Kolumne Wechseljahr 2008: Lokale Betäubung

Wechseljahr 2008 (31): Wir fühlt sich Amerika? Dagmar Herzog über die Verfasstheit einer Changing Nation

Im Vorfeld der McCain-Obama-Debatte wurden die Zustände im Lande zunehmend irreal. Sarah Palin ließ sich vom pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari erzählen, wie schön sie ist und wie verständlich es sei, dass die Amerikaner in sie "vernarrt" sind. Anschließend wurde sie von Henry Kissinger beraten. Aber weil Palin so rigoros abgeschirmt wird, konnten sich gerade konservative Journalisten erlauben, McCains Stab des "Sexismus" zu bezichtigen und für Palins "Befreiung" zu plädieren. Im einzigen, von ihr zugelassenen Interview sprach sie dann tatsächlich fast nur wirres Zeugs.

In der Zwischenzeit brach ein (von Bush offensichtlich völlig unerwarteter) Schwall der Entrüstung des republikanischen Fußvolks aus - wegen des Plans, die Wall-Street-Krise aus den Taschen der Steuerzahler zu begleichen. Dies hatte aber zur paradoxen Folge, dass republikanische Kongressleute auf einmal sehr deutlich von Bush abrücken konnten. Indessen wurde wirkungsvoll verwischt, welche Partei hauptsächlich für das Malheur verantwortlich ist.

Derweil laufen unter dem Radar die neuen "Nadelstichattacken" (pinpoint attacks). Statt der landesweiten flächendeckenden Werbespots wie sie 2004 üblich waren, spezialisiert sich McCains Kampagne 2008 auf Spots, die speziell auf den Lokalkontext zugeschnitten sind; sie werden gezielt in Kabelkanälen gezeigt und dann wieder abgesetzt. Es wimmelt von dreckigen Anspielungen. Ein Beispiel sind die Spots in einem hauptsächlich von Weißen bewohnten Arbeiterklassen-County in Michigan nahe Detroit. Hier wird Obama zusammen mit dem afroamerikanischen Bürgermeister der Stadt vorgestellt, der gerade durch einen Sexskandal zu Fall kam - während andere Spots noch einmal die Geschichte von Obamas ehemaligem Pastor aufwärmen und diesen in seinem Gottesdienst die Worte "Gott verdamm Amerika" posaunend wiederholt über den Bildschirm laufen lassen. "Sie sollten wissen, wer Barack Obamas Freunde sind", heißt es am Ende.

Andernorts wird in Spots scheinunschuldig die Frage aufgeworfen, wer denn Obama in Wirtschaftsfragen berät. Wieder wird ein afroamerikanischer Mann gezeigt: diesmal Franklin Raines, ehemaliger (und Millionen hinterziehender) Chef der kollabierten Hypothekenfirma Fannie Mae. "Schockierend", sagt eine Frauenstimme. "Barack Obama. Schlechter Rat. Schlechte Instinkte. Nicht regierungsbereit." Dabei sei angemerkt: Raines und Obama haben nie etwas miteinander zu tun gehabt. Aber wir leben halt schon seit längerem in einer "postfaktischen Gesellschaft". "Immer 7 Prozentpunkte abziehen", so warnen nachdenkliche Experten, die gesehen haben, wie in diversen früheren Wahlkämpfen schwarze Kandidaten letztendlich verloren haben, obwohl sie in Meinungsumfragen immer einen Vorsprung hatten. Wähler wollen sich eben nicht zu ihrem Rassismus bekennen. Es ist offensichtlich, dass McCain just auf diesen Umstand zielt.

Gebannt hielten Zuschauer am Freitag den Atem an, als das TV-Duell der Kandidaten im Fernsehen endlich lief. Obama war ganz ruhig, McCain grienend herablassend dem Jüngeren gegenüber. Zwei Versionen der Wirklichkeit. Ausgang: unentschieden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.