Erstmals Beobachter in Deutschland: "Keine Wahl läuft perfekt ab"

Zur Bundestagswahl kommen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Wahlbeobachter ins Land. Die Lettin Lolita Cigane ist eine von ihnen.

Nun wird es ernst: Stimmzettel für die Bundestagswahl. Bild: dpa

taz: Frau Cigane, Sie sind als Wahlbeobachterin gerade in Erfurt. Was genau machen Sie da?

Lolita Cigane: Wir sind hier für zwei Tage und versuchen, so viele Akteure wie möglich zu treffen, die die Wahl vorbereiten. Das reicht vom Landeswahlleiter über die Vertreter aller größeren Parteien bis hin zu NGO-Aktivisten. Vier, fünf Termine am Tag. In Ländern, in denen die Infrastruktur nicht so gut ist, bräuchten wir dafür länger.

Lolita Cigane,36, ist Vorsitzende von Transparency International in Lettland, bekannte Anti-Korruptionsaktivistin, Wahlexpertin und seit 2005 für die OSZE als Wahlbeobachterin unterwegs. Cigane hat Internationale Beziehungen studiert.

Normalerweise hört man nur, dass bei Wahlen in Nigeria, Iran, Afghanistan aufgepasst wird. Wieso nun hier?

Es ist nichts Ungewöhnliches, auch in Portugal, Griechenland und Norwegen sind derzeit Kollegen von mir. Und außerdem: Wir wurden eingeladen.

Von der Bundesregierung?

Ja, schon seit Jahren, immer zu den Wahlen. Und diesmal hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eben entschieden, ein Team zu schicken. Übrigens: Streng genommen ist es auch keine Wahlbeobachtungsmission, sondern eine Wahleinschätzung.

Was ist der Unterschied?

Vor allem der Umfang und der Aufwand. Bei einer Wahlbeobachtung schicken wir in der Regel bis zu 500 Beobachter, hier in Deutschland sind wir gerade einmal ein gutes Dutzend. Und auch nur für drei Wochen, nicht für mehrere Monate.

Was wollten Sie etwa vom Landeswahlleiter wissen?

Mit ihm haben wir am längsten gesprochen, wir wollten so viele Details wie möglich erfahren: Werden die lokalen Wahlleiter ernannt oder gewählt? Wie wird alles vorbereitet? Was passiert zu welchem Zeitpunkt?

Und so merken Sie, was verdächtig klingt?

Nein, darum geht es nicht, wir gehen nicht mit Argwohn an die Sache heran, wir suchen ja nicht nach Problemen. Wir analysieren den Wahlprozess und schlagen Verbesserungen vor. Keine Wahl läuft perfekt ab.

Sie werden also zu einer Wahlmission nach Deutschland geschickt, kommen hier an - und dann?

Vor knapp zwei Wochen trafen wir uns zum ersten Mal in Berlin, seither sind wir in der ganzen Republik unterwegs. Wir sind vier Zweierteams, immer aus unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlichem Schwerpunkt, ein Mann, eine Frau. Und dann ist noch jemand dabei, der übersetzt, beim Organisieren hilft. Der Zeitplan ist eng gesteckt, jede Gruppe besucht mehrere Bundesländer - so wie eben gerade Thüringen, zum Schluss geht mein Team noch nach München. Zwar schicken wir regelmäßig unsere Zwischenberichte in die Zentrale nach Berlin, aber ein richtiges Ergebnis gibt es erst, wenn wir uns nach der Wahl alle wieder in Berlin treffen und unsere Beobachtungen zusammentragen.

Sie kommen ganz schön rum.

Bei diesen Missionen müssen alle sehr flexibel sein, das ist normal. Im Prinzip arbeiten wir in unseren Hotelzimmern und unterwegs. Wir machen alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Zug, Straßenbahn - hier in Deutschland geht das zumindest. Und außerdem laden wir sowieso nie zu Gesprächen zu uns, wir besuchen die Verantwortlichen, das ist auch eine Geste des Respekts.

Sie sprachen jetzt vor allem über die Zeit vor der Wahl. Was passiert am Wahltag selbst?

Da sind wir natürlich auch vor Ort, jeder in vier, fünf, sechs Wahlbüros. Wir werden die Stimmabgabe für einige Zeit verfolgen und mit den Wahlhelfern sprechen, einige Fragen stellen, um zu wissen, wie es läuft. Aber der Wahltag ist nicht Schwerpunkt unserer Beobachtung, wir werden hier keine Statistik erstellen wie etwa bei klassischen Wahlbeobachtungsmissionen. In diesen Fällen haben wir detaillierte Fragebögen, die wir abarbeiten: Wo stehen die Wahlurnen? Unterschreiben die Wähler auf einer Liste? Ist Polizei präsent? Wie ist die Atmosphäre?

Unterscheiden sich die Wahlbüros von Land zu Land?

Sie sind meist in Schulen oder Kindergärten, manchmal auch im Rathaus, wenn es keine andere zentrale öffentliche Stelle gibt. In den USA stehen die Urnen auch mal in Kirchengebäuden oder, als ich nach dem Hurrikan "Katrina" in New Orleans bei den Midterm-Wahlen zugegen war, in einer großen Lagerhalle. Alles andere war zerstört.

Wo waren Sie sonst noch bei Wahlen dabei?

Unter anderem in Armenien, Mazedonien, letztes Jahr in den USA. Meine erste Mission führte mich nach Kirgisien, 2005 zu den Präsidentschaftswahlen. Eine lange Mission, zwei Monate waren wir dort. Die Wahl war direkt nach einem Volksaufstand, die Situation war aufgeladen. Man merkte: Die Wahl war voller Leidenschaft, die Menschen sehr enthusiastisch.

Anders als in Deutschland.

Das lässt sich schwer vergleichen, es sind einfach ganz andere Situationen. In den USA beispielsweise sind Wahlen unter der Woche, man erledigt das auf dem Weg zur Arbeit, es ist Alltag. In Mazedonien dagegen, gerade auf dem Land, ziehen die Leute ihren Sonntagsstaat an, wenn sie wählen gehen. Auch in Lettland ist der Wahltag etwas Besonderes. Gewählt wird bei uns immer samstags, danach trifft man sich mit seinen Freunden im Restaurant und diskutiert stundenlang über Politik, es ist ein richtiges Event. Aber eines ist immer überall gleich.

Was denn?

In jedem Land gibt es diesen kathartischen Moment am ersten Tag nach einer Wahl. Wenn alle gespannt auf das Ergebnis schauen und merken, es fängt etwas Neues an. Das gefällt mir immer am besten.

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