Expertengespräch

Die Entdeckung der Mitschrift eines Gespräches vom 1. August 1961 zwischen Nikita Chruschtschow und Walter Ulbricht ist eine kleine Sensation gewesen. Fern jeglicher theatralischer Gesten verhandeln die beiden Parteichefs nüchtern die aktuellen ökonomischen Problemstellungen. Nichts ist zu spüren von dramatischen Aufrufen und platten Losungen, nichts von harten Drohungen oder Schuhen, mit denen auf Tische geschlagen wird – reine Pragmatik und von wirtschaftlichen Interessenlagen bestimmte Nüchternheit bestimmen den Ton. Dass en passant auch über den Mauerbau gesprochen wird, ein Ereignis, das sich als emotionale und politische Zäsur tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat, wirkt heute fast befremdlich. Waren die beiden sich bewusst, dass ihr Gesprächsgegenstand massiv ins Schicksal so vieler Menschen eingreifen würde? Nicht weit hergeholt ist die Vermutung, dass es ihnen mangels anderer Optionen schlicht egal war; der Sachzwang regierte. Heute gibt es im Gorki Studio letztmals Gelegenheit, Hans-Werner Kroesingers dokumentarische Inszenierung dieses Zeitdokuments anzusehen. Die distanzierte Entzauberung realsozialistischer Staatsräson verdankt ihre Wirkung nicht zuletzt Valerie von Stillfrieds sparsamem Bühnenbild und der schauspielerischen Leistung von Judica Albrecht und Ana Kerezovic.

■ „Vermauern“ – szenische Lesung: Studio Maxim Gorki Theater, Hinter dem Gießhaus 2. Dienstag, 8. Dezember, 20.15 Uhr, 12/7 Euro