Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Wer weiß: Wäre die Mauer nicht gefallen und Georg Seidel nicht kurz darauf mit vierundvierzig Jahren an Krebs gestorben, dieser vergessene Dramatiker wäre jetzt vielleicht hochberühmt. Die Dramen, die er hinterließ, spielen in der untergehenden DDR. Sie erzählen von Menschen, die sich vor dem totalitären Zugriff in Sicherheit zu bringen suchen. Von den Verheerungen, die die allgegenwärtige Bevormundung durch Staat und Partei in den Beziehungen der Menschen anrichtet. Am Deutschen Theater hat Frank Abt jetzt Seidels Stück „Jochen Schanotta“ aus dem Jahr 1985 inszeniert, gegen das damals keine geringere als Margot Honecker persönlich zu Felde zog. Haben uns die Stücke von Seidel denn heute noch etwas zu sagen? Ja, meinen Franz Abt und das Deutsche Theater. Denn die Geschichte des jungen Mannes, der zwischen Aufruhr und Anpassung schmerzvoll aufgerieben wird, ist auch in unserem System immer noch voller Sprengkraft. Denn diese Geschichte stellt die noch immer drängende Frage: Was bräche auf in unserer gelähmten Gesellschaft, wenn wir alle aufbrechen würden? Die beklemmende Geschichte einer Gefangenschaft erzählt das Stück „Tage unter“ des norwegischen Dramatikers Arne Lygre: Ein junges gestrandetes Mädchen wird eines Tages vom Besitzer eines einsam gelegenen Hauses entführt und in einen Bunker unter seinem Keller gesperrt. Der französische Regisseur Stéphane Braunschweig hat diese klaustrophobische Versuchsanordnung über menschliche Abgründe inszeniert und zeigt das Stück Samstag und Sonntag beim Theaterfestival „Spielzeit Europa“. Das Theater Ramba Zamba präsentiert ab Donnerstag in der Kulturbrauerei unter der Überschrift „Lost Love Lost“ eine Variation auf Shakespeares wildes letztes Drama „Sturm“, u. a. mit Nele Winkler, dem Star der Truppe.

■ „Jochen Schanotta“: Deutsches Theater, ab So.

■ „Tage unter“: Haus de

r Berliner Festspiele, Sa. + So.

■ „Lost Love Lost“: Theater Ramba Zamba, Kulturbrauerei, ab Do.