Dioxin mit Fleischbeilage

In irischem Schweinefleisch darf es derzeit ein bisschen Dioxin mehr sein. Das ließe sich vermeiden. Doch die deutschen Behörden können sich nicht recht damit anfreunden, die Verbraucher zu warnen

VON SVENJA BERGT

Nun sind mal wieder die Schweinefleisch-Esser dran. Wer in den vergangenen Monaten etwas von den 2.000 Tonnen Schweinefleisch, die seit September aus Irland importiert wurden, zu sich genommen hat, hat durchaus Chancen, ein bisschen Dioxin gratis dazubekommen zu haben. So um 80- bis 200-mal so viel, wie die 1,5 Pikogramm die pro Gramm Fett bei Schweinefleisch eigentlich erlaubt sind. Und keiner hat’s gemerkt – oder zumindest nichts gesagt.

Man kann angesichts der Fülle der Lebensmittelskandale leicht den Überblick verlieren. Da ist zum Beispiel Acrylamid, die Skandalsubstanz aus dem Jahr 2002, um die es schon viel leiser geworden ist, zwischendurch kurz Melamin aus China, dann hatten wir gerade Schwermetalle im Wasser, ein bisschen wirken immer noch die Gammelfleisch-Bilder nach – und jetzt eben Dioxin. Hatten wir schon mal? Genau, hatten wir schon mal, 2005, da war zu viel davon in Eiern. Und wie schon früher wird die Reaktion der Verbraucher auch dieses Mal die übliche sein: Erschrecken, kurzzeitig auf andere Produkte ausweichen, vergessen.

Das Problem bei Dioxin im Vergleich zu anderem, was eigentlich nicht oder nicht in dem Maße in Lebensmittel gehört, ist: Es lagert sich im Körper an. Deshalb empfiehlt die EU ihren Bürgern, pro Tag und Kilo Körpergewicht nicht mehr als ein Pikogramm, das ist der Billionstel Teil eines Gramms, Dioxin aufzunehmen. Weil Dioxine aber nicht nur in Schweinefleisch, sondern auch in Fisch, Milch und Eiern vorkommen, liegt der durchschnittliche Fleischesser deutlich darüber. Die EU müsste also, um ihre Bürger zu schützen, die Grenzwerte senken. Macht sie aber nicht. Denn mit niedrigeren Grenzwerten, das hat auch die Europäische Kommission erkannt, würde ein großer Teil des Futter- und Lebensmittelangebots von heute „als ungeeignet für die Verfütterung an Tiere beziehungsweise für den menschlichen Verzehr“ gelten. Die derzeitigen Wert sind also nicht als Ergebnis eines wissenschaftlichen Prozesses, der erforscht, wie viel an Schadstoff gerade noch vertretbar ist, sondern die Bilanz politischer Verhandlungen. Und die sind in diesem Fall alles andere als gesund.

Der Verbraucher ist nicht nur Grenzwerten ausgesetzt, die er meist nicht kennt, sondern vor allem Grenzwerten, die er selbst nicht nachweisen kann. Wer kein Lebensmittelchemiker mit Labor ist, kann die Menge an Pestiziden in der Paprika oder Dioxin im Fleisch nicht selbst bestimmen. Er merkt die Belastung auch nicht am Geschmack, wie bei sauerer Milch, und nicht am Aussehen, wie bei verschimmelten Brot. Er muss sich verlassen. Darauf, dass die Behörden sinnvolle Grenzwerte festlegen, die Industrie sich daran hält und, falls nicht, durch systematische und zuverlässige Kontrollen schwarze Schafe gefunden und aus dem Verkehr gezogen werden. Und vor allem: Dass der Kunde erfährt, welches Produkt, das er bereits gekauft hat, besser nicht verzehrt werden sollte. Das kann er – zumindest in Deutschland – nicht so einfach.

Denn die Behörden halten, so lange es geht, den Mund. Die, die eigentlich an den richtigen Stellen kontrollieren müssten, nämlich schon im Tierfutter und nicht erst im fertigen Lebensmittel, das bereits in den Supermarktregalen steht und verkauft und gegessen wird, die sofort, wenn zu viel an Schadstoffen gefunden wird, öffentlich warnen müssen, halten sich bedeckt. Die ersten Meldungen zu dem belasteten Fleisch kamen von den irischen Behörden. Das Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, das durch ein Schnellwarnsystem eigentlich als Erstes davon gewusst und vor allem darüber informiert haben sollte, meldete sich erst, als in Irland bereits Rückrufe liefen. Und da hieß es zum Start des Verbraucherinformationsgesetztes noch vollmundig, dass die Behörden bei derartigen Vorkommnissen „aktiv warnen“ sollten. Wie das geht, macht Großbritannien vor: Behörden informieren bei einem Fund beispielsweise die lokalen Medien, Verbraucher können Produkte, die sie schon im Kühlschrank liegen haben, zurückbringen. Das geht schnell und transparent und im Zweifelsfall kann der Kunde selbst entscheiden, ob er den Gang in den Supermarkt auf sich nehmen will oder die Erdbeermarmelade mit Metallgeschmack und den Essig mit Sulfiten für ungefährlich hält. Oder eben das Schweinefleisch mit Dioxin.

Noch weniger verstanden als die schweigsamen Behörden hat nur die FDP. Die rät allen Ernstes dazu, ausschließlich deutsches Schweinefleisch zu kaufen. Das wäre nun wirklich der falsche Weg. Denn da gäbe es ja nicht einmal eine irische Behörde, die im Ernstfall warnen würde.