Einsame Frauen essen trockenen Salat

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die Cafeteria in der Staatsbibliothek steht im Ruf, eine große Partnerbörse zu sein. Stimmt das?

Man tritt in ein schwarzes Loch. Dunkles Parkett, zerschlissene Bezüge auf den harten Sofas an der Seite. Niedrige Tische, große Tische, kleine Bistrotische mit Mamorplatte, Thonetstühle und Sesselhocker, eine Minihydrokultur, gedimmte Beleuchtung. Man braucht nur die Bionade- und Langnese-Plakate neben der Essensausgabe in der Cafeteria in der Staatsbibliothek abzuhängen, und schon hat man die Location für einen Film über das Kennenlernen zweier schüchterner Studenten im ummauerten Berlin der 70er.

Die Handlung wäre gar nicht weit hergeholt, die Stabi, wie die Staatsbibliothek kurz und liebevoll genannt wird, steht im Ruf, eine große Partnerbörse zu sein. Erst würde im Lesesaal gemustert, in der Cafeteria dann angesprochen. Im Jahr 2008 aber kann man Stunden hier verbringen, Anzeichen für auch nur den kleinsten Funken Wahrheit an diesem Gerücht wird man nicht erkennen.

Das Publikum der Cafeteria trennt sich nämlich vorwiegend in zwei verschiedene Gruppen: die Einsamen und die Gemeinsamen. Die Einsamen sehen leicht verwahrlost aus, wahrscheinlich ein Zeichen echter Verwahrlosung. Die einsamen Männer, gerne mit Softie-Pferdeschwanz, löffeln über die Zeitung gebuckelt ihre Kartoffel-Lauch-Terrine, die wirklich kein Grund zur Freude ist. Regelmäßig starren sie zu den anderen Tischen rüber, aber keinesfalls als Anmache, sondern als Augengymnastik. Ein langer Tag und viele Seiten Lesematerial fordern eben ihren Tribut. Einsame Frauen tippen in ihr Handy und essen trockenen Salat. Sie tragen Ballerinas oder Turnschuhe zu Jeans. Gemütliches eben. Die Gemeinsamen sehen auch leicht verwahrlost aus, aber bei ihnen ist es das Resultat eines langen Stylingprozesses. Männliche Gemeinsame tragen einen diffusen Bart und die Haare in der Art der Ungewaschenen. Weibliche Gemeinsame hingegen tragen Ballerinas oder Turnschuhe … man kennt es ja, soll gemütlich sein. Die Gemeinsamen holen sich gegenseitig Red Bull und vergleichen Angebote für Sprachkurse in Spanien. Geflirtet wird jedenfalls nicht.

Vielleicht liegt es an den veränderten Gewohnheiten. Zum Rauchen geht man ab diesem Monat vor die Tür, den Kaffee besorgt man bei Tchibo, und wer hier isst, riskiert einen Imageschaden. Fleischwurstbrötchen und vertrockneter Kuchen sind eben kein Power-Food. Kein Wunder also, dass sich die Zwangsgemeinschaft verlaufen hat, die sich in der Stabi früher aus ihrer isolierten Lage ergab. Dafür hat man vom Fenster aus dieser Tage den besten Blick auf die Berlinale.

CAFETERIA in der Stabi, Potsdamer Str. 33, 10785 Berlin-Tiergarten, S- und U-Bahn Potsdamer Platz, Cola ab 1,05 €, Terrine 2 €, Latte Macchiato 1,80 €