LESERINNENBRIEFE
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Es könnte auch anders sein

■ betr.: „Fahnen-Sucht und Volks-TV“ von Georg Seeßlen,taz vom 27. 6. 12

Das für mich Problematische des Artikels ist, dass Seeßlen seine persönliche Meinung von bestimmten Fakten nicht trennt. Dass der Autor zum Fußballnationalismus eine bestimmte negative Meinung hat und diese darstellt, ist etwas völlig Normales, nur dass in diesem Artikel Behauptungen von Fakten stecken, von denen keine wirklich belegt wird, ist das Problematische. Fördert die Liebe zur deutschen Fahne den aggressiven Nationalismus? Der Autor behauptet es einfach, man müsste es aber wirklich belegen. Verdrängt der Bürger seine Sorgen im Nationalgefühl? Der Autor behauptet es, wirklich belegt ist es nicht. Es könnte alles auch ganz anders sein.

Das Problem mit solcherlei „kulturkritischen“ Auslassungen ist, dass sie selten ganz falsch sein können, irgendetwas wird man mit dieser Flinte schon treffen, nur dass so etwas wie Gesellschaft viel vielschichtiger ist und dass gegenüber einem so vielschichtigen Thema wie „Gesellschaft“ auch ein Stück Bescheidenheit angesagt ist, diese gewisse Bescheidenheit fehlt in diesem Artikel allerdings vollständig. Georg Seeßlen hat den großen Durchblick durch die Gesellschaft und er lässt es uns spüren. Und so weht aus diesem Artikel so ein gewisser altlinker Größenwahn. MARTIN LINDHOFF, Hamburg

Vom Markt regiert

■ betr.: „Die neuen Körperklassen“, taz vom 29. 6. 12

Ich wage mal eine Prognose: In einigen Jahren werden keine dementen Alten mehr in dreckigen Windeln herumliegen. Experten werden ein System erfinden, die Leute so zu lagern, dass sie künstlich ernährt und direkt sauber gespült werden. Da kann man dann auch direkt die Psychopharmaka in die Nährlösung geben, damit die Leute immer happy sind. Humaner als im eigenen Dreck liegen, oder? Unvorstellbar? Wartet es ab! Eine Gesellschaft, die nicht von Menschen, sondern vom Markt regiert wird, wird nicht auf Dauer Milliarden für BürgerInnen erübrigen, die „keinen sichtbaren Beitrag mehr für die Allgemeinheit leisten“.

HEIKE JELLEN, Düsseldorf

Verkaufte Gesundheit

■ betr.: „Warnsignal für Klinikarbeiter“, taz vom 28. 6. 12

Helios will im Klinikum Berlin-Buch alle Logopäden zum 1. Oktober 2012 „betriebsbedingt“ kündigen. Die Therapeuten sollen outgesourct werden. Sie haben dann die Möglichkeit, für weniger Geld via Leiharbeitsfirmen für denselben Arbeitnehmer zu arbeiten. In Windeseile arbeiten die „Gesundheitskonzerne“ Helios/Fresenius daran, den Gesundheitsmarkt zu übernehmen, und das Kartellamt hat nichts dagegen. Irgendwann werden die Bürger auch hier Volksbegehren initiieren müssen, damit die Kommunen die Gesundheitsversorgung für teures Geld wieder zurückkaufen.

RICKI MÜLLER-BUSCH, Berlin