BERLINER PLATTEN
: Flexkögel reimt gutgemeint; derweil Corvus Corax volltönend orgelt

Darauf ist wohl noch niemand gekommen: die Klimakatastrophe zu vertonen. Bis jetzt. Bis zu Flexkögel und ihrem neuen Album „Wilde Gezeiten“. Wenn Sängerin Britta-Ann Flechsenhaar und Gitarrist Christian Kögel, diesmal unterstützt am Schlagzeug von Jochen Krämer, im Titelsong sich des Themas annehmen, dann hört sich das so an: „Wilde Gezeiten sind keine Kleinigkeiten / Wellen, die über Häuser schnellen / Ebbe und Flut / So weit, so gut / Aber wo kommt nur das ganze Wasser her?“ Ja, von oben, möchte man da antworten. Fragt sich aber eher: Wo kommen solche Reime her? „Ich häng immer noch hier rum / Nein, ich nehm mir das nicht krumm“, singt Flechsenhaar an anderer Stelle, „nackt bis auf die Hose / Fühl’n wir uns so herrlich lose“. Man könnte noch viel mehr zitieren, ohne allerdings schlüssig beantworten zu können, ob man es mit unfreiwilliger Komik zu tun hat oder doch womöglich mit dem Mut zum ironisch gemeinten Schüttelreim.

Wie auch immer: Eine poetische Offenbarung mögen Flexkögel nicht sein, dafür aber eben eine musikalische. Denn trotz ihrer spartanischen Besetzung, die auch nur selten mit einigen irrlichternden Geräuschen aus dem Sampler erweitert wird, decken Flechsenhaar und Kögel problemlos ein Spektrum ab, das von Cool-Jazz-Konventionen („What Are Days For?“) über verhuschte Bossa-Ausflüge („Raumfahrt“) bis zu Norah-Jones-artigem Pop mit esoterischen Wellness-Gesängen („Savo Island“) reicht. So wird die Coverversion des alten Alphaville-Gassenhauers „Forever Young“ zum Höhepunkt: Aus einem weltbekannten Synthiepop-Hit fertigen sie eine entspannte wie ziellos treibende Hymne aufs zufriedene Älterwerden.

Auch Corvus Corax covern gern mal, dann allerdings misst sich das Alter der Originale nicht in Jahrzehnten, sondern eher in Jahrhunderten. Schon zum dritten Mal widmen sich die Berliner Mittelalterdarsteller der Carmina Burana und vertonten einige der 240 Texte der mittelalterlichen Handschrift. Bei der ersten Auflage hatte man noch Probleme mit der Namensgebung, Carl Orffs Erben hatten den Titel „Carmina Burana“ verhindert, also nannte man es „Cantus Buranus“. Nach dem Erfolg des ersten Versuchs legte man in diesem Spätsommer „Cantus Buranus II“ nach und bleibt natürlich auch bei der alten Formel: Neben den bandeigenen Dudelsäcken, Schalmeien und Drehleiern trällerten gewaltige Chöre und fiedelt das Filmorchester Babelsberg. Überraschenderweise klang das Ergebnis trotz des personellen Aufwands mitunter etwas dünn: Man musste den Lautstärkeregler schon über die Maßen aufdrehen, um den orchestralen Anspruch in voller Breitseite goutieren zu können. Nun folgt der dritte Streich: „Cantus Buranus – Das Orgelwerk“. Hier dürfte er endgültig garantiert sein, der angemessen überwältigende Eindruck, bei dem sich auch leicht vergessen lässt, dass die Möchtegernspielleute ähnlich verfahren wie Guido Knopp: Die Geschichtsstunde wird aufs Spektakel reduziert und dient so der Unterhaltung. Ist ja auch in Ordnung, jedenfalls wenn es um Musik geht. THOMAS WINKLER

Flexkögel: „Wilde Gezeiten“ (Minor Music/Edel), Record-Release-Party am 28. 11. im A-Trane Corvus Corax: „Cantus Buranus“ (Pica/Soulfood), Release: 29. 11., Last Cathedral, Schönhauser 5