Der Brillenhändler Fielmann arbeitet mit ausgeklügelten Psychotechniken
: Die Zufriedenheitsgarantie

Liebling der Massen

Uli Hannemann

Als ich bei Fielmann sitze und darauf warte, bedient zu werden, schnappe ich vom Nebentisch den Fetzen eines Beratungsgesprächs auf: „Und Sie haben natürlich eine Zufriedenheitsgarantie?“

„Boah“, denke ich, „der kriegt eine Zufriedenheitsgarantie!“ Die möchte ich natürlich auch. Für den Rest des Lebens zufrieden sein, ohne albernes Abstrampeln, nur mit einer Bescheinigung der Firma Fielmann. Dabei hätte ich Zufriedenheitsgarantien viel eher bei religiösen Institutionen, Getränkemärkten oder Drogendealern erwartet als hier. Was sollen die denn noch alles haben? Immerhin haben sie ja schon so tolle Wippstühle. Stundenlang könnte ich in diesen Wippstühlen sitzen, hoffen, dass ich noch möglichst lange nicht drankomme, und in zunehmender Trance langsam und zufrieden vor und zurück wippen, zurück und vor, vor und zurück.

Jetzt erst fällt mir auf, dass Fielmann ein einziger Hort der Zufriedenheit ist: dieses wattige Schweben, das die Mitarbeiter an sich haben, wenn sie wie Aquarienfische zugleich flink und ohne Hast von Kunde zu Kunde gleiten. Dazu ihr stets freundlicher Blick hinter den idiotischen Fensterglasbrillen, die der strenge Brillenzar ihnen per Arbeitsvertrag in die Fressen drückt.

Nicht zu vergessen diese übernatürliche Gelassenheit, wenn sie in der vollen Filiale am Kottbusser Damm einmal mehr versuchen, einem anatolischen Mütterchen, das kein Deutsch spricht und das von seinem Mann gedolmetscht wird, der nur die im optischen Gewerbe allenfalls peripher relevanten Worte „Gabelstapler“, „Pause“, „Chef“ und „Feierabend“ kennt, den Unterschied zwischen Gleitsicht, Weitsicht und Netzhautverkrümmung zu erklären: „Stellen Sie sich vor: Auge Pause. Sie Chef von Auge. Brille wie Gabelstapler für Auge. Chef muss sagen ,Gabelstapler her, sonst Auge Feierabend für immer.‘“

„Hätten Sie eventuell die unendliche Güte, sich Ihre rassistischen Stereotype für das nächste Schlesiertreffen aufzusparen, Sie verfickte Brillenmuschi?“, fragt daraufhin der glutäugige junge Mann, der bis dahin in einem Wippstuhl in der Nähe unbeachtet und zufrieden mit seinem Butterflymesser gespielt hat: Wipp, vor, schnapp, auf, wipp, zurück, schnapp, zu, wipp, vor, schnapp …

Die Fielmann-Angestellte bleibt wattig, ruhig, zufrieden. Den Sohn, der mitgekommen ist, um den Vater zu dolmetschen, damit dieser der Mutter übersetzt, hat sie doch trotz Fensterglasbrille glatt übersehen. Das ist nicht schlimm, das kann passieren.

So leicht ist ihr yogischer Gleichmut nicht zu erschüttern. Die Arbeit macht ihr Spaß in dieser volksnahen, quirligen Zweigstelle zwischen Kreuzberg und Neukölln, bei der Wahl des Gestells für ihre Fensterglasbrille hat sie noch vergleichsweise Glück gehabt, ihr Leben ist schön.

Ein anderer Angestellter kommt zu mir, gleich bin ich dran, schade. Er ist abnorm blass und leise, so wie alle, die hier arbeiten. Seine Finger sind weiß und zartgliedrig, er wirkt zerbrechlich und dabei doch – wie auch sonst – zutiefst zufrieden. Selbstverständlich frage ich ihn als allererstes nach der Zufriedenheitsgarantie. Die könne er mir nur gegen den Erwerb einer Brille zusagen, lautet sein mephistophelisch anmutendes Angebot.

Ich bin enttäuscht. Dass man hier aus seinem reichen Vorrat an Zufriedenheit nur gegen schnöde materielle Gegenleistung abgibt und so das göttliche Gut des Glücks zu einer kapitalistischen Ware abwertet, hätte ich nicht gedacht.

Transzendenz als kaltes zynisches Geschäft à la Scientology, die Wippstühle nur eine ausgeklügelte Psychotechnik, die Zufriedenheit nur für einen harten Kern von gleichgeschalteten Jüngern. Auf einmal sehe ich die Einheitsfensterglasbrillen mit anderen Augen, das Schweben, die Geduld, die „Freundlichkeit“. Ich sehe Maschinenmenschen, ich sehe die Zukunft, ich sehe das Ende der Welt.