Schöne Bescherung

Der RAF-Terrorist Christian Klar wurde gestern nach 26 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Damit endet aber kein Kapitel der deutschen Geschichte, sondern nur eine lebenslang genannte Haft

VON JAN FEDDERSEN

Welch feinen Sinn für Takt und Ton, in symbolischer Hinsicht das baden-württembergische Justizministerium hier zeigt: Ausgerechnet kurz vor den weihnachtlichen Festtagen ist Christian Klar nach 26 Jahren seiner „lebenslänglich“ gegen ihn verhängten Haftstrafe in die Freiheit entlassen worden. Also zum Fest der Barmherzigkeit, des Neuanfangs, der Feier der Nächstenliebe, der geöffneten Pforten und weiten Herzen.

So darf man es sehen – in den viel kühler gehaltenen Worten Jörg Schleyers heißt es: „Ich habe schon immer gesagt: Bei den RAF-Terroristen handelt es sich um gemeine, kriminelle Verbrecher.“ Wenn dieses so sei, teilte der Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Hanns Martin Schleyer weiter mit, „dann kann man ihnen die Vorzüge, die ein Rechtsstaat bietet, nicht verschließen.“ Klar habe zwar während der Jahre seiner Haft nie ein Zeichen der Reue gezeigt, aber, so Schleyer, „wer so brutal und menschenverachtend gegen andere gehandelt hat, dem nimmt man sowieso keine Reue ab“. Klar selbst, dessen Freilassung erst zum Anfang des kommenden Jahres erwartet wurde, kommentierte diese nach Auskunft seines Anwalts Heinz-Jürgen Schneider positiv: „Er hat sich gefreut, er war zufrieden.“

Das vorletzte Kapitel?

Ob mit der vorweihnachtlichen Freilassung Klars nun die Diskussion um den politischen Terrorismus der RAF endet, ist offen. Gewiss scheint nur, dass ein Mann wie Christian Klar, Spross einer bildungsbürgerlich und wohlanständigen Familie aus dem Badischen, nun mit einer Welt klarkommen, die er aus den Angeln heben wollte – und an deren Gewicht er und die Seinen sich verhoben. Klar wird, so muss fantasiert werden, sich mit einem beschleunigten Leben auseinandersetzen, mit Handy, DSL, einer Fülle von Kabelfernsehkanälen, mit Moden, die er möglicherweise im Vergleich mit der der frühen Siebzigerjahre als pornografisch aufgeheizt wahrnimmt, und mit einem Land, das wesentlich liberaler geworden ist. Auch wird er sinnlich ermessen müssen, dass die einstige politische Szene, die ihn trug, nicht mehr oder allenfalls in Nischen existiert.

Klar, der mit 56 Jahren die gewöhnlichen Lebensabschnitte eines Menschen zwischen Jugend und Ältersein, die der Odyssee, an die Folgen seines politisch gemeinten Engagements billig verschenkt hat, kann auf- und nachholen – und er wird dies tun müssen, um an der neuen, viel schneller gewordenen Welt nicht irre zu werden. Immerhin: Er kann diese Wiedereingliederungsgeschichten in Berlin erledigen – das Angebot des Berliner Ensembles und seines Intendanten Claus Peymann, Klar einen Praktikumsplatz in der Bühnentechnik anzubieten, steht nach wie vor. Was auch topografisch sehr passen würde: Von seinem Hospitantenplatz schafft er es in dreiminütiger Fußweite zum Parlaments- und Regierungsgehege der Berliner Republik, zum Reichstag wie zum Kanzlerinnenamt. Dort sieht es gläsern, modern, transparent aus und, bei aller Liebe zur Kritik am Detail, irgendwie nicht so faschistisch, wie die RAF der Bundesrepublik immer unterstellte.

Dass mit seiner Freilassung aus dem Gefängnis Bruchsal das vorletzte Kapitel des thematischen Evergreens RAF umgeblättert werden kann, muss allerdings bezweifelt werden. Nicht allein, dass mit Brigitte Hogefeld noch eine Angehörige der RAF einsitzt, sondern weil viele politische wie kriminalistische Fragen zur RAF, ihren Morden und ihren Ermittlungen noch ungeklärt sind.

Offene Fragen?

Michael Buback, Sohn des 1977 von der RAF getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, hat in einem jüngst erschienenen Buch auf die offenkundigen Blind- und Schwachstellen der staatlichen Darstellung der Ermittlung zum Mord an seinen Vater hingewiesen. Die attackierten Behörden winden sich bis heute, auf die Vorwürfe einzugehen. Zugespitzt formuliert: War einE der MörderInnen des ranghohen Strafverfolgers auf einer geheimdienstlichen Auskunftsliste?

In anderer Hinsicht bleiben ebenfalls Fälle offen: Für viele der Attentate der RAF der späten Achtziger- und Neunzigerjahre gibt es weder kriminalistisch verwertbare Spuren noch echte Verdächtige. Die Behörden operieren nicht nur im Vagen, sondern im fast vollständig Ungewissen. Klar ist jedenfalls frei – und dies ist unbedingt zu begrüßen, zumal selbst die Justizbehörden mit gutachterlich gestützten Gründen dem Insassen attestierten, von ihm seien keine neuerlichen Straftaten zu erwarten. So ließe sich ausrufen: Frohe Weihnachten, Christian Klar, eben war Bescherung, und der Kampf geht nicht weiter!

Und weil der Spuk um all die Gefängnishaftigkeit der RAF und ihrer Verfolger in Klar ein deprimierend einsames Symbol abgab, kann man sich jetzt dem Vorschlag der Autorin Carolin Emcke wieder nähern. In einem Buch über ihren ebenfalls durch Linksterroristen ermordeten Patenonkels Alfred Herrhausen forderte sie, dass jetzt, wo fast alle Strafen abgesessen und erlitten wurden, alles ans Licht kommen möge. Die RAF-Leute mögen reden – darüber, wie und wer es wirklich war. Nicht im kollektiven Wir, sondern einzeln, individuell. Dass Menschen wie Christian Klar sich nie als Individuen sehen wollten, spielt dabei keine Rolle: Würde geredet werden, könnte das deutsche RAF-Kapitel wirklich aus der Zone des historischen Zwielichts befreit werden.