Gabriels Wende

WIRTSCHAFT Einst kämpfte der SPD-Chef für erneuerbare Energien. Jetzt bremst er die Energiewende als Minister aus und bürdet die Kosten den Bürgern auf. Das soll der Wirtschaft nutzen. Und Gabriels Karriere

■ Peppone: Sigmar Gabriel, 1959 geboren, schlägt die Lehrerlaufbahn ein. Seine Schüler nennen ihn „Peppone“, nach dem feisten Polterer und sozialistischen Lieblingsfeind von Don Camillo.

■ Schnellredner: Seit 1990 im niedersächsischen Landtag, wird er 1999 der bis dahin jüngste Ministerpräsident – mit 39 Jahren.

■ Siggi-Pop: 2003 verliert die SPD die Landtagswahlen, der Exjungstar Gabriel wird erst Popbeauftragter, dann 2005 Umweltminister unter Angela Merkel.

■ Bundes-Siggi: Seit 2009 SPD-Chef, macht er Peer Steinbrück 2013 zum Kanzlerkandidaten.

■ Superminister: Gabriel wird Vizekanzler in der Großen Koalition.

AUS BERLIN, PEKING UND SCHANGHAI MALTE KREUTZFELDT

An einem Montag im März 2012 steht Sigmar Gabriel auf einer Bühne am Brandenburger Tor und sagt, die schwarz-gelbe Regierung wolle die Energiewende zerstören. Der SPD-Vorsitzende klingt heiser. Aber seine Stimme ist scharf und laut, als wäre das ein Wahlkampfauftritt. Vor der Bühne halten Menschen gelbe Fahnen hoch, auf denen Sonnen lachen. Die Regierung von CDU und FDP plant gerade, die Förderung der Solarenergie zusammenzustreichen. Gabriel redet dagegen an. Manchen Sätzen hämmert er mit seinen Händen hinterher: „Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine so große Erfolgsgeschichte der erneuerbaren Energien“, ruft er.

An einem Dienstag im April 2014 sitzt Sigmar Gabriel vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz und erklärt den Hauptstadtjournalisten, die Bundesregierung habe heute für einen „Neustart der Energiewende in Deutschland“ gesorgt. Der Wirtschaftsminister klingt staatsmännisch. Seine Miene ist ernst, seine Stimme ruhig und schwer, als wäre das eine Grabrede. Die Energiewende sei nicht mehr dadurch zu schaffen, dass man erneuerbare Energien möglichst schnell ausbaut, stellt Gabriel fest. Er zählt all die Probleme auf, die diese Wende angeblich mit sich bringt. Steigende Preise, Versorgungsunsicherheit. „Im Kern ist die Energiewende eine Synchronisationsaufgabe und ein systematisches Thema“, sagt der Vizekanzler.

Es hört sich fast an, als müsste da etwas abgewickelt werden.

Sigmar Gabriel, 54 Jahre alt, ist an diesem 8. April, als er seine Reform des Gesetzes für Erneuerbare Energien vorstellt, gut 100 Tage Wirtschaftsminister. Im Herbst, als er mit der Kanzlerin die Koalition schmiedete, wirkte Gabriel stark und mächtig wie nie. Wie er dieses Bündnis verhandelt und seine Partei davon überzeugt hatte, galt als machtpolitisches Meisterstück. Als Wirtschaftsminister hat er sich gleich das nächste Riesenprojekt vorgenommen: die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Die Energiewende.

An diesem Donnerstag nun wird sein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht. Die Solarbranche fürchtet ihren Untergang, der BDI-Präsident jubelt Gabriel zu.

Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Als Gabriel im Dezember sein neues Amt übernimmt, sind alle gespannt, wie er die Machtfülle nutzen wird. Im Koalitionsvertrag ist zwar schon festgeschrieben, dass die Energiewende gebremst werden soll. Doch wie Gabriel die Sache angeht, macht der Ökostrombranche wieder Mut: Er beruft einen Grünen zum Staatssekretär, den Energiewende-Fachmann Rainer Baake, der schon unter Jürgen Trittin im Umweltministerium gewirkt hatte. Die Leitung der Abteilung für Energiepolitik im Ministerium übernimmt ein Experte für erneuerbare Energien aus dem Umweltministerium. Von dort wechselt außerdem eine komplette Unterabteilung ins Wirtschaftsministerium.

Beim Neujahrsempfang des Bundesverbands Erneuerbare Energie, wo er 2008 schon als Umweltminister sprach, wird Gabriel mit freundlichem Applaus empfangen. Er kündigt Veränderungen an, verspricht aber auch „Planungssicherheit“ und äußert die Hoffnung, man werde „vieles gemeinschaftlich gut auf den Weg bringen“.

Dass die Verbraucher wegen der Energiewende immer mehr zahlen müssen, will er damals noch auf mehreren Wegen verhindern: für neue Windräder oder Solaranlagen soll es weniger Geld geben. Und er will die Ausnahmen der Industrie bei der Ökostromumlage „deutlich einschränken“. Die Privilegien, mit denen Unternehmen, die besonders viel Strom brauchen, vor Nachteilen im internationalen Wettbewerb geschützt werden sollten, waren in den vergangenen Jahren immer stärker ausgeweitet worden – auf zuletzt fünf Milliarden Euro. Davon könne eine Milliarde gestrichen werden, sagt Gabriel.

Kann die SPD vielleicht doch ökologisch, fragen sich da manche noch. Die Industrie schaut erst einmal skeptisch auf ihren neuen Minister.

Im Luxushotel Interconti am Berliner Tiergarten treffen sich Ende Januar die Spitzen der deutschen Energiewirtschaft. Das Handelsblatt hat eingeladen. Sigmar Gabriel trägt eine rote Krawatte und schaut auf ein Meer dunkler Anzüge. Seine erste große Rede zur Energiepolitik. Er wisse, dass viele der SPD unterstellten, „sie würde intensiver über soziale als über ökonomische Zusammenhänge reden“, sagt der Wirtschaftsminister und klammert sich an einem wuchtigen Stehpult fest, auf dem sein Name steht. Die Sorge sei unbegründet. Den Sozialdemokraten sei seit 150 Jahren klar, dass es sozialen und ökologischen Erfolg nur gibt, wenn das Land wirtschaftlich erfolgreich ist.

In Peking ist Sigmar Gabriel schon Kanzler

Seine Rede kommt beim Publikum an: „Kostenexplosion“ stoppen. „Anarchismus“ beenden. „Blackouts“ verhindern. Und auf keinen Fall Arbeitsplätze gefährden, weil die Industrie belastet wird. Dieser Sound prägt seitdem fast jeden Gabriel-Auftritt. Mit dem Jobargument rechtfertigt er den neuen Kurs auch vor einer Öffentlichkeit, die bisher eine schnellere Energiewende und mehr Beteiligung der Industrie an den Kosten fordert.

In der Novelle des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, die am Donnerstag in den Bundestag kommt, wird das Ziel von 40 bis 45 Prozent Ökostrom-Anteil vom Jahr 2020 auf das Jahr 2025 verschoben. Der Ausbau der Erneuerbaren soll in den nächsten zehn Jahren um ein Viertel bis ein Drittel langsamer laufen, als in den zehn Jahren zuvor.

Werden mehr Windräder aufgestellt, als von der Regierung gewünscht, sollen neue Anlagen weniger Geld bekommen. Wie viel genau, erfahren sie erst, wenn die Planung schon weit fortgeschritten ist. Das bringt nicht gerade die „Planungs- und Investitionssicherheit“, die Gabriel zuvor versprochen hatte.

Verbrauchen Besitzer von Solaranlagen den Sonnenstrom selbst, muss auch dafür ein Teil der Ökostromumlage gezahlt werden. Viele Anlagen würden sich damit nicht mehr rechnen, fürchtet der Solarverband.

Die Vergünstigungen, die die Industrie bei der EEG-Umlage genießt, werden dagegen nicht ernsthaft beschnitten. Alle Unternehmen, die bisher befreit waren, bleiben auch in Zukunft weitgehend verschont, manche zahlen wohl weniger als bisher.

Die meisten der 65 Mitarbeiter, die vom Umwelt- ins Wirtschaftsministerium gewechselt sind, sitzen derweil weiterhin in einem Nebengebäude des Umweltministeriums nahe dem Potsdamer Platz in Berlin. Auch ihre Ideen scheinen im Wirtschaftsministerium nicht wirklich anzukommen.

Sigmar Gabriel hat eine Wende vollzogen. Diese Wende hat damit zu tun, wo er herkommt – und wo er hin will. Gabriel ist Niedersachse wie Gerhard Schröder. Von Schröder hat er gelernt: Wirklich mächtige Genossen müssen auch mit Bossen können. Gegen den Widerstand der Wirtschaft kann die SPD das Land nicht regieren.

„Was in den 90er Jahren die hohen Arbeitskosten waren, sind derzeit die Energie- und Rohstoffkosten“, lautet jetzt ein Standardsatz in Gabriels Reden. Mit den Zahlen nimmt er es nicht allzu genau. Die Stromrechnung mache bei manchen Unternehmen „bis zu 60 Prozent“ der Gesamtkosten aus, verkündet Gabriel oft, Löhne „im Schnitt 20 Prozent“. Einzelne Spitzenwerte hier gegen allgemeine Durchschnittswerte dort – Hauptsache, es dient seiner Sache.

Ein Leitmotiv: die Warnung vor Jobverlusten. Die könnte es tatsächlich geben – aber nur wenn Branchen mit hohen Energiekosten und internationalen Konkurrenten plötzlich die volle Ökostromumlage zahlen müssten. Wovon nie die Rede war. Einen Teil der Umlage aber könnten auch diese Unternehmen problemlos tragen, denn der Preis an der Strombörse ist in den vergangenen Jahren stark gesunken. Der Wirtschaftsminister hält trotzdem an den Rabatten fest – er hat sie hart gegen die EU-Kommission verteidigt. Gabriel macht Industriepolitik, nicht Umweltpolitik. Er will zeigen, dass er das Zeug zum Kanzler hat.

Im Hyatt Hotel von Peking scheint er seinem Ziel schon sehr nahe. Den „Herrn Bundeskanzler“ begrüßen zu können, sei eine große Freude, sagt He Bingguang. Unter den riesigen Kristall-Leuchtern im „Grand Ballroom“ stellt der Vertreter der staatlichen chinesischen Reformkommission den deutschen Wirtschaftsminister vor. Er ist Eröffnungsredner für ein Energieeffizienz-Forum, das kurz nach Ostern eigens für diese China-Reise Gabriels organisiert worden ist.

Auch ohne falsche Anrede behandelt man den Gast fast wie einen Kanzler. Er darf nicht nur die Minister für Handel und Verkehr treffen, sondern auch Premierminister Li Keqiang. Und der nimmt sich statt der geplanten 20 Minuten sogar fast eine Stunde Zeit für ihn, berichtet Gabriel später stolz. So bevorzugt behandelt werde er wohl weniger wegen des Titels „Vizekanzler“, glaubt er. „Wichtiger ist vermutlich, dass ich Vorsitzender der SPD bin.“ Die Partei pflegt seit den Zeiten von Willy Brandt Kontakte zur chinesischen KP.

Gabriel erinnert zurzeit mehr an den Wirtschaftswunderminister Ludwig Erhard als an den langjährigen SPD-Vorsitzenden.

Als im Herbst die Regierung gebildet wurde, konnte er sich seinen Job aussuchen. Er hätte als Finanzminister mit gerechterer Steuerpolitik und soliden Staatsfinanzen punkten können. Oder als Sozialminister die SPD-Wähler mit Mindestlohn und Rente mit 63 beglücken. Doch Gabriel überließ die Finanzen weiterhin Wolfgang Schäuble von der CDU und das Soziale seiner Fachfrau Andrea Nahles.

Er suchte sich ausgerechnet das Wirtschaftsministerium aus, das mit Michael Glos, Karl-Theodor zu Guttenberg, Rainer Brüderle und Philipp Rösler zuletzt vier Minister von CSU oder FDP innehatten, ohne dass man sich heute noch groß an besondere Erfolge erinnern würde.

Unterwegs mit der Tunnelbohrmaschine

Gabriel scheint aber zu glauben, dass er als Wirtschaftsminister etwas beweisen kann. Wenn er 2017 Kanzler werden will, dann gibt es vor allem eine Machtoption: Rot-Rot-Grün. Es wäre wegen alter Verletzungen und extremer linker Strömungen ein volatiles Bündnis. Im Wahlkampf hat Gabriel noch gesagt, er wolle Deutschlands Stabilität damit nicht aufs Spiel setzen.

Seitdem die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihren Verzicht erklärt hat, gibt es in der SPD niemanden mehr, der Gabriel die Kanzlerkandidatur bei der nächsten Wahl streitig machen könnte. Nur 14 Prozent allerdings wünschen ihn sich im jüngsten Politbarometer als Kanzler. Zu sprunghaft. Zu undiplomatisch.

Er muss jetzt unter Beweis stellen, dass er „Stabilität“ kann. Auch wirtschaftlich.

Seine China-Reise, auf der ihn etwa 50 Wirtschaftsvertreter begleiten, ist dafür eine Gelegenheit. Auf der Automesse in Peking besucht er die riesigen Stände von Volkswagen, BMW und Mercedes und posiert vor Elektroautos. Gabriel macht Small-Talk: „Was kostet das Auto?“, „Wie weit kommt man damit?“

In einem Hotel in einem Vorort von Schanghai gibt die Außenhandelskammer am Ende der Reise ein Dinner. Nach dem Essen geht es kurz in einen Nebenraum. Der Chef eines badischen Tunnelbohrmaschinenherstellers und ein Parteifunktionär unterschreiben auf einem kleinen Tischchen mit einer deutschen und einer chinesischen Fahne einen Vertrag über 75 Millionen Euro. Die Maschine soll einen Tunnel unter den Jangtse-Fluss graben – zweigeschossig. Der Tunnelbohrmaschinenhersteller überreicht ein Modell der Maschine und reißt Witze. Gabriel macht mit, das Gesicht schon leicht gerötet. Ein schönes Bild für die Lokalpresse: Auch für Mittelständler legt sich der Minister ins Zeug.

Der Mann, der im Wahlkampf noch eine Vermögensteuer und höhere Erbschaftsteuern forderte, hat sich schnell angewöhnt, die Welt aus der Sicht der Wirtschaft zu betrachten.

Ein Montag Ende März, eine Schule in Berlin-Kreuzberg. Mit einer Gruppe von Oberstufenschülern soll Gabriel, zwei Ehen, zwei Töchter, über Europa diskutieren. In der Mediathek, die mit grauem Linoleumboden und Betonsäulen an die sozialdemokratische Bildungsexpansion der 70er Jahre erinnert, fühlt sich der ehemalige Gemeinschaftskundelehrer wohl. Gabriel plaudert, posiert für Handy-Fotos mit Schülern. Die Pressefotografen schickt er nach hinten: „Jetzt habe ich es zweimal freundlich gesagt. Langt das nicht?“

„Warum geben wir so viel Geld nach Griechenland?“, fragt ein Schüler. Gabriel könnte jetzt über europäische Solidarität sprechen, über griechische Rentner, die nicht für das Versagen ihrer Regierung bestraft werden dürfen, über südeuropäische Jugendliche, die eine Alternative zur Arbeitslosigkeit brauchen.

„Wir brauchen schon noch ein paar Länder, denen es so gut geht, dass sie unsere Produkte kaufen können“, sagt der Wirtschaftsminister stattdessen.

■ Der Ursprung: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG, gilt als Grundlage für den Erfolg der deutschen Energiewende. Betreiber von Ökostromanlagen erhalten feste Vergütungssätze, die über eine Umlage von allen Stromkunden bezahlt wird – mit Ausnahme von Teilen der Industrie. Seit seiner Einführung im Jahr 2000 ist das Gesetz immer wieder reformiert worden.

■ Die Novelle: Die jüngsten Pläne von Sigmar Gabriel sehen vor, den Ausbau zu verlangsamen, indem die Vergütungssätze stärker gesenkt werden und auch selbst verbrauchter Solarstrom mit der EEG-Umlage belastet wird. Die Ausnahmen für die Industrie sollen nicht reduziert werden. Ab 2017 sollen die festen Vergütungssätze abgeschafft werden. Anlagen würden dann ausgeschrieben.

■ Der Zeitplan: An diesem Donnerstag berät der Bundestag erstmals über die EEG-Novelle. Beschlossen werden soll sie Ende Juni im Bundestag und am 11. Juli im Bundesrat, um dann am 1. August in Kraft zu treten.

Mitte April ist er zu Gast beim Solar-Unternehmen SMA im nordhessischen Niestetal. SMA, ein Schwergewicht der Branche, musste gerade fast 1.300 Arbeitern kündigen. Die Solarbranche fürchtet, dass die Absenkung der Solarstromvergütung und andere Maßnahmen den Markt für neue Anlagen weiter einbrechen lässt. In Deutschland ist er ohnehin schon um zwei Drittel geschrumpft.

Für solche Kritik hat Gabriel kein Verständnis. „Was mich aufregt, ist, dass diejenigen, die doch die Motoren der Energiewende sind – das sind Sie doch“, sagt der Minister und deutet aufs Publikum in der weiten Halle des Unternehmens, „dass Sie nicht sehen, wie knapp wir vor dem Scheitern der Energiewende stehen.“ Er müsse jetzt mal die Wahrheit sagen. Auf allen Ebenen sei die Komplexität der Energiewende unterschätzt worden – „weil wir solchen Vorschlägen wie heute Abend gefolgt sind“.

Mit der Ökostrombranche, die Gabriel vor zwei Jahren noch so laut verteidigt hat, verbindet ihn mittlerweile wenig.

Kritik aus seiner Partei muss er trotzdem kaum mehr fürchten. Gegen den allerersten Entwurf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz hatten noch norddeutsche Länder protestiert. „Volkswirtschaftlich unsinnig“ sei die Drosselung beim günstigen Windstrom, beschwerte sich Torsten Albig, SPD-Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein. Gabriel gab an einigen Stellen nach. Auch für die Biomasse handelten die süddeutschen Länder bessere Bedingungen aus.

An die Privilegien für die Industrie wollte am Ende niemand ran. Ausgerechnet die Verbraucher müssen jetzt die Vergünstigungen mitfinanzieren. Ein gefährlicher Schritt für den Vorsitzenden einer Partei, die mehr für die kleinen Leute tun will, um ihre Hartz-IV-Vergangenheit zu überwinden. Viele Gewerkschaften aber stützten den energiepolitischen Kurs – wegen der Jobs.

Ob der Bundestag noch etwas am EEG-Entwurf ändert, ist offen. In der SPD-Fraktion stellt sich nur Außenseiter Marco Bülow gegen Gabriel. Dafür umso schärfer: „Wer den Ausbau Erneuerbarer Energien am meisten beschneidet, gilt als größter Retter der Energiewende“, sagt Bülow. „Was für ein Hohn.“

Stephan Grüger, hessischer SPD-Landtagsabgeordneter und Vorstandsmitglied im Verband Eurosolar, den der SPD-Vordenker Hermann Scheer gegründet hatte, wirft Gabriel sogar vor, gegen das SPD-Programm zu verstoßen. „Ein Parteivorsitzender sollte die Beschlusslage nicht nur kennen, sondern auch (be)achten“, postete Grüger auf Twitter.

Indirekte Kritik kommt von Scheers Tochter Nina, seit Kurzem für die SPD im Bundestag: „Wir sollten den Ausbau der Erneuerbaren auch als wirtschafts- und industriepolitische Chance begreifen“, sagt sie. Der Konjunktiv macht klar, dass die Partei das ihrer Meinung nach nicht tut.

Echten Widerstand in seiner Partei hat Gabriel gerade mit einem anderen wirtschaftsfreundlichen Vorstoß erzeugt: Er denkt, dass Steuersenkungen wider die „kalte Progression“ ohne Steuererhöhungen für Spitzenverdiener zu schaffen sind – anders als die SPD bisher gefordert hat.

Auf Kritik reagiert Gabriel oft ungehalten. In Sitzungen soll er andere gern mal niedermachen, erzählen Teilnehmer. Er kann diesen Zug in der Öffentlichkeit nicht immer verbergen, manchmal will er auch nicht.

Als ein Hauptstadtkorrespondent anmerkt, eine Aussage Gabriels zur EEG-Reform sei „nicht zu verstehen“, antwortet er nur: „Zumindest von Ihnen.“ Um nachzusetzen: „Und ich bin in gewisser Weise stolz darauf.“

In Peking fragt jemand, ob der Besuch eine Automesse das richtige Signal sei, in einem Land, das von Smog geplagt wird. Er verschränkt die Arme, beugt sich angriffslustig nach vorn. Man könne China schwer raten, auf die Automobilisierung zu verzichten, sagt er dann. „Das wäre ein bisschen imperialistisch.“

Auf der China-Reise gibt es auch einen Empfang beim deutschen Botschafter in Peking. Michael Glos ist dabei, ein Amtsvorgänger von der CSU, jetzt Lobbyist eines Gips-Herstellers. An Gabriel hat er nichts auszusetzen: „Das hat er bislang schon ganz gut gemacht.“

Malte Kreutzfeldt, 42, ist Parlamentskorrespondent der taz