Ein System von Verdecken und Vertuschen

Im bayerischen Riekofen wurde der neue Pfarrer eingesetzt – sein Vorgänger sitzt wegen Pädophilie im Gefängnis

Goldgelb und warm strahlt die Sonne an diesem Vormittag durch die hohen, farbigen Butzenfenster der schmucken Riekofener Ortskirche, spiegelt sich in den glatt polierten, goldenen Figuren.

Es ist ein perfekter Tag, um eine Eucharistiefeier zu begehen, um den Gläubigen ein bisschen Wärme und das Gefühl von göttlicher Macht zu geben. Vielleicht 300 Menschen finden Sitzplatz in dem Gotteshaus, das Johannes dem Täufer gewidmet ist – knapp die Hälfte des 800-Seelen-Dorfes in der Oberpfalz. Beinahe voll besetzt ist die Kirche, als Gottfried Dachauer diesen Sonntag als neuer Pfarrer eingeführt wird – sein Vorgänger sitzt seit 30. August im Knast.

Jahrelang soll sich der 39-jährige Peter K. an einem Ministranten vergangenen haben. Bekannt wurde der Fall, weil der pädophile Pfarrer sich in einer anderen Oberpfälzer Gemeinde schon einmal an zwei Kindern vergangen hatte. Die Mutter eines dieser Buben hatte im Sommer davon erfahren, dass der Täter wieder Seelsorger geworden ist. Erst ihre Mitteilungen und Warnungen haben den aktuellen Missbrauchsfall ans Licht gebracht. Die Diözese Regensburg hatte es versäumt, ihre Schäfchen über die Vergangenheit des Seelsorgers zu informieren.

Nicht weiter ungewöhnlich, erklärte Bischof Ludwig Müller am Freitag. Ein psychologisches Gutachten habe schließlich ergeben, dass Hirte Peter K. „keine pädophile Fixierung“ habe. „Wie konnte man ihm eine zweite Chance versagen?“ Jetzt also der neue Mann. Eingeführt wird er nicht vom Bischof, dem Menschen, der 2004 die Einsetzung des straffällig gewordenen Vorgängers zu verantworten hatte. Der Medienrummel sei ihm zu groß. Gekommen ist der Dekan.

Halleluja wird gesungen, aus dem Buch Amos wird gelesen, von oben schallt die Orgel, gar selig ist dieser schöne Vormittag. Vom Blatt liest der Stellvertreter des Herrn Bischofs ein paar Zeilen. Spricht ein bisschen von Wut und Trauer und davon, dass die versammelten Übergangs- und Ersatzpriester „mitfühlten“, dass es einen Silberstreifen am Horizont gebe. Von Missbrauch oder sexuellem Übergriff redet er nicht. Immerhin das Zölibat kommt im Wortgottesdienst zur Sprache. Erst durch das Zölibat könnten katholische Pfarrer schließlich „vorbehaltlos“ für Gott und die Menschen da sein.

Und manchmal auch ein bisschen darüber hinaus. Wie Peter K. eben. Schon 1999, in seiner Zeit als Kaplan, hatte er sich an zwei Jungs vergangen. In Viechtach, auch im Bistum gelegen. Eine Schweigevereinbarung zwischen Kirchenverwaltung und Familie gab es damals, nachdem der Missbrauch aufgeflogen war, Geld ist geflossen – Schadenersatz sagen die einen, Schweigegeld, einige wenige andere. Peter K. bekam eine Bewährungsstrafe, war einige Zeit in der Altenseelsorge eingesetzt. Schließlich sprach ein kirchliches Gutachten davon, dass er „keine pädophile Fixierung“ habe. So wird er zum Ortspfarrer der Kirchengemeinde Riekenhofen-Schönau – und zum zweiten Mal nimmt ein Pädophiliedrama seinen Lauf.

Unverständlich für Johanna Dreimer. Ihr Sohn ist Opfer des Kaplans geworden. Jetzt sitzt sie gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten und Opfervertretern zweier anderer Altfälle im Festsaal des Gasthauses Hartmann, zwei Kilometer hinter Riekofen. Die kleine Gruppe hat sich entschlossen, das Schweigen zu brechen, ihre drei Fälle bekannt zu machen: Georgenberg, Nittenau, Viechtach. Drei Fälle von Missbrauch durch drei katholische Pfarrer, die alle in den letzten Jahren im Bistum Regensburg stattgefunden haben. Bislang waren es recht unzusammenhängende Meldungen. Seit Sonntagmittag stimmt das nicht mehr: „Es hat System“, erklärt Dreimer. Die vier anderen – zwei Opferberater und zwei betroffene Mütter, alle katholisch – nicken. Es sei ein System von Verdecken und Vertuschen statt von Hilfe für die Betroffenen. Keiner der drei Missbrauchten habe eine Entschuldigung des Bischofs erhalten, jedes Mal hieß es stattdessen: Ruhig bleiben. Zwar sind nicht alle Fälle in der Zeit von Bischof Gerhard Müller passiert – aber es gebe eine Amtsverantwortung.

Jetzt, beim vierten Fall im Bistum, wollen die Betroffenen nicht mehr schweigen: „Der Bischof hat einen Riesenfehler gemacht – jeder Politiker hätte längst zurücktreten müssen.“ Und dann fügt Dreimer noch hinzu: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jesus das auch so machen würde.“ Ob ihr so viel Offenheit gut bekommt, ist fraglich: Alle drei Betroffenen, die aus der Oberpfalz zusammengekommen sind, erklären, dass sie in der jeweiligen Gemeinde geschnitten oder gemobbt werden. Klar: Missbrauch in der katholischen Kirche? So was kann es nicht geben, schließlich blinkt doch alles so schön golden, und der Weihrauch duftet so fein.

MAX HÄGLER, RIEKOFEN