Ein Kessel voll Ängste

PEGIDA Lügenpresse? „Heute nicht“, befiehlt Lutz Bachmann. Der Ruf passt nicht zu der Gedenkminute für „Charlie Hebdo“, zu der sich die Demonstranten versammelt haben

AUS DRESDEN UND BERLIN THOMAS GERLACH
UND CHRISTIAN JAKOB

Es ist eine gewisse Genugtuung, die Lutz Bachmann verströmt, angesichts der Menschen zu seinen Füßen. Der Wind fegt zur Lingnerallee, wo der „12. Große Abendspaziergang“ der Dresdner Pegida beginnt. Eine Skateranlage ist Treffpunkt der „patriotischen Europäer“. Die Auflagen: kein Alkohol, keine Hunde, und keine spitzen Gegenstände.

Fahnenstangen gehören nicht dazu. Sie sind ausdrücklich erwünscht. „Für Dresden gilt morgen, Flagge zeigen!“, empfahl das „Orga-Team“ auf Facebook – zuzüglich zum „Trauerflor für die Terroropfer“, der ebenfalls erbeten wurde. Und so wehen weiß-grüne Sachsenfahnen, Brandenburgische, Thüringische-, NRW-Fahnen, aber auch einige russische und französische. Viele müssen von ihren Trägern mit beiden Fäusten gebändigt werden, so dass alles noch ein bisschen entschlossener wirkt. Lutz Bachmann spürt das und gebietet den Zuhörern. Er lobt den Mut und ihre Standhaftigkeit, ruft der Polizei „Ihr seid spitze!“ zu und bittet zur „Gedenkminute für alle Opfer religiöser Gewalt“.

Bachmann, ein verurteilter Straftäter, hat das Zeug zum Volkstribun. Halb staatstragend, halb populistisch hämmert seine Stimme über den Platz. Generös geht er die Presse an. Man stehe ja schließlich auch für deren Freiheit hier. Die Zeitungen könnten Anti-Pegida-Karikaturen drucken. Pegida könne schließlich mit Satire umgehen. Ändern wird sich das, „wenn die Gesetze der Scharia auf europäischem Boden Fuß fassen“. Bachmann spielt virtuos mit den Ängsten seiner Gefolgschaft. Er hat sie mit kraftvoller Stimme im Griff. Als es aus einer Ecke „Lügenpresse!“ schallt, befiehlt er: „Nein, heute nicht!“

Alte Schlachtrufe

Eine Gedenkminute für Charlie Hebdo und anschließend „Lügenpresse!“ skandieren – das erscheint selbst Bachmann zu frivol. Stattdessen lässt der 41-Jährige sechs Forderungen folgen: ein Einwanderungsgesetz, die Pflicht zur Integration, die Ausweisung von Islamisten, Volksentscheide auf Bundesebene, das Ende der Kriegshetze, „besonders gegen Russland!“, und mehr Geld für die Polizei.

Die Hundertschaften dürften das zufrieden aufnehmen. Applaus und Fahnenschwenken. Dann der alte Hymnus im Stakkato: „Wir sind das Volk!“ Da machen sich welche – viele gehören zu den älteren Jahrgängen – kraftvoll Luft. Der alte Schlachtruf soll wieder ein System stürzen lassen. Er schallt aus den Mündern frisch wie im Oktober 1989. Er bricht sich an den Häuserwänden, überschlägt sich, kommt zurück. Es scheint wie in einem Kessel, erleuchtet von Polizeischeinwerfern.

Doch der Ruf hallt in eine veränderte Welt, die manchem wie ein Tollhaus vorkommen muss: Globalisierung, Eurokrise, Flüchtlinge, Islamismus, Terror. Neben der Bühne reckt einer ein Schild wie ein Flehen in die Höhe: „Es reicht.“ – „Und? War irgendwas mit Nazis dabei?“ Nach dem Bachmann-Auftritt blickt ein Mann triumphierend. „Nichts!“ Das möge der Reporter bitte festhalten. Ihn aber führe „Angst, echte Angst“ Montag für Montag her. Und wie zu DDR-Zeiten haben sich die Politiker vom Volk entfernt, schiebt er nach. Er sei aus Ottendorf-Okrilla östlich von Dresden gekommen. Dort habe die Pegida ihren Anfang genommen, behauptet er.

Es gibt aber auch andere Quellen. Die Organisatoren legen zwar Wert darauf, sich von der Nazi- und Kameradschaftsszene abzugrenzen. Doch offenbar gibt es Verbindungen. Das legen Protokolle einer nicht öffentlichen Facebook-Gruppe nahe, die der taz vorliegen. Darin erklärt eine Gruppe namens „Apodiktische Wende“ (Apodi), an der Organisation der ersten Pegida-Demonstration beteiligt gewesen zu sein. Am 15. Oktober, fünf Tage vor der ersten Kundgebung, wurden die Mitglieder der Gruppe Apodi zu „unserer ersten Demonstration mit noch anderen Gruppen in Dresden“ eingeladen, am 20. Oktober um 18 Uhr in Dresden.

Dabei nennt die aus einem Vorort Dresdens stammende Administratorin, Nancy K., den damals noch nicht öffentlich bekannten Arbeitstitel „Gegen Stellvertreterkriege auf deutschem Boden und gegen Islamisierung unseres Landes“. In ihren Postings ist die Rede von „weiter existierenden Plänen zur Ausrottung Deutschlands“ durch „Alljuda“. Sie spricht von der Bundesregierung als „Regierung der zionistischen Vasallendoktrin“, fabuliert von einem „zionistischen Finanzfaschismus“, der „alle Krisen der Welt“ künstlich erschaffen habe. Die bislang unter dem Namen Apodi nicht öffentlich in Erscheinung getretene Gruppe ist auch dem sächsischen Verfassungsschutz (VS) aufgefallen.

„Der Sachverhalt wurde uns im Zusammenhang mit der ersten Pegida-Veranstaltung in Dresden bekannt“, sagt Sprecher Falk Kämpf. Die Aussagen im Netz wertet der VS als „Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei einer möglicherweise existierenden Gruppe unter der Bezeichnung ,Apodiktische Wende‘ um eine extremistische Bestrebung“ handeln könnte. Lutz Bachmann ließ eine Anfrage, ob Mitglieder von Apodi an der Pegida-Organisation beteiligt waren, unbeantwortet.

Derweil deklamiert Kathrin Oertel, die Pegida-Pressesprecherin, Artikel eins des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und gerade damit hat doch eine Rentnerin aus der Sächsischen Schweiz ihr Problem: „Wir haben keinen Friedensvertrag und keine Verfassung.“ Das Grundgesetz sei keine Verfassung, sagt sie wirsch. „Wir können uns nicht souverän entwickeln“, bedauert die Dame, die vor wenigen Jahren noch als Lehrerin ihr Wissen weitergab. Woher sie ihre Informationen habe? Zeitung und Fernsehen nutze sie nicht mehr. Was dann? Sie zögert kurz. Sie und ihr Mann sehen Internet-Fernsehen, vornehmlich bewusst.tv und quer-denken.tv. Beide Kanäle verbreiten gerade, dass die Pariser Anschläge perfide Inszenierungen gewesen sein könnten. Im russischen Netz zieht das seit Tagen Kreise. Esoteriker und Weltverschwörer finden hier offene Ohren. „Besatzungsrecht herrscht hier!“, ruft einer. Ein anderer verteilt Zettel vom „Bund gegen Anpassung“, deren Mitglieder sich als „Kommunisten im Sinne von Marx und Lenin“ vorstellen. Das mag Pegida nicht, räumen sie ein, aber sie würden gerne bei der neuen Bewegung andocken, Gemeinsamkeiten gebe es schließlich genügend, wie den Kampf gegen die GEZ, die Rechtschreibreform und die „Genderei“.

„Die Meinungsfreiheit des gemeinen Volkes wird missachtet!“, ruft Kathrin Oertel von der Bühne. Ob Roland Kaiser zum „gemeinen Volk“ gehört? „Lieber Herr Roland Kaiser! Wir gehen in Ihre Konzerte und zahlen dafür“, hebt Oertel an. Der Schlagersänger und SPD-Genosse hatte sich erdreistet, auf der Anti-Pegida-Demonstration am Samstag zu reden. „Nie wieder Kaiser!“ schallt es wie bei einem Exorzismus. Es ist, als hätte das Wort Heimat unvermittelt seine schönste Melodie verloren. „Santa Maria“ dürfte hier für immer verklungen sein. Deutschland ist wieder ein Stück fremder geworden.

Als der „Spaziergang“ endlich beginnt, macht sich mancher im kleinen Kreis Luft. Eine Dame legt in gepflegtem Dresdner Sächsisch los. „Wir haben im Bundestag so viele Araber. Der Özdemir!“ Allerdings ist das noch harmlos. Erst am Wochenende hatte Spiegel Online über rassistische Äußerungen der Pegida-Organisatoren berichtet.

„Kamelwämser“

Der zum Organisationsteam von Pegida gehörende Siegfried Däbritz hatte auf Facebook Muslime als „mohammedanische Kamelwämser“ beschimpft. Däbritz war zuvor Mitglied der FDP und saß in Meißen im Vorstand der Liberalen. Ein anderes Mitglied im Organisationsteam, ehemals CDU-Stadtrat in Meißen, habe im Sommer 2013 auf Facebook gegen Asylbewerber gehetzt: „Was wollen wir mit dem zu 90 % ungebildeten Pack was hier nur Hartz 4 kassiert und unseren Sozialstaat ausblutet.“

Die Dame, für die Cem Özdemir ein Araber ist, hat sich noch nicht beruhigt. Die Asylbewerber kommen ins Land und haben noch nicht mal Ausweise dabei, echauffiert sie sich. Dann ziehen sie los durch die Dresdner Nacht. „Lieber heute aufrecht zu Pegida, als morgen auf Knien gen Mekka!“, ruft ein Plakat. Jeder trägt sein unsichtbares Päckchen mit sich. Es geht nicht nur um Islamisierung, es geht auch um zu hohe Managergehälter, um Datenschutz, um das Freihandelsabkommen TTIP und um faule Beamte. Durch eine Sitzblockade von Gegendemonstranten kommt der Zug kurz zum Stehen.

7.000 sollen am Abend gegen Pegida demonstrieren. Bei „Karstadt“ ist man in Hör- und Sichtweite. Es gibt Radau. „Halts Maul, du Fotze“, brüllt ein Stiernackiger. Einer zitiert das Neue Testament: „Was der Mensch sät, das wird er ernten.“ Andere haben sich Bayernfahnen übergelegt. Mit etwas Abstand wirkt es mit all den Fahnen, den Bekenntnissen und Ängsten wie eine Mischung aus altdeutschem Aufzug und Prozession. 25.000 Teilnehmer sollen es laut Polizeiangaben sein, unter ihnen ist auch die Führungsspitze der rechtsextremen Partei Plataforma per Catalunya aus Spanien.

Trauerflor ist selten und meist an Fahnen befestigt. Einer trägt ein Schild: „Je suis Charlie“. Seine Trauer hätte man auch im französischen Kulturzentrum bekunden können, das Pegida umrundet. Das Institut français gedenkt in einem Schaufenster mit Kerzen, Fotos und Karikaturen der toten Zeichner. Bis zum Abend haben sich drei Dresdner ins Kondolenzbuch eingetragen.