Stell dir vor, du bist krank und der Arztbesuch kostet dich mehr als nur Geld

Das „Medibüro“ kämpft dafür, dass Gesundheitsversorgung angstfrei in Anspruch genommen werden kann. Bald steht der „World Health Summit“ an

„Es ist eigentlich ein Skandal, dass es uns überhaupt geben muss“, sagt Jessica Groß, die als Vertreterin des Berliner Büros für medizinische Flüchtlingshilfe – kurz Medibüro – im September den taz Panter Publikumspreis in Empfang nimmt. Ein Grundrecht dürfe nicht von der Spendenbereitschaft und dem Engagement Einzelner abhängig sein. Gemeint ist das Grundrecht auf Gesundheit. Zwar haben „Menschen ohne Papiere“, also ohne geregelten Aufenthaltsstatus, in Deutschland gemäß Asylbewerberleistungsgesetz einen Anspruch auf medizinische Leistungen. De facto wurde dieser Anspruch bisher jedoch kaum wahrgenommen. Wer ohne Papiere und Krankenversicherung zum Arzt oder in die Notaufnahme eines Krankenhauses gegangen ist, musste fürchten, an die Ausländerbehörde gemeldet und in der Folge abgeschoben zu werden. Eine neue Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz stellt zwar seit Neuestem die Patientendaten unter Schutz vor Weitergabe in die Ausländerbehörde, diese Regelung betrifft aber lediglich Notfälle im Krankenhaus, nicht jedoch reguläre Arztbesuche. Dadurch entsteht eine absurde Situation: Eine Vorstellung bei niedergelassenen ÄrztInnen kann nicht gefahrlos erfolgen. Entstehen durch die fehlende Versorgung jedoch Komplikationen, ist die Behandlung im Krankenhaus möglich.

Das Medibüro wurde im Jahr 1996 als selbst organisiertes, antirassistisches Projekt mit dem Ziel gegründet, die Gesundheitsversorgung von Menschen zu verbessern, die ohne geregelten Aufenthaltsstatus in Berlin leben. Seitdem vermitteln die MitarbeiterInnen des Medibüros Flüchtlinge an niedergelassene ÄrztInnen sowie Krankenhäuser weiter, die sich zu einer anonymen und kostenfreien Behandlung bereit erklärt haben. Mindestens genauso wichtig wie diese praktische Arbeit ist den AktivistInnen die politische Arbeit: das Engagement für eine staatlich finanzierte medizinische Versorgung für alle, unabhängig vom Aufenthaltsstatus, von Herkunft und Papieren. Das eigentliche Ziel des Medibüros ist, sich selbst abzuschaffen. Doch noch sieht die Realität so aus, dass diese selbst organisierten Strukturen sich eher zu etablieren scheinen. Mittlerweile verweisen sogar öffentliche Stellen auf die Möglichkeit einer medizinischen Versorgung durch Medibüros, die es neben dem Berliner Büro in vielen deutschen Städten gibt. Diese Lückenbüßerfunktion will das Medibüro aber nicht einnehmen und achtet daher darauf, die aus einer Notsituation heraus existierende Parallelstrukturen nicht auszubauen, um den Staat nicht aus seiner Verantwortung für eine medizinische Regelversorgung zu entlassen. Eine konkrete Forderung, für die sich das Medibüro in Berlin einsetzt, besteht in der Einführung des anonymen Krankenscheins, den sich Menschen ohne Krankenversicherung bei einer Stelle abholen könnten, die nicht der behördlichen Vermittlungspflicht unterliegt. Er würde ihnen die Möglichkeit geben, regulär zum Arzt zu gehen, sobald gesundheitliche Probleme auftreten. Auf diese Weise könnte so manche Chronifizierung von Krankheitsverläufen oder die Notwendigkeit von schweren Operationen verhindert werden.

Aktuell engagiert sich das Medibüro in einem breiten Bündnis für eine Alternativkonferenz zum „World Health Summit“. Dieser wird vom 14. bis 18. 10. anlässlich des 300-jährigen Bestehens der Charité unter der Schirmherrschaft von Merkel und Sarkozy in Berlin stattfinden. Das Bündnis kritisiert dabei zunächst die Auswahl der Themen. „Nicht Fragen der öffentlichen Gesundheitsfürsorge bestimmen das Programm des Gipfels, sondern Überlegungen, wie Forschung und private Gesundheitswirtschaft zur Verbesserung individueller Versorgung beitragen können“, lautet die Kritik der gemeinsamen Erklärung der Bündnispartner. Neben dem Medibüro haben die Erklärung u.a. medico international, Oxfam, IPPNW und Ver.di unterzeichnet. Gleichzeitig wird die Legitimation des Berliner Gesundheitsgipfels bezweifelt. Eigentlich liegt das Mandat für gesundheitspolitische Fragen auf internationaler Ebene bei der WHO. „In Anlehnung an die G 8 ist die Einrichtung eines M 8 geplant, einer Allianz der international führenden Forschungseinrichtungen“, heißt es dazu in der gemeinsamen Erklärung. Vertreter von NGOs oder aus Entwicklungsländern sind zu dem Gipfel nicht eingeladen worden. „Public Eye on Berlin“ ist der Titel der Alternativkonferenz, die vom Bündnis organisiert wird. Sie findet statt am Freitag, 16. 10. im Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin-Mitte. Dort werden dann auch, dem Anspruch entsprechend, Themen wie der „Zustand der Weltgesundheit“ oder „Zugang zu Gesundheit für alle“ diskutiert. LENA LANGBEIN

Weitere Infos zum Alternativgipfel: www.medibuero.de und www.ippnw.de