Kolumne Fernsehen: Siegen lernen

Was unterscheidet Stefan Raab von den meisten Politikern, die derzeit Wahlkampf machen?

Stefan Raab hat Glück gehabt. Der Mann ist ein Spieler, und jeder Spieler hat irgendwann einmal Glück - aber mit so viel Dusel kann niemand rechnen. Er hatte in seiner letzten Show "Schlag den Raab" einen Gegner, der es in kürzester Zeit geschafft hat, einen Vorteil zu verspielen, der eigentlich unverlierbar ist: die Sympathie des Publikums für den Außenseiter. Raab musste am Ende des Wettkampfs eine Niederlage gegen Herausforderer Hans-Martin Schulze hinnehmen, aber das war egal. Gewonnen hat er trotzdem.

Hätte ein Spitzenkandidat so viel Glück überhaupt haben können? Gibt es etwas, was jemand auf der Straße in eine Kamera hinein über einen Politiker oder eine Politikerin sagen könnte, was denen die Sympathien der Öffentlichkeit einbrächte? Nein. Das gibt es nicht. Was natürlich auch daran liegt, dass kein Spitzenkandidat in den direkten Clinch mit einem Wähler oder einer Wählerin geht. Dabei könnte er nämlich nur verlieren. Würde er gewinnen - dann hätte er erst recht verloren. Wegen größeren Fachwissens und damit verbundener Arroganz. Das bedeutet: Alle anderen dürfen risikolos den größten Blödsinn verzapfen. Und bekommen trotzdem noch Applaus.

Es war so vorhersehbar wie überflüssig, dass die Bild-Zeitung den Twitter-Namen "Hass-Martin" für den Raab-Herausforderer aufgriff und genüsslich ihr Publikum anstachelte, ebenso dämliche wie böse Pauschalurteile über ihn zu fällen. Man weiß nach so einer Show ziemlich wenig über einen Kandidaten - auch über Schulze. Außer dass dieser ehrgeizig ist und bei Fehlern des Gegners eine Art von überheblicher Schadenfreude an den Tag legt, die einem schon in der Schule bei zehnjährigen Klassenkameraden auf die Nerven gegangen ist.

Interessant an der Geschichte ist nicht Schulze, sondern Raab. Glaubt irgendjemand auch nur den Bruchteil einer Sekunde lang, dass der weniger überheblich, ehrgeizig oder verbissen ist als sein Rivale? Gut. Das wäre also geklärt. Warum ist es ihm dann trotzdem gelungen, das Publikum auf seine Seite zu bringen?

Aus zwei Gründen. Der eine: Raab versteht etwas von seinem Handwerk. Was in diesem Fall bedeutet: Er beherrscht das Spiel mit Kamera und Zuschauern - und weiß, wie weit er allenfalls gehen darf. Und der zweite Grund, wichtiger noch: Er macht sich angreifbar.

Auch politische Spitzenkandidaten beherrschen das Spiel mit den Medien. Aber sie machen sich nicht angreifbar. Vielleicht liegt darin ihr größtes Problem. Man muss Stefan Raab nicht mögen, aber es ist schwer, ihm den Respekt zu versagen. Er ist 42 Jahre alt, etwas übergewichtig, und es kann ihm jederzeit passierten, dass er sich lächerlich macht. Nicht nur theoretisch. Eine US-Mannschaft hat also seiner Ansicht nach eine Europameisterschaft gewonnen? Booah ey, wie blöd kann man denn sein? Politikerinnen und Politiker sind nie - niemals - bereit, das Risiko der Lächerlichkeit einzugehen oder eine Niederlage anzuerkennen. Sie müssen immer siegen. Wahrscheinlich haben Medienberater das als unumstößliches Gesetz formuliert.

Es ist ein blödes Gesetz. Wer sich nicht in Gefahr begibt, kommt darin um. Solange das Hauptaugenmerk von Politikern darauf liegt, sich keine Blöße geben zu wollen - Bloß nicht erwischen lassen! -, so lange ist es kein Wunder, dass sie von der Öffentlichkeit betrachtet werden wie Hütchenspieler.

Wenn sie das nicht länger ertragen wollen, dann sollten sie die Show von Stefan Raab anschauen. Von Raab lernen heißt: siegen lernen.

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Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

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