Am Boulevard-Pranger

Andrea Ypsilantis politisches Scheitern ist für die Sensationspresse ein Segen: Sie wird täglich vorgeführt

Clever hat sie es nicht angestellt. Der Wunsch, Hessen als Ministerpräsidentin zu regieren, war einfach zu groß. Und ließ Andrea Ypsilanti (SPD) zu Versprechungen hinreißen, die sie nicht gehalten hat. Das regt den betrogenen Wähler zu Recht auf. Den bereits Politiker-Verdrossenen überrascht es hingegen nur in Maßen. Aber die Form der medialen Berichterstattung in diesem Herbst spricht Bände.

Es wurde sich mit Lust und Wonne in die Geißelung der Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion gestürzt. Da ist einmal ihr klingender Nachname. Die geborene Dill behielt nach der Scheidung den Namen ihres in Athen geborenen Exmannes, was ihr die Presse mit Namensspielchen der übelsten Sorte dankt. Von Andrea „Lügilanti“ über „Tricksilanti“ und „Tschüssilanti“ war alles dabei.

Die Bild-Macher übertrafen ihre sonst so niveaulose Wortwahl diesmal mit ihrer Bildsprache, welche sie aus den Tiefen der christlichen Ikonografie und dem Schatz deutscher Redewendungen schöpften. Da wurden ihr das eine Mal die sprichwörtlichen kurzen Beine verpasst. Das andere Mal legte man ihr eine Python um den Hals und stellte sie in Erbfolge mit der alttestamentarischen Eva, die im Volksmund bis heute verantwortlich für die Erbsünde der Menschheit ist. Die Schlange ist zwar als Begleiterin des Gottes Äskulap auch das Symbol der Heilkraft, in erster Linie aber eben auch für Lüge und Verführung. Das Blatt scheut sich auch nicht, die Politikerin fürs RTL-Dschungelcamp vorzuschlagen oder einen Artikel mit „Yps! Die Pannenshow“ zu überschreiben. Man darf vermuten, dass Ypsilantis männlichen Kollegen – bei allen Fehltritten – eine derartige Bildgewalt erspart geblieben wäre.

Haben wir es hier mit gekränkter Männerehre zu tun? Der Unfähigkeit, den Chefsessel einer Frau zu überlassen, die eigentlich ins Beuteschema passt? In einem Atemzug wird die Ex-CSU-Rebellin Gabriele Pauli genannt, die ebenso bestimmt wie attraktiv auftritt. Fotoshootings in roter Abendrobe oder Latexhandschuhen sind für die Boulevardpresse natürlich ein gefundenes Fressen, weil sie zeigen, dass diese Politikerinnen auch ihre Weiblichkeit offen zur Schau stellen. Ypsilantis taktische Wahlkampflüge ist keineswegs zu entschuldigen. Die ungleichen Maßstäbe, die zwischen Politikern und Politikerinnen in der Berichterstattung angesetzt werden, rechtfertigt sie aber keineswegs. MARLENE GIESE