20 Jahre Mauerfall: Alles so schön bunt hier

In Berlin wurde mit großen Aufwand der Mauerfall gefeiert. Statt an das politische Ereignis erinnerte das Fest vor allem an einen bunten Kindergeburtstag.

Viel Pomp am Brandenburger Tor gab es am Montag Abend. Bild: dpa

Das "Fest der Freiheit" in Berlin zum 20. Jahrestag des Mauerfalls - es ist überstanden. Leicht auszuhalten war es nicht, das auf unheilvolle Weise von der Hand der Berliner Offiziellen gezeichnete und per TV weltweit ausgestrahlte Event. Selbst Berlinkenner waren über den Trashfaktor erstaunt, obwohl die ja an die Wowereitsche Kulturindustrie ohne das kleinste Fünkchen Esprit gewöhnt sind.

Welche Bilder bleiben also? Immerhin ist es Sinn solcher international übertragenen Großveranstaltungen, global lesbare Erinnerungsbilder zu schaffen. Nur in zweiter Linie wird der Aufwand betrieben, damit Touristen und Zeitzeugen eine Wurst mehr essen als sonst und dabei Bon Jovi auf der Großleinwand angucken. Die eigentliche Herausforderung ist: Wie übersetzt eine Gesellschaft ein historisches Ereignis in eine zeitgemäße Ikonografie?

Die Veranstalter entschlossen sich, den Zusammenbruch des Sozialismus als harmlose Bilderserie zu inszenieren, mit Hilfe von Kinderarbeit. Genauer: Jugendliche erhielten den Auftrag, 1.000 zweieinhalb Meter hohe Styroporplatten mit wenn nicht immer lustigen, dann immer bunten Motiven zu bemalen. Die etwa 20 Kilo schweren "Dominosteine" bildeten dann auf dem ehemaligen Mauerverlauf eine heitere Kette. Ihr erstes Glied durfte von Lech Walesa umgestoßen werden - auf Kommando von Thomas Gottschalk. Blaue Laserstrahlen erleuchteten währenddessen unermüdlich den Himmel über dem angestrahlten Brandenburger Tor. Alles so schön bunt hier oder: Reenactment mit Kinderspielzeug, Trivialität ohne Grenzen.

Nach zwanzig Jahren Maueröffnung verweigert das offizielle Deutschland einen souveränen Umgang mit seiner jüngsten Geschichte und flüchtet blindlings in die Infantilität. Kein Preis ist ihm für diesen Eskapismus zu hoch. Früher hätten selbst die Konservativen ein solch lausiges Spektakel mit dem Hinweis auf den im Ausland zu verlierenden Ruf verhindert. Heute breitet die Berliner Republik ihre Provinzialität ungebremst vor der ganzen Welt aus.

Anstatt Berlin als Stadtlandschaft zu begreifen, die wie keine andere die Verwundungen durch den heißen und kalten Krieg sichtbar macht, sind Politik und Kulturmanagement besessen davon, die Narben mit bunten Bildchen der Belanglosigkeit zuzupflastern. Sie vermeiden alles, was auf die Gewalttätigkeit des geteilten Deutschlands verweist oder auf die Aggression, mit der Deutschland nach der geöffneten Mauer zu kämpfen hatte. Eine Aggression zwischen Ost- und Westdeutschen, der Ernüchterung vieler ehemaliger DDR-Bürger über das Leben unter kapitalistischen Vorzeichen. Diese Enttäuschung bekamen zunächst nicht wenige Migranten und Flüchtlinge zu spüren. Bei Jubiläen aber geht es natürlich nicht um die Verlierer. Sondern um das Gewonnene. Bleiben wir also bei den Siegern.

Dieser ist beim zweiten Mauerfall eindeutig nicht das "Volk". Sondern allein das Fernsehen. Noch schlimmer: das ZDF. Eilfertig tritt es mit seinen beiden Großerrungenschaften vor die Weltgemeinschaft: "Wetten dass..?" und Guido Knopp, dem hauseigenen Historikerclown.

Doch wie kommt eine Gesellschaft dazu, sich symbolisch so zu vergreifen? Angst ist der Grund. Oder sagen wir besser Feigheit. Nur keinen Konflikt thematisieren, nur nicht an eine kollektive Gewalterfahrung erinnern, für die die Mauer de facto das Symbol ist.

Auch die Tatsache, dass es Frankreich und Großbritannien waren, die bis zum Schluss ein geeintes Deutschland verhindern wollten, blieb bei allen Festtagspunkten ausgespart. Dass den nun laudierten Ostlern die Selbstbestimmung vorenthalten wurde, hat Mitterand und Thatcher damals nämlich wenig interessiert. Auch die reale Gefahr, wenn nur einige der russischen und deutschen Militärs zur Waffe gegriffen hätten, wird heute geflissentlich vergessen. Stattdessen soll die Einigung als harmonisches Volksfest ohne Grautöne erinnert werden, also als etwas, das es nie war.

Wenn aber ein hoch politisches Ereignis jeden politischen Gehalts und damit jeder Ambivalenz beraubt wird, entledigt man sich der Möglichkeit, auch nur etwas von der Dramatik von damals im Jetzt erfahrbar zu machen. Wer in seiner Geschichtsvergessenheit jedes Negative wie das Weihwasser scheut, kann keine Fallhöhe konstruieren, ergo keine Erleichterung oder Euphorie erzeugen. Ergebnis: abgrundtiefe Langeweile, großes Unbehagen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.