Laufsteg in den Westen

Alltagssoziologisch unterscheidet man in der serbischen Hauptstadt Belgrad schlicht zwischen Bauern und Intellektuellen – und beide Gruppen vereint trafen sich auf der „Becks Fashion Week“ . Ausgerechnet in jener Stadt , die man weniger mit Mode und Glamour assoziiert – sondern mit Krieg und Nationalismus

AUS BELGRAD MARTIN REICHERT

Wie Mahnmale stehen diese geschwärzten, bröckelnden Ruinen noch immer inmitten der Stadt und erinnern daran, dass Belgrad eben keine ganz normale europäische Stadt ist. Es ist eine Stadt, die noch vor nicht allzu langer Zeit von Nato-Kampfverbänden bombardiert wurde. Und keine, in die man mal eben mit dem Billigflieger jettet, um zu shoppen oder sich für zwei Tage die Nacht um die Ohren zu hauen, weil dort das Bier billig und die Bars und Clubs interessant sind – obwohl dem so ist: Belgrad rockt ja durchaus, das hat sich schon ein wenig herumgesprochen. Obwohl man in Paris, Berlin oder Krakau eher selten junge SerbInnen trifft. Sie können nicht einfach mal spontan losdüsen, weil sie Visa brauchen, um einreisen zu können. Ganz anders als zu Titos Zeiten, als die Jugoslawen als einziges Land im „Ostblock“ über Reisepässe verfügten.

Köcheln im eigenen Saft

Muss man es sich eben zu Hause schön machen. Wenn dort nicht die Eltern wären, bei denen junge Menschen in Belgrad in der Regel wohnen, weil sie sich eine eigene Wohnung gar nicht leisten könnten. Belgrad ist eine junge Stadt – sie wirkt zumindest so, weil sich die Jugend ständig in ihrem öffentlichen Raum aufzuhalten scheint, ob promenierend in der Einkaufsstraße, rauchend und schwatzend im Stadtpark oder eben in einem der unzähligen Cafés, Bars und Clubs Belgrads, die zum Wohnzimmer werden, weil es zu Hause eher mal beengt zugeht.

So wie im ganzen Land, das in seiner Isolation vor sich hin köchelt, im eigenen Saft und unter zunehmend schlechter werdenden Bedingungen. Gerade mal 300 bis 400 Euro verdient ein Serbe durchschnittlich im Moment, und das bei Lebensmittelpreisen, die über dem europäischen Durchschnitt liegen. Nun steigen auch noch die Energiepreise ins Astronomische – und doch würden junge SerbInnen ihr letztes Hemd geben, um nach der neuesten Mode gekleidet zu sein, gut auszusehen, auch die Männer: Der postsozialistische Trainingsanzug ist hier selten im Straßenbild anzutreffen, wird aber gerne insbesondere von jenen Herren getragen, die in stetig kleiner werdenden Demonstrationszügen durch die Innenstadt ziehen, um Kosovo-Lieder zu singen. Nationalistische Demonstrationen, bei denen Plakate mit Karadžić-Konterfeis hochgehalten werden.

„Sie werden langsam müde“, erzählt Bane, 30 Jahre alt, dessen ganze Hoffnungen sich auf einen zukünftigen Beitritt Serbiens in die EU richten. Und die Demonstranten? Das sind „Bauern“, denn in der Belgrader Alltagssoziologie unterscheidet man zwischen „Bauern“ und „Intellektuellen“. Er ist bei der Fashion Week auf dem „Expo“-Gelände in Neo-Beograd, weil auch er mit Mode zu tun hat, er arbeitet für einen australischen Textilienhersteller, der in Serbien produzieren lässt. „Bei Stundenlöhnen von 3,50 Euro konkurrieren wir mit China. Unsere Nische besteht darin, dass wir nicht auf riesige Stückzahlen setzen, sondern kleinere, speziellere Aufträge bedienen können.“ Auch er ist trotz seines festen Jobs weiterhin auf monatliche Unterstützung seiner Eltern angewiesen – aber im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute war er schon öfter im Ausland. In Paris, auch in Berlin. Er ist nicht darauf angewiesen, dass die Welt mal zu Besuch kommt, so wie im letzten Jahr anlässlich des „Eurovision Song Contest“.

Die „Becks Fashion Week“ – es ist die 24. in der Geschichte Serbiens – wird mit einer Retrospektive eröffnet, einer Show zu Ehren des unlängst in jungen Jahren verstorbenen Belgrader Designers Boris Nikolić. Alle sind hier, nicht nur im Publikum, auch auf dem Laufsteg. Stars und Sternchen aus der Milošević-Zeit, Moderatorinnen des serbischen Fernsehens, Schriftstellerinnen und Künstler. Menschen, die zum Inventar der serbischen Ausgabe des Hello-Gesellschaftsmagazins ganz selbstverständlich gehören und die doch außerhalb Serbiens niemand kennt – außer eben jene der zahlreichen Folk-Sängerinnen, die man vielleicht mal beim „Eurovision Song Contest“ gesehen hat, gewandet meist in tendenziell oversexed gestaltete Kleider von einheimischen Designern. Menschen zum Teil in einem Alter, die die Jahre des Krieges und des Embargos als „verlorene Jahre“ begreifen, wie Andjela, 32, eine Mitarbeiterin der Model-Agentur Click, die die Fashion Week veranstaltet erzählt. Es gibt also etwas nachzuholen – und es geht darum, in die Zukunft zu blicken. Wenn diese nicht in der EU liegt, dann eben anderswo. Andjela lernt gerade Türkisch – in Belgrad ist der Blick nicht zwangsweise gen Westen gerichtet, lebt man hier doch dort, wo einst der Limes endete, an der Grenze zwischen Orient und Okzident und in Nachbarschaft zum slawisch geprägten Kulturraum.

Der Traum von der Karriere

Auf der Fashion Week schon, jedenfalls dann, wenn es tatsächlich ambitioniert wird. Die Shows heißen „Take me to Paris“ oder „Eurostar“. Und zumindest ein Belgrader Designer hat es geschafft: Slobodan Mihajlović, der zur legendären „Antwerpen School“ gehört und eben dort studiert hat, zusammen mit dem deutschen Designer Bernhard Wilhelm. Und das sieht man auch, als seine Models an der Reihe sind, es ist eine andere Liga, von der Choreografie über die Entwürfe bis zum Chanel-angehauchten Make-up – und die Kollektion vom letzten Jahr. Er arbeitet nunmehr für den italienischen Designer Roberto Cavalli, entwirft Schmuck für Moschino, pendelt zwischen Belgien, Florenz und Belgrad. Er hat geschafft, wovon die meisten jungen SerbInnen nur träumen können – ein Traum, an dem junge DesignerInnen und Nachwuchsmodels unter Umständen dichter dran sind als der Durchschnitt. Wenn sie es schaffen, auf sich aufmerksam zu machen.

„Es ist so wichtig, dass die jungen Menschen hier visafrei reisen können“, sagt einer der wenigen „internationalen“ Gäste auf der Fashion Week. Ein Deutscher: Wolfgang Limbert von der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, die die „Becks Fashion Week“ fördert: „Die müssen raus aus ihrem Mustopf“ sagt er.

Limbert, der nicht gerade wie ein Mode-Freak wirkt, unterstützt die gerade Gestalt annehmende Idee, aus der Belgrader „Becks Fashion Week“ die „Balkan Fashion Week“ werden zu lassen. Immerhin: Das kroatische Fernsehen hat schon mal ein Team geschickt; nicht nur über die Popmusik, auch über das gemeinsame Interesse für Mode scheint eine Annäherung der nunmehr verfeindeten Staaten des ehemaligen Jugoslawiens möglich: „Viele junge Menschen begreifen erst heute, dass wir mal alle zusammengehört haben“ erzählt Bane. Und welche Stadt in Exjugoslawien, wenn nicht Belgrad mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern, könnte sich in Zukunft zu einer europäischen Modekapitale mausern?

Junge Talente gibt es hier genug, allein sie haben im Prinzip keine Chance. Marko Mitanovski zum Beispiel, der gerade sein Modedesign-Studium an der Belgrader Akademie beendet hat und auf der Fashion Week zum ersten Mal die Chance hat, seine Arbeiten zu zeigen: „Klar, das ist wichtig für mich, aber ich werde Serbien verlassen müssen, wenn ich Erfolg haben will. Die Sachen, die ich mache, gefallen den Folk-Sängerinnen nicht, und das ist die Hauptkundschaft. Ich mag die Folk-Sängerinnen übrigens auch nicht.“ Mitanovskis Entwürft sind eher gothic – er schickt eine SM-Lady-Macbeth über den Laufsteig, versieht junge Frauen mit Chitin-Panzern, viel Leder, viel Schwarz – mehr Rock ’n’ Roll als Turbo-Folk.

Klar, Belgrad rockt, es fiept nicht elektronisch wie Berlin. Man ist hier auch nicht metrosexuell, die Frauen sind keineswegs „stöckelschuhfaul“, und bei den Männern lassen sich Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten ziehen: Aus viel fleischhaltigem Essen wird eben auch: Fleisch. Klotzige Männlichkeit, die zum Beispiel gebietet, dass es Homosexualität nicht zu geben hat. Auf einer Fashion Week!

Getötet statt diskriminiert

„In Serbien wird man als Schwuler nicht diskriminiert, man wird umgebracht“, sagt Bane. Die „Bauern“ sehen so etwas nicht gern. So wenig, wie sie die zeitgemäße Mode der jungen Mode-Avantgarde Belgrads verstehen. Röcke für Männer zum Beispiel – dem österreichischen Model mit den langen Haaren, das diese auf der Fashion Week präsentierte, wurde von seiner Agentin geraten, sogar die engen Röhrenjeans lieber in London zu lassen, seiner Sicherheit zuliebe. Nur die „Intellektuellen“ finden so was gut, die zur Fashion Week kommen wie zu einer Theatervorstellung. Und leider meist kein Geld für Mode übrig haben, anders als die stiernackigen Herren, die sich in einen Anzug gequetscht haben und mit ihren Pudel auf dem Arm tragenden Blondinen erschienen sind. Und die Spaß an ebenjenen Kreationen finden, die professionelle Modekritiker fast in Ohnmacht fallen lassen: „Provinziell! Unmöglich“, tuschelt es hinter vorgehaltener Hand in der VIP-Lounge. Nationale Isolation macht sich eben auch modisch unvorteilhaft bemerkbar.

Leisten können sich diese Mode, ob die eine oder eben die andere, die jungen SerbInnen auf den Straßen Belgrads meist sowieso nicht. Sie sind schon froh, dass es mittlerweile eine Filiale des spanischen Mode-Discounters Zara in Belgrad gibt. Junge, aktuelle, europäische Mode zu erschwinglichen Preisen, entworfen häufig unter stiller Zurkenntnisnahme der Schauen in Paris oder London. Erst wenn man kopiert wird, hat man es „im Westen“ geschafft.