Nieder mit dem Backshop!

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: In Albrechts Patisserie in Charlottenburg ist das Bäcker- und Konditorhandwerk noch ein echtes

Nirgendwo wirkt Berlin gekehrter als an der Fasanenstraße in Charlottenburg. Die Fassaden der Häuser ziert Weinranken, nicht Graffiti. Die Gehsteige sind rein. Selbst die zum Schutz vor Nässe über den Fahrradsitz gezogene Plastiktüten sehen sauberer aus als anderswo. Würde man verwirrt und ahnungslos zwischen Kurfürstendamm und Lietzenburger Straße ausgesetzt, man wüsste gar nicht, dass man in Berlin wäre. Alles fehlt, was unsere Stadt augenscheinlich hässlich macht.

In anderen Straßen blendet das grelle Licht der Videothek, hier gibt es stattdessen ein gut sortiertes Buchgeschäft. Anderswo arbeitet man im Copyshop, hier in Kunstgalerien. Am schönsten aber ist, dass es in der Fasanenstraße keinen mit Neonbuchstaben beklebten Backshop gibt, sondern eine kleine Filiale der Patisserie Albrechts aus Prenzlauer Berg (taz-Gastrokritik vom 9. März 2004).

Gegenüber vom Eingang steht eine Kühltheke mit Törtchen. Ein herrlicher Anblick, ist man doch sonst ein runzeliges Ei-Brötchen als Auslage gewohnt. Hier bestellt der Gast und setzt sich dann in das winzige Hinterzimmer. Alles in Albrechts Patisserie ist klein und hübsch. Tische im Flugzeug sind größer als die wenigen hier. Es ist fast ein Wunder, dass noch auf jeder Platte aus hellem Holz eine Vase mit Tulpen Platz gefunden hat. Damit zumindest ein optischer Effekt von Breite erzeugt wird, hängen an den knallroten Wänden Spiegel, die niedrige Decke und der Stuck wurden weiß gelassen. In Albrechts Patisserie fühlt man sich wie in einem aufgeblasenen Puppenhaus – und jenseits von 1,70 Metern Körpergröße sicher nicht mehr richtig wohl.

Für alle darunter kann der Besuch bei Albrechts ein freudiges, hoch kalorisches Ereignis werden. Es lässt all jene angetrockneten Streuselschnecken vergessen, die man auf der verzweifelten Suche nach etwas Süßem im Backshop gekauft hat. Die mit angerösteten Mandelsplittern und Mandarinen versetzte Nugattorte schmeckt so sahnig, dass man schon schwach an Butter denken muss. Die hervorragende und lockere Zitronentarte hingegen hat eine leichte Hustensaftnote, was aber nicht abstößt, sondern erstaunlich gut und besonders wirkt. Für den auf so viel Zucker folgenden Jieper auf etwas Herzhaftes kann man in Albrechts Patisserie eine sehr gute Quiche Lorraine bestellen.

Kommt man dann auf dem Weg nach Hause am unvermeidlichen Backshop vorbei, wird man denken: Schön, dass es Läden wie Albrechts Patisserie gibt, bei denen das Bäcker- und Konditorhandwerk ein echtes ist.

ALBRECHTS PATISSERIE, Fasanenstraße 29, 10623 Berlin, (0 30) 88 72 93 83, tägl. 11–18 Uhr, www.albrechts-patisserie.de, U-Bahn Uhlandstraße, Latte macchiato € 2,60, Zitronentarte € 2,60, Quiche € 2,80