Kleine Landeskunde Saarland: Leben und trinken lassen

Das kleinste Flächenland Deutschlands lebt von seinen Klischees: Genuss, Weinseligkeit und einem eigenartigen Hang zum politischen Skandal.

An der Saar genießt man gerne: Das Französische hat den Charakter der Saarländer eben mitgeprägt. Bild: dpa

Stephan Toscani ist Generalsekretär der CDU Saar und mit einer Französin verheiratet. Befragt nach dem typischen Saarländer fällt dem 42 Jahre alten Juristen zuerst "das ganz falsche Beispiel Max Palü" ein. Der inzwischen zwangsweise pensionierte Tatortkommissar des Saarländischen Rundfunks habe genau dem klischeehaften Bild entsprochen, das sich die Restrepublik - früher von den Saarländern gern spöttisch "das Reich" genannt - von den Menschen an der Saar wohl auch noch heute mache: "Alles Rennrad fahrende Rotweintrinker und Hobbyköche mit dem Hang zum savoir vivre und einem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit."

Dabei wird diese telegene Lebensart dem saarländischen Motto: "Hauptsach gutt gess!" en détail doch eigentlich gerecht. Bei Blattsalat mit gegrillten Putenbrustfilets und einem Grauburgunder von der Saar im Nobelhotel Victors in Saarbrücken räumte der Frankreichkenner Toscani denn auch ein, dass "das Französische" den Charakter der Saarländer "schon mitgeprägt" habe. Das Rotweintrinken und das "gerne gut essen - gehen" seien dafür aber keine hinreichenden Indizien. Eher schon, dass man an der Saar "alles nicht so verbissen sieht - genau wie bei den Franzosen". Und dass man seinen Mitmenschen, auch den Politikern, ihre Verfehlungen gerade deshalb wohl öfter nachsehe als vielleicht anderswo.

Leben und leben lassen also. Ist das die saarländische Philosophie? Wie in Frankreich - dort verfügt allein der Präsident der Republik über 200 Dienstwagen. Die private Nutzung eines Dienstfahrzeugs durch eine Ministerin würde auch im Saarland "keinen Schwanz interessieren", glauben Sozialdemokraten an der Saar in Anspielung auf den "sehr reichsdeutschen Fall Ulla Schmidt" zu wissen.

Mit 2.568,70 Quadratkilometern das kleinste aller Flächenländer in Deutschland. In der Region zwischen Frankreich, Luxemburg und Rheinland-Pfalz leben gerade einmal 1.036.598 Menschen - Tendenz fallend. Das mag neben einem ungünstigen Verhältnis zwischen Sterbe- und Geburtenrate auch daran liegen, dass es im Saarland im Vergleich zu anderen Bundesländern im Westen auch die meisten prekären Beschäftigungsverhältnisse gibt - Tendenz steigend. Die aktuelle Arbeitslosenquote liegt bei 8 Prozent.

Spät (1957) kam das Saarland nach einer Volksabstimmung zur BRD. Bis 1947 war es französisch besetzt und danach zehn Jahre lang eine autonome Region.

Am 30. August wird an der Saar ein neuer Landtag gewählt. Dem amtierenden Ministerpräsidenten Peter Müller und der CDU wird in Umfragen der Verlust der absoluten Mehrheit prophezeit. Um die Macht an der Saar und die Vorherrschaft links kämpfen auch Oskar Lafontaine von der Linken und Heiko Maas von der SPD.

Und tatsächlich hat dem Vorsitzenden des DGB Saar, Eugen Roth, der in Personalunion auch Landtagsabgeordneter und stellvertretenden Parteivorsitzender der SPD Saar ist, seine ganz eigene Dienstwagenaffäre ja auch nicht geschadet. Dabei hatte Roth nach seinem Einzug in den Landtag 2004 trotz seinem weiter vom DGB kostenlos gestellten und auch fleißig für alle Fahrten genutzten Dienstwagen dreist auch noch Reisekostenabrechnungen bei der Landeskasse eingereicht und über 20 Monate hinweg illegal Kilometergeld sowie eine Fahrkostenpauschale kassiert: 7.400 Euro insgesamt. Als die Sache ruchbar wurde, zahlte Roth, der von einem "Verbotsirrtum" sprach, das Geld brav zurück - und alles war wieder gut.

Einem "Verbotsirrtum" unterlag auch Oskar Lafontaine einmal. Der Spitzenkandidat der Linken Saar für die Landtagswahl Ende August strich als Ministerpräsident des Saarlands zu Unrecht und über Jahre hinweg schon Versorgungsleistungen in Höhe von 228.000 DM aus seiner Zeit als Oberbürgermeister von Saarbrücken ein. Die peinliche Geschichte flog 1994 auf. Auch Lafontaine hat dieser Bereicherungsversuch nicht geschadet. Seine früheren Streifzüge durch das Rotlichtviertel der Landeshauptstadt mit dem späteren Ministerpräsidenten Reinhard "Mutzi" Klimmt festigten eher seinen Ruf, ein gerissener Hund und noch dazu ein ganz ausgekochter Polittycoon zu sein.

"Der Oskar hat das Reich immer beeindruckt; und genau das beeindruckt die Saarländer", konstatiert denn auch breit grinsend Linksparteichef Saar Rolf Linsler (67). Mit Froschschenkelfett im Bart und einer Flasche Blanc de Blanc auf dem Tisch schwärmt der im Saarland geborene, noch unter der französischen Besatzung erwachsen gewordene ehemalige Gewerkschaftsboss und Sozialdemokrat im französischen Traditionslokal Woll gleich hinter der Grenze vom Urlaub in der Bretagne.

Der nach der dritten Flasche Wein vorgetragenen These, wonach das winzige Saarland (2.500 Quadratkilometer) mit einer Einwohnerschaft von gerade einmal einer Million Menschen wohl ganz offensichtlich das "Land der Skandale" sei, widerspricht er heftig. Auch anderswo in Deutschland würde es schließlich Affären geben, "und auch viel Vetternwirtschaft".

Als Ursache für die Vetternwirtschaft im Saarland - auf diesem weiten Felde sorgten in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem CDU und SPD immer wieder für spitze Schlagzeilen - hatte Unionist Toscani zuvor schon die "räumliche Enge" im kleinsten Flächenland der Republik in Kombination mit der geringen Einwohnerzahl ausgemacht. Jeder kenne eben jeden an der Saar; und jeder habe irgendwo im Saarland noch einen oder mehrere Verwandte, die wiederum Bekannte hätten.

Die Vetternwirtschaft, doziert ein ehemaliger Schullehrer und Freund im legendären Saarbrücker Brauhauslokal Stiefel, sei sowieso nur eine Unterabteilung der insgesamt doch etwas anrüchigen und für Außenstehende kaum begreiflichen politischen Skandalproduktion in Permanenz und doch recht eigentlich ein Kulturgut - so wie der andere mutmaßliche Prototyp eines Saarländers neben der Kunstfigur Palü: der Kabarettist Gerd Dudenhöffer alias Heinz Becker, der passionierte Biertrinker aus Bexbach. Der Mann von "des Hilde" mimt seit 1983 den pausenlos meckernden Kleinbürger und pflegt dabei den originellen saarländischen Dialekt. Und politische Skandale wittert der stets mürrische Heinz immer und überall: "Mer wääs net, woher das aah kemmt?"

Rolf Linsler (Linke) weiß das auch nicht so genau. Dabei ist es vor allem die Linke, die aktuell an die lange Skandaltradition anknüpft. "Kinderkram" nennt er die jüngsten Eskapaden seiner Parteifreunde. Da behauptet etwa der Bruder von Oskar Lafontaine, Hans Lafontaine, dass der saarländische Bundestagsabgeordnete der Linken, Hans-Kurt Hill, der auf der Liste seiner Partei zur Landtagswahl steht, ein Spitzel des Verfassungsschutzes sei. Hill bestreitet das, Oskar Lafontaine schweigt dazu - und die Basis ist irritiert.

Zoff gibt es auch immer noch in Wadgassen bei Saarbrücken. Dort traten kurz vor der Kommunalwahl im Juni sechs Linke mit "pazifistischer Gesinnung" aus der Partei aus, weil ihr Ortsvorsitzender als Mitglied einer Reservistenvereinigung in seiner Freizeit beim Paintball durch die Wälder robbt und Farbpatronen auf Mitspieler verschießt.

Und im Saarbrücker Stadtteil Malstatt sollen prominente Linke wie etwa der Saarbahn-Betriebsratschef Winfried Jung, der jetzt für die Linke im Stadtrat sitzt, "ausländische Mitbürger und Homosexuelle" beschimpft und verächtlich gemacht haben.

Andere produzieren auch weiter ihre Skandale. Die Landesregierung mit Ministerpräsident Peter Müller (CDU) an der Spitze etwa sammelte klammheimlich die Telefondaten der Landtagsfraktion der SPD, und sie versuchte, einen grünen Spitzenpolitiker mit einer Rufmordkampagne zu diskreditieren. "Ma mäschd wisse, wo des eenes Daachs hinfiere soll" (Heinz Becker).

"Weil alle Parteien betroffen sind, relativiert sich das doch alles wieder", meint dazu auch ein prominenter Grüner in Saarbrücken, der seinen Namen aber nicht in der Zeitung lesen will, "weil ich sonst von meinen Leuten dafür verantwortlich gemacht werde, wenn jetzt auch unsere früheren Affären von euch Zeitungsmenschen mitten im laufenden Landtagswahlkampf wieder frisch aufbereitet werden". Keine Angst. Machen wir nicht.

Vom Bademattenklau eines grünen Landtagsabgeordneten soll hier jetzt wirklich nicht mehr die Rede sein; und auch nicht von mutmaßlich gefälschten Mitgliederzahlen in einigen Orts- und Kreisverbänden der Grünen. Und erst Recht nicht von einem eingestellten Ermittlungsverfahren gegen einen anderen Landtagsabgeordneten und Parteivorsitzenden der Grünen, dem vorgeworfen worden war, mit Landtagsrabatten erworbene Autos mit Gewinn gleich wieder weiterverkauft zu haben.

Schließlich können die Saarländer ja noch mit anderen Superlativen aufwarten (die allerdings auch nicht so ganz toll sind). Nirgendwo in der Republik nämlich wird früher gestorben als im Saarland; und nirgendwo sonst in Deutschland werden - im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung - mehr Ehen geschieden. Und wo bleibt das Positive? Das Saarland stellt den amtierenden Grillweltmeister. Nirgendwo sonst im Westen der Republik kratzt die Linke an der Zwanzigprozentmarke. Die Nähe zu Frankreich lockt; und die Tankstellen in Luxemburg sind auch nicht weit - dort kostet der Liter Superbenzin nur 1,08 Euro.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.