Ein Traum, nicht nur für Kinder

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Im Charlottchen in Berlin-Charlottenburg sind Kinder kein Trend oder Konzept, sondern normal

Über die Kinderfeindlichkeit in Deutschland ist schon viel geklagt worden. Über die Kinderfreundlichkeit in Berlin auch. Teil dieser Berliner Besonderheit ist, dass an allen Ecken und Enden der Stadt Cafés eröffnen, in denen die Kinder spielen können. Die Läden sind meistens durchdacht, der Raum für das Kind wird als Ausdruck eines Lebensstils gesehen. Ein Lokal, das sich um das alles nicht scheren muss, ist das Charlottchen in Berlin-Charlottenburg. Hier haben, und dem Inventar sieht man das auch an, schon Kinder gespielt, als vom Elterngeld noch keine Rede war.

Der Linoleumboden wirkt abgenutzt, wo Teppich liegt, sieht auch dieser verdächtig blank aus, kein besonderer Schnickschnack ziert hier die Wand. Aber das macht nichts. Dafür ist in der hinteren Ecke ein Burg-artiges Klettergerüst aufgebaut. Links rennen Kinder eine Treppe rauf, rechts rutschen sie runter. Unter dem Gerüst liegen überdimensionale Legosteine, Bälle, Spiele und Stofftiere. Solche, die man gerne mal im Schongang waschen möchte. Der Commerzbank-Goldi-Hamster hat mit Sicherheit schon den Mauerfall miterlebt. Pu der Bär hat mehr Jahre auf dem Buckel als alle Gebäude am Potsdamer Platz.

Im Charlottchen kann man über das alles hinwegsehen. Bietet es für Eltern endlich mal Ruhe, solange man mit einem Auge auf das Kind schielt. Vielleicht sehen die Eltern hier deshalb ziemlich glücklich aus. Weil sie ihre Zeitung lesen können, ihren Kaffee oder ihr Bier trinken und weil das Personal wahrscheinlich eher nach dem Kriterium der Leidensfähigkeit als der Servicementalität eingestellt wird. Es dauert ein wenig, bis die Bestellung auf dem Tisch steht, dafür macht es auch nichts, wenn der Kellner umgerannt wird.

Auf der Karte stehen leider so viele Gerichte, dass große Zweifel am kulinarischen Eifer des Küchenteams aufkommen. Aber auch das macht nichts, denn die Nachspeisen, die Crèpes mit Vanilleeis, die Waffeln und die Kuchen sind okay, werden hübsch angerichtet und bilden für die Kinder sowieso meistens eine glückliche Ausnahme. Größere Kinder können im Charlottchen an bestimmten Tagen das Theater besuchen, Erwachsene dann abends. Am Wochenende wird die Fußball-Bundesliga übertragen. Nein, das Charlottchen hat kein trendiges Konzept, abgesehen davon, dass es Menschen mit Behinderung Arbeit und Tariflohn gibt.

Gerade die Natürlichkeit, mit der hier alle gerne aufgenommen werden, seien sie rauchende alte Fußballfans oder kleine, freche Kinder, macht dieses Lokal zu einem Traum.

CHARLOTTCHEN, Droysenstr. 1, 10629 Berlin, (030) 3 24 47 17, tägl. ab 10 Uhr geöffnet, S-Bahn Charlottenburg, Crèpes mit Vanilleeis 3,10 Euro, Salate ab 3 Euro, Latte macchiato 2,50 Euro