Offiziell versagt

GEHEIMDIENST Eine Untersuchungskommission weist thüringischen Sicherheitsbehörden nach, Informationen vorenthalten zu haben

■ Gleich nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im November 2011 hat das Thüringer Innenministerium eine Expertenkommission zur Aufklärung berufen. Geleitet wurde sie von dem ehemaligen Bundesrichter Gerhard Schäfer. Sein Bericht soll auch den inzwischen fünf anderen Gremien zum NSU als Grundlage dienen.

■ Neben dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags unter Leitung von SPD-Mann Sebastian Edathy haben auch die Landtage Thüringens, Sachsens und zuletzt auch Bayerns eigene Untersuchungsausschüsse ins Leben gerufen.

■ Außerdem trifft sich seit Februar regelmäßig eine vierköpfige Expertenkommission von Bund und Ländern, die ein Gesamtbild der Erkenntnisse über Behördenversagen erstellen und Empfehlungen für politische Schlussfolgerungen vorlegen soll. Die Kommission soll insbesondere Mängel an den Schnittstellen zwischen Bundes- und Landesbehörden ins Visier nehmen.

AUS ERFURT MICHAEL BARTSCH

Die Versäumnisse der Thüringer Behörden bei der Fahndung gegen das Jenaer Neonazitrio sind nun auch offiziell belegt. Ohne diese gravierenden Pannen wären zumindest die Chancen für eine Ergreifung der Mörder größer gewesen, sagte der Vorsitzende Schäfer, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof. Das bestätigt der am Dienstag vorgestellte Abschlussbericht der vor einem halben Jahr von der Landesregierung eingesetzten Untersuchungskommission.

Das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war am 26. Januar 1998 untergetaucht. Für eine Analyse des Behördenverhaltens im Zeitraum 1998 bis 2001 wertete die Kommission etwa 50 Aktenordner aus und hörte mehr als 40 Zeugen an. Im Ergebnis stellte die dreiköpfige Kommission sowohl strukturelle Probleme als auch fragwürdiges persönliches Verhalten fest. So sprach Schäfer von einer „katastrophalen Aktenführung“. „Es hat offenbar einen Wettbewerb zwischen Landeskriminalamt und Verfassungsschutz gegeben, des Trios habhaft zu werden“, resümierte Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU). Dabei hat man sich praktisch gegenseitig ausgebootet. Krassestes Beispiel sind Telefonüberwachungen des Landeskriminalamtes, die auch die Eltern von Mundlos und Böhnhardt betrafen. Über sie sollte versucht werden, an die Terroristen im Untergrund heranzukommen. Verfassungsschützer baten ihrerseits die Eltern, sie von einer Telefonzelle aus zu informieren, weil ihr Anschluss abgehört werde.

Das Trio war durch abgelegte Bombenatrappen und eine sprengfähige Bombe am Theaterhaus Jena 1997 ins Visier der Fahnder geraten. Im Einzelnen rügt die Schäfer-Kommission bereits eine erste fehlgeschlagene Garagendurchsuchung in Jena vom Januar 1998. Hier seien mangels Koordination „handwerkliche Fehler“ gemacht worden, sagte der Kommissionsvorsitzende. Observationen und öffentliche Aufrufe in der „Kripo live“-Sendung des MDR blieben ebenso erfolglos wie eine halbherzige Zielfahndung. Die Zielfahnder seien über das Beziehungsgeflecht in der rechtsextremen Szene gar nicht informiert gewesen, schreibt der Kommissionsbericht. Das habe man 2001 nach drei Jahren endlich auch eingeräumt. Für eine erfolgreiche Fahndung hätte eine Sonderkommission gebildet werden müssen.

Die Quellen des Verfassungsschutzes wiederum informierten sehr detailliert über die Geldnot des Trios und seine Versuche, an Waffen und Ausweispapiere zu gelangen. Es gab sogar Hinweise auf erste Banküberfälle in Sachsen. Der Bericht listet originale Quellenberichte auf. Eine Auswertung dieser Angaben aber erfolgte praktisch nicht, geschweige denn eine Abstimmung mit dem Thüringer LKA. Der zuständige VS-Referatsleiter sei zwar „ein sehr rühriger Mensch“ gewesen, habe aber Erkenntnisse lieber für sich behalten, ließ der Kommissionsvorsitzende durchblicken. Das Landesamt für Verfassungsschutz wäre aber von Rechts wegen verpflichtet gewesen, seine Erkenntnisse an das LKA weiterzugeben.

Aktives Handeln vorausgesetzt

Ins Leere liefen auch erste Hinweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereits im Februar 1998, dass das NSU-Trio unabhängig vom „Thüringer Heimatschutz“ agiere, der als nicht gewaltbereit angesehen wurde. Der Militärische Abschirmdienst MAD stufte im Dezember 1999 die „Bombenbastler“ bereits als Rechtsterroristen ein. Es gebe jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Mitglieder des Trios direkt mit dem Landesamt für Verfassungsschutz zusammenarbeiteten, betonte Gerhard Schäfer. Ein solcher Verdacht war erstmals schon 2001 aufgetaucht. Man habe sogar die Klarnamen der Informanten eingesehen und keine Belege für diese These gefunden. Erwiesen ist allerdings, dass etwa der V-Mann Tino Brandt als Chef des „Thüringer Heimatschutzes“ mehrfach von Schlapphüten vor Ermittlungen des Landeskriminalamtes gewarnt wurde.

Versöhnlich geht die Kommission am Schluss zwar davon aus, „dass sich die aufgezeigten Mängel nicht wiederholen“. Schäfer indessen kann sich nicht wieder in den Ruhestand zurückziehen, denn Innenminister Geibert hat ihn umgehend beauftragt, auch die aktuellen Zustände im VS-Landesamt zu analysieren. Linken-Innenpolitikerin Martina Renner stellte auch die Frage eines strafrechtlichen Verhaltens der Beteiligten, „das nicht mit Unfähigkeit begründet werden kann, sondern aktives Handeln voraussetzt“. Sie zu belangen, schätzten jedoch sowohl Kommission als auch Innenminister als schwierig ein. Fast alle sind längst aus dem Amt geschieden.

Linken-Fraktionschef Bodo Ramelow sieht den parallel arbeitenden Untersuchungsausschuss im Landtag nun in der Pflicht, offen gebliebenen Fragen nach den Ursachen nachzugehen. SPD-Innenpolitiker Heiko Gentzel verwies auf das neue Verfassungsschutzgesetz, das die CDU-SPD-Koalition voraussichtlich in der kommenden Woche vorstellen wird. Es soll Informationspflichten zwischen den Behörden festschreiben und die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission erweitern.