Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen

Man muss in dieser Woche ja schon ziemlich mit der Lupe nach Theater suchen, wo die ganze Stadt sich gerade ums Kino dreht. Fündig wird man unter anderem in der Schaubühne, wo der Macher von sehr speziellem Musiktheater David Marton am Samstag seinen Abend über Johann Sebastian Bachs mathematisches Präzisionsstück „Das wohltemperierte Klavier“ herausbringt, das Ende Januar in Paris Premiere hatte. Dieses höchst komplex zu seinen Harmonien gelangende Musikstück von Bach wirft für Marton auch Fragen der Möglichkeiten des Einklangs unser polyphonen Gesellschaft auf. Denn was mit den Tönen bei Anwendung komplizierter Harmonien möglich ist, muss doch auch in der Gesellschaft funktionieren. So treffen, teilt uns das Theater mit, auch die Figuren aufeinander, als seien sie Klaviertasten, die ihr Universum in allen verschiedenen Kombinationen durchspielen, ohne in fester Verbindung verweilen zu können. Und doch bildeten sie eine Gemeinschaft, in der jeder nach seinem eigenen Tonfall suche (ab Samstag in der Schaubühne, Kurfürstendamm 153). Wo man schon mal beim Neudenken von Altem ist: „Im Rausch der Purpurschnecke“ heißt ein Theaterabend in den Sophiensælen, in dem Benjamin Eggers den Mythos von Jason und dem Goldenen Vlies untersucht. Und zwar mit neuem sanften Männerblick, den angesichts der Eroberungs-, Raub- und Mordaktivitäten plötzlich das schlechte Gewissen beschleicht (Donnerstag bis Samstag, Sophienstraße 18). Ansonsten geht in den Sophiensælen Martin Nachbar in seiner Performance „The Walk“ einmal dem Gang ins Theater grundsätzlich nach (Mittwoch bis Freitag). Was ja in Zeiten der Filmfestspiele auch mal ein nötiges Unternehmen ist. Der Höhepunkt der Woche dürfte Frank Castorfs Aneignung der berühmten Kleist-Erzählung „Die Marquise von O.“ mit Größen vom Fach wie Ilse Ritter, Kathrin Angerer und Jeanette Spassowa sein (Premiere am Freitag, Rosa-Luxemburg-Platz).