und libyschen Funktionären über ein geplantes Rahmenabkommen zwischen EU und Libyen gab es noch am 16. Februar, einen Tag nach Ausbruch der ersten Unruhen in Bengasi. Erst am Sonntag äußerte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erstmals "große Sorge" über die Tötung einer großen Anzahl libyscher Demonstranten und verurteilte die Repression.

Die EU-Außenminister riefen am Montag alle Seiten zur Zurückhaltung auf und trafen keine eigenen Beschlüsse. Die Verhandlungen über das Rahmenabkommen wurden erst am Dienstag von Ashton verabschiedet. Ein Sprecher der EU-Kommission nannte das Vorgehen Gaddafis schließlich "absolut inakzeptabel".

Es liege nicht an Europa, Lösungen durchzusetzen, sagte Ashton zum Abschluss des EU-Außenministertreffens und gab damit den Dissens innerhalb Europas wieder: Während Polens Präsident Bronislaw Komorowski Europa einen "Mangel an Vision" vorwarf, warnte Tschechiens Außenminister Karl Schwarzenberg für den Fall eines Sturzes Gaddafis vor einer "Katastrophe".

Viele europäische Länder sorgen sich in erster Linie um die Sicherheit ihrer eigenen Staatsbürger in Libyen. Besonders laut waren die Appelle zur Zurückhaltung aus Italien. Aber auch Belgiens Außenminister Steve Vanackere nannte Drohungen, die Zusammenarbeit zwischen EU und Libyen bei der Flüchtlingsabwehr zu beenden, "lächerlich".

Erst vor zwei Jahren lieferte Belgien Sturmgewehre, Pistolen, Granaten und Maschinengewehre an Libyen. Ein Regimegegner in Bengasi hat auf einem Video ein belgisches Gewehr der Marke FN 303 vorgeführt, das den Sicherheitskräften Gaddafis abgenommen worden sein soll.

Wieder einmal scheint die EU große Schwierigkeiten damit zu haben, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. In Tunesien und in Ägypten agierte die EU trotz ihrer intensiven Zusammenarbeit mit den Mittelmeerländern schon nicht vorausschauend. Die im Sommer 2008 ins Leben gerufene "Mittelmeerunion", kopräsidiert von Nicolas Sarkozy und Husni Mubarak, ist faktisch tot; ihr jordanischer Generalsekretär Ahmed Masadeh gab am 26. Januar seinen Rücktritt bekannt und wurde nicht ersetzt.

Der EU-Botschafter in Tunis, der Niederländer Adrianus Koetsenruijter, weigerte sich, oppositionelle Gruppen zu treffen, kritisiert die französische grüne Europaabgeordnete Hélène Flautre und fordert die Auswechslung des Diplomaten. "Die EU wird erst dann aktiv, im Sinne von Kontensperrungen oder Visaverboten, wenn die Diktatoren bereits im Flugzeug sitzen", kommentiert ein Mitarbeiter des Europaparlaments.

Die konkreteste Reaktion kam bislang von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Am Dienstag kündigte sie einen Kreditrahmen von 6 Milliarden Dollar über zwei Jahre für Investitionen in Nordafrika an. Am 2. und 3. März will der für die Mittelmeerländer zuständige EIB-Vizepräsident Philippe de Fontainevive in Tunis mit der tunesischen Regierung Details besprechen.

Priorität haben Kredite für kleine und mittelständische Unternehmen sowie Kredite an Kommunen, um öffentliche Bauprojekte zu finanzieren. EIB-Präsident Philippe Maystadt wies aber darauf hin, dass zur Aktivierung dieser Gelder noch einige EU-Beschlüsse erforderlich seien. So müssen der Ministerrat und das EU-Parlament rund 700 Millionen Euro aus einem Klimaschutzfonds freigeben, und der EU-Rat muss einen Parlamentsbeschluss billigen, die Obergrenze möglicher Kreditgarantien für die südlichen Mittelmeeranrainerstaaten um 1 Milliarde Euro anzuheben. "Sobald wir grünes Licht haben, können wir die bereits identifizierten Projekte anschieben", sagt de Fontainevive.

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