Weltherrschaftsabsichten werden deutlich sowohl bei Boundzound als auch bei DJ Hell (sic!)

Man könnte auf die Idee kommen, die drei Sänger von Seeed folgten einem von dunklen Mächten ausgehecktem Plan. Zeigen ihre Soloversuche doch eine systematische Ausdifferenzierung, als wollten sie die musikalische Weltherrschaft anstreben. Pierre Baigorry alias Peter Fox spielt Reggae für urbane Erwachsene, bekanntlich erfolgreich. Frank Dellé spielt Reggae für einen schönen, sonnigen Nachmittag, allerdings weitgehend erfolglos. Und Demba „Ear“ Nabeh alias Boundzound, das dritte „e“ in der Mitte von Seeed, spielt Reggae für die Zukunft. In die wurde die Veröffentlichung seines zweiten Albums EAR allerdings so oft verschoben, dass die Weltherrschaftsübernahme lange nicht mehr so konzertiert ablaufen konnte wie vermutlich ursprünglich geplant. Das Boundzound-Album aber gibt es nun endlich doch zu kaufen, und es ist demonstrativ elektronisch, voller futuristischer Sounds, afrikanischer Harmonien und harscher, eckiger Beats. Kein gemütlich schunkelnder Roots Reggae (wie von Dellé), erst recht kein Streicher-Offbeat (wie von Peter Fox), sondern zeitgemäße Clubmusik zwischen Dancehall und Dubstep, versetzt mit Funk, HipHop-Beats, ein paar großartigen Melodien und ziemlich vielen durchgeknallten Ideen. Dass Boundzound mittlerweile zum Gesamtkunstwerk mutiert ist, sich bunt anmalt, die Cover selbst gestaltet, als bildender Künstler reüssiert und dann auch noch eine esoterische Legende ums eigene Werk spinnt, das alles ändert nichts am Wesentlichen: Diese Platte rockt. Es legt allerdings die Vermutung nahe, dass für Demba in diesem ganzen irren Übernahmemasterplan eher die Rolle des Clowns vorgesehen war.

Die Weltherrschaft muss DJ Hell gar nicht erst anstreben. Die hatte er mit seiner Plattenfirma International Deejya Gigolos schon mal übernommen. In München zumindest. Dann zog er nach Berlin. Von hier sah es anders aus. Plötzlich war Hell nicht mehr Tanzbodenphilosoph, Welterklärer und Heilsbringer, sondern vor allem wieder: ein DJ. Ein ziemlich guter, der nun eingeladen wurde, seinen Beitrag für die „Coming Home“-Reihe des Labels Stereo Deluxe zusammen zu stellen. Er interpretiert die Aufgabenstellung, das Heimkommen, allerdings weniger musikalisch als eher geografisch. Mit dabei auf der von Hell zusammengestellten Reise durch die deutsche Popmusikgeschichte sind natürlich Kraftwerk und D.A.F. als Pioniere der elektronischen Musik, die auch noch einleuchtenden Einstürzenden Neubauten und Rheingold, aber auch die schon weniger logischen Nina Hagen, Hildegard Knef, Fehlfarben, Ideal und Reinhard Mey, ja sogar die Ostrock-Institution City mit „Am Fenster“, ihrem ewigen Hit mit dem Endlos-Zigeunergeigensolo. „Mamy Blue“ von Ricky Shane ist dann wohl das peinlichste Lieblingsstück aus der Jugend von Helmut Geier. So muss man „Coming Home“ wohl grundsätzlich lesen: als autobiografisches Geständnis. Forscher werden daran irgendwann ermitteln, wo in der Kindheit die Wurzeln gelegt wurden für den Drang, die Welt beherrschen zu wollen.

■ Boundzound: „EAR“ (Embassy of Music/Warner)

■ DJ Hell: „Coming Home“ (Stereo Deluxe/Warner), live: 9. 9., Arena