BERLINER PLATTEN
: Selbstbeschränkung und Schöpfen aus der Fülle: Die Puppetmastaz erzählen ein weiteres Mal ihren Puppen-Rap-Witz, und Tovah gelingt ein Wunder fast so wie „Wuthering Heights“

Musik, das ist oft auch die Kunst der Selbstbeschränkung. Oft genügt eine gute Idee, um in die Popgeschichte einzugehen. Oder zumindest Millionär zu werden. Die Ramones haben das bewiesen, AC/DC sowieso, und Puff Daddy sogar, dass das auch ganz ohne eigene Idee geht. Noch sind die Puppetmastaz weit von solchen Weihen entfernt, aber eins steht schon mal fest: Ihre Idee war gut. Rappende Puppen, das war der beste Witz, den der deutsche Hiphop seit Eins, Zwo auf Lager hatte. So gut war dieser Witz, dass daraus nach Selbsteinschätzung das „weltweit erfolgreichste Puppentheater“ werden konnte. Aber selbst der beste Witz ist irgendwann nicht mehr witzig. Spätestens dann nämlich, wenn er nun auf „Takeover“ bereits zum dritten Mal auf Albumlänge erzählt wird.

Zwar dreht das vielköpfige Team hinter den Puppen wieder ganz geschickt die Hiphop-Klischees durch den Kakao, um dem Rap-Betrieb den Spiegel vorzuhalten. Aber trotzdem wirken die Bemühungen der Puppenspieler – vielleicht auch, weil sich in dem Genre nicht viel getan hat zuletzt – mittlerweile vor allem wie ein Zitat ihrer selbst. Oder ungefähr noch so witzig wie ein Mathias Richling, bei dem jede neue Politiker-Imitation dann doch immer nur wie Helmut Kohl klingt. Minus den Mummenschanz bleiben die Puppetmastaz halt vor allem eins: Rap-Musik. Gute Rap-Musik in diesem Fall, aber ihre entscheidenden Qualitäten entfalten sie halt doch vor allem auf der Bühne, was man dann am Donnerstag mit den Puppetmastaz in der Volksbühne überprüfen kann.

Manchmal aber geht‘s auch andersherum, ganz ohne Selbstbeschränkung. Manchmal hat jemand zu viele Ideen, manchmal schlägt die Postmoderne unerbittlich zu: Bei Tovah treffen Stammesrhythmen auf esoterische Gemächlichkeit, selbstzufriedener Wohlklang auf atonales Free-Jazz-Gedudel, soulige Selbstentäußerung konkurriert mit folkiger Friedfertigkeit, und durch die ganze unmögliche Szenerie rast ein verstörtes Saxofon. Tovah allerdings gelingt mit „Escapologist“ ein kleines Wunder: Die willkürlich wirkende Mischung funktioniert erstaunlich prima. Um nicht zu sagen, ganz wundervoll. Sicherlich ist zu hören, dass die im Schwarzwald aufgewachsene Wahlberlinerin als früheste musikalische Erfahrung das klassische Kate-Bush-Album „Wuthering Heights“ angibt, aber wir haben es hier nicht mit sklavischer Anhängerschaft zu tun.

Tovah, die nach Lehrjahren beim eher zwiespältigen Mainstream-Produzenten Edo Zanki zwischen den Wohnorten Berlin und London pendelt, genügt es nicht, nur die durch wabernden Nebel torkelnde Hexe zu markieren. Lieber entwirft sie geradezu unheimlich komplexe, nichtsdestotrotz aber meist doch verführerisch eingängige Songs, die eigentlich eher Miniaturen heißen müssten. Die wären zwar, würde man sie analysieren, unerträglich geschmäcklerisch, aber setzen ihre eigentlich viel zu vielen verschiedenen Mittel so geschickt und im Detail mit viel Augenmaß ein, dass am Ende dann doch Pop steht. Und eine Kontradiktion: Manchmal ist dann doch zu viel von allem gerade richtig. THOMAS WINKLER

Puppetmastaz: „Takeover“ (Discograph/Alive), live am 13. 11. in der Volksbühne, 22 Uhr. 20/16 €

Tovah: „Escapologist“ (Lola-Lounge/Alive)