Ohne untenrum

Ein Leben nach den Feuchtgebieten: Charlotte Roches Debüt als Moderatorin bei „3 nach 9“

Die erste Geste ist eine geballte Faust. Fast wie bei Dieter Bohlen, wenn er die Gitarre mal wieder Gitarre sein lässt. Charlotte Roche scheint nervös zu Beginn ihrer ersten „3 nach 9“-Sendung im NDR am Freitagabend. Die Mundwinkel zucken, als sie vorgestellt wird – als wüsste Roche nicht, ob sie jetzt lächeln oder es lieber bleiben lassen soll. Ihr Mund und sie entscheiden sich für das Lächeln – das wirkt echt.

So wie Charlotte Roche an diesem Freitagabend stets wirkt wie Charlotte Roche. Zumindest so wie die Person, die wir als Charlotte Roche von ihren Fernsehstationen bei Viva, Arte oder 3sat kennen. Oder von ihrer eigenen Talkshowtingelei, nachdem ihr Roman „Feuchtgebiete“ an die Spitze der Bestsellerlisten gestürmt war.

Die 31-Jährige plappert und versucht nicht die seriöse Feuilletonistin zu mimen. Für den Part sitzt ihr Giovanni di Lorenzo gegenüber. Roche gesteht Michael Herbig, dass sie nervös sei, und fragt, ob er auch manchmal nervös sei. Das ist nicht sonderlich originell. Aber wenn di Lorenzo gegenübersitzt – er schiebt bei seinen Fragen einen Redefluss voraus, der immer auch deutlich machen soll, dass die nun gleich folgende Frage mit richtig klugen Hintergedanken formuliert wurde und deshalb aus gutem Grund auf dem Kärtchen steht –, wirkt Roche mit ihrer quiekenden Stimme und der direkten Art auflockernd. Und genau deshalb könnte dieses Duo funktionieren.

Dass es an diesem Abend noch nicht vollends zündet, liegt auch an den Gästen: Die Cellistin Sol Gabetta – die Frau ist ein neuer Star der Klassik – sieht, wie alle aktuellen Klassikheroen, ganz adrett aus und hat nicht allzu viel zu sagen. Michael „Bully“ Herbig promotet gerade seinen „Wickie“-Film und ist ein netter Kerl. Zumindest im Fernsehen. Und Peter Kraus? Der ist nicht mal halb so viel Rock ’n’ Roll wie Charlotte Roche. „Mein 40. Hochzeitstag ist mir wichtiger als mein 70. Geburtstag“, sagt Kraus. Oder: „Ich wollte auch immer den Eltern gefallen.“ Dass das schon bald nach seiner rebellischen Anfangszeit war, verwundert nicht.

Nur Christoph Schlingensief, dem Roche gesteht, wie sehr sein Buch über den Umgang mit seiner Krebserkrankung ihren eigenen Alltag verändert habe (und dies sogar mit Beispielen unterfüttern kann), bricht den Gästezwieback etwas auf. Zuerst redet der Theaterregisseur über seine letzte – anscheinend wenig positive – Diagnose und wettert dann gegen die FDP. Roche findet das lustig, di Lorenzo nicht, der stoppt Schlingensiefs Redefluss. Obwohl der eigentlich Roches Gast war.

Aber Roche ist halt noch nicht so lange bei den Öffentlich-Rechtlichen. Da muss man so kurz vor der Wahl aufpassen, dass in den Unterhaltungsformaten nicht zu viel über Politik gesprochen wird. Und Roche lernt schnell: Als Schlingensief weiter- und weiterredet und berichtet, wie gut er den SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier findet, steht Roche auf und hält ihm den Mund zu.

Doch das reicht nicht für einen – von manchen wohl erwarteten (oder erhofften) – hyperaktiven Skandalauftritt: Roche kommt ganz ohne „Untenrum-Themen“ aus. Sie setzt stattdessen obenrum ein Statement: Auf ihrem Kopf trägt sie zwei geflochtene Zöpfe, die sich vom Nacken aus einmal um den Kopf schlingen – wie eine Blumenkette. Sieht nach Nachwuchshoffnung im Landfrauenverein aus – oder nach einem Image ohne Feuchtgebiete. JÜRN KRUSE